Laut einer aktuellen Studie, die im renommierten Fachjournal „Nature Ecology & Evolution“ veröffentlicht wurde, steht Europa vor einer ernsten ökologischen Herausforderung: Ein Drittel bis die Hälfte der heutigen Baumarten könnte den bevorstehenden Klimabedingungen nicht mehr standhalten. Diese alarmierende Vorhersage stellt die Fähigkeit zur erfolgreichen Wiederaufforstung und zum Erhalt der Waldvielfalt infrage.

Die Studie der Universität Wien und der Technischen Universität München deckt auf, dass langanhaltende Trockenphasen, Hitze, häufigere Waldbrände und andere klimatische Extremereignisse europäische Wälder massiv bedrohen. Diese Herausforderungen werden durch Schadorganismen wie den Borkenkäfer noch verstärkt, was oft zu einem großflächigen Absterben von Bäumen führt.

Forscher haben die Verbreitung von 69 Baumarten an fast 240.000 Standorten in Europa analysiert und modellierten anschließend die Eignung dieser Standorte für zukünftige Wiederaufforstungen. Die Ergebnisse zeigen, dass je nach Emissionsszenario die Vielfalt der Baumarten regional stark abnehmen könnte. Der „Bottleneck-Effekt“ zeigt, dass die gegenwärtigen Wiederaufforstungsmaßnahmen möglicherweise nicht ausreichen, um den künftigen Bedingungen gerecht zu werden.

Das Spektrum an Baumarten, das heute und in Zukunft klimatisch geeignet sein könnte, ist begrenzt und variiert stark zwischen verschiedenen europäischen Regionen. Dies könnte in einigen Gebieten, insbesondere in solchen mit bereits jetzt geringer Artenvielfalt, zu kritischen Engpässen führen.

Die Forschung liefert einen wesentlichen Beitrag zur Diskussion über den Waldumbau und unterstreicht die Dringlichkeit, Anpassungsstrategien zu entwickeln. Vor allem die Förderung von Mischwäldern, die als besonders resilient gelten, könnte eine zentrale Rolle in der Anpassung an den Klimawandel spielen. Doch der durch klimatische Veränderungen eingeschränkte Pool an geeigneten Baumarten könnte diese Strategie in vielen Teilen Europas stark limitieren.

Das Science Media Centre hat zu dieser Studioe Fachleute befragt, die ihre Einschätzungen geben: 

► Prof. Dr. Christoph Leuschner

Abteilung Pflanzenökologie und Ökosystemforschung, Georg-August-Universität Göttingen

„Wie bei allen Modellstudien darf man die in den Karten und Grafiken gezeigten Ergebnisse der Szenarien nicht überbewerten. Aber den generellen Trend der lokalen Extinktion von Baumarten aufgrund der raschen Erwärmung halte ich für gut begründet. Unter den heutigen wenigen Wirtschaftsbaumarten in Mitteleuropa – vor allem Fichte, Kiefer, Buche, Eiche, Douglasie – werden vor allem die Fichte, aber in den trockeneren Tieflandregionen auch regional die Buche und Kiefer an Vitalität verlieren und erhöhte Sterblichkeiten aufweisen. Das dürfte regional in trockeneren Tieflagen auch für den Hoffnungsträger der Forstwirtschaft – die Douglasie – gelten. Die Eichen dürften noch am ehesten mit der Erwärmung zurückkommen. Aber auch hier gibt es erhebliche Risiken, zum Beispiel durch zunehmende Schädlings- und Pestereignisse. Dadurch wird zweifellos die Zahl der infrage kommenden Baumarten abnehmen, mehr in den wärmeren Tieflagen als in den kühleren Berglagen. Von den verschiedenen Emissionsszenarien ist nach heutiger Lage aus meiner Perspektive eher RCP8.5 oder 6.5 realistisch als RCP4.5 oder niedriger. Die Erwärmung wird also so drastisch sein, dass tatsächlich nur wenige Baumarten, die heute gepflanzt werden, eine Umtriebszeit von 60 bis 100 Jahren im Tiefland vital überstehen dürften. In den kühleren Berglagen ist das günstiger. Was die Szenarien gar nicht berücksichtigen, sind mögliche Kalamitäten von Schadorganismen – Insekten, Pilze und so weiter – die immer stärker eingeführt werden und oft durch Hitze begünstigt werden. Gravierende Schäden wie heute bei der Esche, Schwarzerle oder auch Bergahorn können auch andere Arten treffen, die heute noch die Leistungsträger sind.“

„Wenn die Förster von den Mischwäldern der Zukunft sprechen, meinen sie fast immer Zwei-Art-Mischungen, in der Regel eine produktive Konifere – wie die Douglasie – mit einem Laubbaum, zum Beispiel die Buche. Artenreiche Mischwälder, wie sie zum Beispiel von Natur aus in Mitteldeutschland – mit fünf bis acht Arten – vorkommen oder eher vorkamen, sind fast nirgends geplant.“

Konsequenzen für den Waldumbau

„Daraus ergeben sich Folgerungen für die Forstplanung. Mehr Arten im Bestand erhöhen die Widerstandsfähigkeit (Resilienz) gegen den Klimawandel. Daher sollte man besser auf mehr als zwei Arten pro Bestand setzen. Das muss dann auch heute wirtschaftlich wenig attraktive Baumarten wie Spitzahorn, Hainbuche, Winterlinde und Elsbeere einschließen, die deutlich trockenstresstoleranter als die Hauptbaumarten sind. Diese etwa fünf bis zehn heimischen stresstoleranten Laubbaumarten fehlen in der heutigen Waldbauplanung weitestgehend, weil unsere Holzindustrie komplett auf Nadelholz eingestellt ist. Hier müsste eine wahre Waldwende ansetzten und die stoffliche Holznutzung auf Laubholz umstellen. Die gepflanzten Nadelbäume sind fast alle recht trocken- und hitzestressempfindlich – aber rentabler – und sie werden vermutlich früher ausfallen als die toleranteren Arten unter den heimischen Laubbäumen.“

► Prof. Dr. Arthur Gessler

Leiter Forschungsprogramm Walddynamik Waldwachstum und Klima, Eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL), Birmensdorf, Schweiz

Methodik

„Die Studie nutzt sogenannte Species Distribution Models (SDM) – Artverbreitungsmodelle. Dieser Modellansatz beschreibt statistisch die realisierte klimatische Nische einer Art auf der Grundlage ihrer aktuellen Verbreitung und ermöglicht die Bewertung der Klimaeignung einer Art unter zukünftigen Klimaszenarien, wobei davon ausgegangen wird, dass die Nischenanforderungen einer Art konstant bleiben. Dies ist eine bewährte Methode, um Veränderungen der Verbreitung von Pflanzenarten und Pflanzengesellschaften vorherzusagen.“

„Neu an dieser Arbeit ist nun, dass nicht nur die heutige und die zukünftige Arealeignung für Baumarten bestimmt wurde, sondern dass die Dynamik des Klimawandels mit den langen Umtriebszeiten, wie sie in der Forstwirtschaft üblich sind, in Bezug gesetzt wurde. Deswegen bietet die Studie wichtige Information, welches Artenportfolio für heutige waldbauliche Maßnahmen zur Verfügung steht und welches auch noch zum Ende des Jahrhunderts für einen gegebenen Standort geeignet ist. Meines Wissens ist dies die erste Studie dieser Art und sehr bedeutsam. Zum einen für die größer-skalige Planung in der Forstwirtschaft und zum anderen als Basis für weitere Untersuchungen, die die mögliche Resilienz von Wäldern gegenüber Extremereignissen untersucht – diese Resilienz ist stark von der Mischung einzelner Arten abhängig. Die Ergebnisse sind zwar nicht wirklich überraschend, bieten aber zum ersten Mal eine quantitative Analyse des Bottlenecks, der sich für die Forstwirtschaft ergeben wird.“

„Die Bestandsdatenbasis (ICP Forests und National Forest Inventories) der europäischen Wälder gehört zum Besten, das verfügbar ist und ist sicher eine sehr gute Grundlage für die Modellierung. Es wurden zudem SDM-Ensembles – gewichtete Ergebnisse unterschiedlicher Modellierungsansätze – verwendet, was auch die Modellergebnisse robust macht. Die Autoren diskutieren auch klar die Limitierungen der Methode – aber unter Berücksichtigung dieser Limitierungen ist die Gesamtmethode sehr robust und die Ergebnisse belastbar.“

„Für kleinräumige Planungen von Waldbesitzern ist die Auflösung sicher zu grob, da kleinstandörtliche Bedingungen nicht abgebildet werden. Aber auch hier weisen die Autoren auf den Umwelt-Kontext hin, den sie nicht einbezogen haben. In Zukunft kann man sicher die neuen Analysen und Befunde der aktuellen Studie in kleinstandräumliche Modellierungen einpflegen, wie sie beispielweise in der Schweiz über die TreeApp für die Praxis zur Verfügung gestellt werden. Dies macht auch diese Werkzeuge genauer, da sie die Dynamik des Klimawandels dann besser abbilden können.“

„Es ist sehr begrüßenswert, dass drei unterschiedliche Emissionsszenarien genutzt wurden, da erstens abgebildet werden kann, wie die gesamte Bandbreite der möglichen Veränderungen sein wird und es zweitens deutlich wird, dass eine Verringerung der CO2-Emissionen zu weniger drastischen Einschränkungen führen wird. Dies ist insbesondere wichtig, da dem Wald bei der CO2-Sequestrierung auch in Zukunft eine wichtige Rolle zukommen wird – und, wie die Studie zeigt, Einschränkungen in der Wahl der Arten bestehen werden, die hier ein besonders großes Potenzial haben. Andere Faktoren werden neben dem Klimawandel sicher auch eine Rolle spielen. Sie werden aber vor dem Hintergrund der drastischen Veränderungen von Temperatur und Niederschlag untergeordnet bleiben. Gerade Schadorganismen werden bei der Modellierung der klimatischen Nische auch recht gut abgebildet. Beispiel Borkenkäfer: Hier spielt vor allem die Anzahl der Generationen pro Jahr eine entscheidende Rolle für das Schadpotenzial, und diese ist vor allem von der Temperatur abhängig – und diese ist in der Habitatmodellierung für die Bäume ja inkludiert.“

Konsequenzen für den Waldumbau

„Der Bottleneck-Effekt ist für die Forstpraxis von sehr großer Bedeutung, da Transformationen der Baumartenzusammensetzung ja sehr langfristig geplant werden müssen. Durch die eiszeitliche Historie – zusammen mit der Ost-West-Ausrichtung der Gebirgszüge – ist das aktuelle Baumartenspektrum in Europa klein und auch durch neue Krankheiten – zum Beispiel die Eschenwelke – gibt es weitere Einschränkungen. Die Einteilung in Baumarten mit unterschiedlichen Funktionen aufgrund objektivierbarer Eigenschaften und mit zusätzlichen qualitativen Informationen, wie sie in der Studie gemacht wurde, macht meines Erachtens sehr viel Sinn, um deutlich zu machen, welche spezifischen Probleme die Forstwirtschaft in Zukunft in welchen Gebieten haben wird.“

„Zusammenfassend lässt sich sagen, dass die Studie die wissenschaftliche Grundlage legt, die es der Forstwirtschaft, aber auch politischen Entscheidungsträgern ermöglicht, noch besser die nötigen Maßnahmen für eine zukunftssichere Baumartenwahl zu treffen. Die Ergebnisse der Studie sind nicht völlig überraschend, aber sie ist die erste ihrer Art, die wirklich die Dynamik des Klimawandels und die langen Umtriebszeiten in der Forstwirtschaft mit einbezieht und so darstellt, welche Baumarten jetzt und am Ende des Jahrhunderts an einem Standort geeignet sind und bleiben. Dies erlaubt passgenauere Maßnahmen.“

„Die Studie zeigt aber auch, dass wir über nicht-heimische Baumarten reden müssen. Dies wird von den Autoren angesprochen und die Vor- und Nachteile werden auch andiskutiert. Ihr Einsatz könnte das Artenportfolio deutlich erhöhen – aber es muss intensiv abgewogen werden, welche Vor- und welche Nachteile jede neue Baumart mit sich bringt.“

► Prof. Dr. Henrik Hartmann

Leiter des Instituts für Waldschutz, Julius Kühn-Institut (JKI), Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen, Quedlinburg

Methodik

„Diese Studie ist solide und mit notwendiger Sorgfalt durchgeführt worden. Das ist bei Nature-Veröffentlichungen leider nicht immer so. Natürlich sind bei einigen Punkten Vereinfachungen notwendig geworden, wie zum Beispiel die Verwendung der Anzahl von assoziierten Schmetterlingsarten als Zeigewert für den Nutzen von Baumarten für die Biodiversität. Das lässt sich bei einer Studie auf einer so übergeordneten Skala nicht vermeiden.“

„Ich würde die Ergebnisse und deren Auslegungen hingegen als eher konservativ einstufen. Die zukünftige Eignung der Baumarten wird in der Studie nur durch die klimatischen Bedingungen ermittelt (‚…species interactions were not considered explicitly here‘) – das kann man sicherlich mit einem großen Fragezeichen versehen. Die vergangenen Jahre haben uns doch mehr als deutlich gezeigt, dass klimatischer Stress in vielen Fällen zu einer verstärkten Anfälligkeit gegenüber biotischen Störungsfaktoren führt. Der Borkenkäfer ist vielleicht das offensichtlichste Beispiel, aber Rußrindenkrankheit beim Ahorn, Eichenprachtkäfer bei der Eiche, oder Komplexkrankheiten bei der Buche belegen dies ebenso, um nur von ‚heimischen‘ Insekten oder Krankheiten zu sprechen. ‚Globaler Wandel‘ bedeutet ja auch, dass neue Arten eingeschleppt werden – zum Beispiel Eschentriebsterben, Eichennetzwanze –, mit oft verheerenden Konsequenzen für bestehende Waldgemeinschaften. Meines Erachtens kann durch diese biotischen Einflüsse die Bandbreite geeigneter Baumarten weiter und deutlich reduziert werden.“

Debatte um den Wald der Zukunft

„Trotzdem erwarte ich von der aktuellen Studie einen positiven Einfluss auf die derzeitigen Debatten um die zukünftige Eignung von Baumarten. Immer noch werden dabei Begriffe wie heimisch oder standortsgerecht verwendet, ohne dabei zu berücksichtigen, dass Arten, die heute heimisch und standortgerecht sind, es in Zukunft nicht unbedingt sein müssen. Die vorliegende Arbeit bietet hierfür eine erste, wenn auch mit Unsicherheiten behaftete, empirische Basis. Es bleibt nun zu hoffen, dass diese Botschaft auch ankommt und in die Debatten einfließt.“

„Es ist schon erstaunlich, dass viele immer noch davon ausgehen, den Wald in seiner jetzigen Form und Zusammenstellung bei sich gleichzeitig rasch und dramatisch veränderten klimatischen Bedingungen erhalten zu können oder zu wollen. Wälder sind dynamische Systeme, die sich verändern müssen (!), um unter veränderten Rahmenbedingungen bestehen zu können. Dazu gehört dann auch eine Umschichtung und eventuell eine Neuzusammenstellung der darin enthaltenen Baumarten. Die Studie zeigt in aller Deutlichkeit, dass einige der für uns heimischen Baumarten es in Zukunft nicht mehr sein werden.“