In einer umfangreichen Metastudie, die kürzlich im renommierten Fachjournal „Science“ veröffentlicht wurde, wird ein optimistisches Bild der globalen Bemühungen um den Naturschutz gezeichnet. Wissenschaftler haben 186 Studien untersucht, die insgesamt 665 Naturschutzaktionen weltweit bewerteten, und kommen zu einem ermutigenden Schluss: Zwei Drittel der analysierten Maßnahmen zeigen positive Auswirkungen auf die Biodiversität.

Die Studie hebt besonders die Bekämpfung invasiver Arten, die Reduzierung von Lebensraumverlusten und die Wiederherstellung von Ökosystemen als effektiv hervor. Auch wenn Schutzgebiete etwas weniger wirksam zu sein scheinen, bestätigt die Untersuchung doch, dass nachhaltiges Management von Ökosystemen entscheidend ist.

Die Autoren der Studie warnen jedoch vor Übermut. Trotz der positiven Ergebnisse zeigen 20% der analysierten Fälle sogar einen beschleunigten Rückgang der biologischen Vielfalt. Das deutet darauf hin, dass es noch viel zu tun gibt, um den fortschreitenden Verlust an Arten und Lebensräumen wirksam zu stoppen. Es reicht nicht, bestehende Maßnahmen nur fortzusetzen – vielmehr müssen diese ausgebaut und intensiviert werden.

Die biologische Vielfalt ist seit Jahren ein zentrales Thema in wissenschaftlichen, medialen und politischen Diskussionen. Die Ursachen sind vielfältig und global: Zerstörung natürlicher Lebensräume, zunehmende Verschmutzung durch menschliche Aktivitäten und ungebremster Klimawandel. Ende 2022 wurden im Weltnaturschutzabkommen von Montreal ambitionierte Ziele gesetzt, um die Biodiversitätskrise global anzugehen. Doch die tatsächliche Umsetzung dieser Ziele steht noch aus.

Diese neueste Metastudie bietet nicht nur wertvolle Einsichten in die Wirksamkeit von Naturschutzmaßnahmen, sondern unterstreicht auch die Dringlichkeit, mit der wir handeln müssen. Die Forscher fordern eine deutliche Ausweitung der Bemühungen, um die Biodiversität für kommende Generationen zu sichern und die natürliche Ordnung unseres Planeten zu erhalten.

Das Science Media Centre hat einige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler um Einschätzungen gebeten:

► Prof. Dr. Sven Bacher

Leiter der Arbeitsgruppe Angewandte Ökologie, Fachbereich Biologie, Universität Freiburg, Schweiz

Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?

„Naturschutzmaßnahmen an einzelnen Orten funktionieren und sind sinnvoll, aber das Ausmaß und die Anzahl von Maßnahmen, die nötig wären, um dem globalen Biodiversitätsverlust entgegenzuwirken, ist so groß und wächst wahrscheinlich so schnell, dass dieser punktuelle Schutz nicht den globalen Trend aufhält. Wir verlieren zu schnell an Biodiversität und dies an zu vielen Orten, als dass die bisher geleisteten Naturschutzmaßnahmen trotz ihrer Wirksamkeit den allgemeinen Trend aufhalten. Wir brauchen Naturschutz in einem viel größerem Ausmaß, oder besser noch: Wir sollten verhindern, dass die fünf globalen Triebkräfte des Verlustes – invasive Arten, Klimawandel, Land- und Seenutzungsänderungen, Verschmutzung, Übernutzung – die Biodiversität weiter reduzieren. Also mehr Prävention, damit weniger Restauration, Anpassungen oder Kontrolle nötig sind.“

„Die schlimmste Folgerung, die Entscheidungsträger oder die Gesellschaft aus dieser Arbeit ziehen sollten, wäre ‚es wird schon gut, die Maßnahmen wirken ja‘. Dies würde vom Ausmaß der tatsächlich existierenden Probleme ablenken und unter Umständen dringend benötigte erhöhte Ressourcen vom Naturschutz abziehen. Es tut mir leid, dass ich den vielleicht erhofften positiven ‚Spin‘ dieser Arbeit leider stören muss.“

► Prof. Dr. Axel Hochkirch

Kurator für Ökologie, Nationalmuseum für Naturgeschichte Luxemburg, und außerplanmäßiger Professor für Biodiversität und Naturschutz, Fachbereich Raum- und Umweltwissenschaften, Universität Trier

Methodik

„Metaanalysen sind die am besten geeignete statistische Methode, um die Ergebnisse zahlreicher Einzelstudien zu kombinieren. Die Analysen der Autoren bewerten erstmals den Erfolg von unterschiedlichen Naturschutzmaßnahmen auf globaler Ebene. Sie zeigen eindrucksvoll, dass viele Maßnahmen Erfolg hatten. Zwar können wir auch bei uns den Erfolg der Schutzmaßnahmen für Wanderfalke, Schwarzstorch, Biber und Co. sehen, doch dies ist die erste Analyse, die die Erfolge global quantifiziert.“

„Ein generelles Problem bei Metaanalysen zu ökologischen Themen ist, dass bestimmte Themen oder Regionen in den einzelnen Untersuchungen unterrepräsentiert sind, wie hier zum Beispiel Studien zur Verschmutzung oder zum Klimawandel, die daher nicht separat ausgewertet werden konnten.“

„Die Ausweisung von Schutzgebieten ist eine der ältesten Naturschutzmaßnahmen. Daher darf es nicht verwundern, wenn die Anzahl der Studien zur Effektivität von Schutzgebieten besonders groß ist und dass gerade ältere Untersuchungen vor allem Schutzgebiete bewertet haben. Dass Schutzgebiete einen positiven Effekt auf die Biodiversität haben, konnten auch wir in einer Studie zu den Bestandstrends von Heuschrecken in Rheinland-Pfalz zeigen. Dies ändert natürlich nichts daran, dass es eine große Zahl von Gefährdungsfaktoren gibt. In der aktuellen Studie geht es ja nicht um den Status der Biodiversität oder die Ursachen des Biodiversitätsverlustes, sondern um die Wirksamkeit einzelner dagegen getroffenen Maßnahmen.“

Auf die Frage, inwiefern den Studien mit Laufzeiten zwischen einem Monat und 110 Jahren überhaupt vergleichbar sind:
„Generell wurden hier alle Zeitreihen zur Effektivität von Maßnahmen aufgenommen. Hätte man nur eine bestimmte Mindestlaufzeit analysiert, so wäre die Stichprobe deutlich reduziert worden. Einige Maßnahmen können tatsächlich erst nach längerer Zeit wirksam werden, dies hängt aber stark von den Zielorganismen ab. So haben Insekten zum Beispiel eine sehr kurze Generationszeit, so dass ein Erfolg schon sehr früh sichtbar werden kann, bei Elefanten dauert es dagegen deutlich länger.“

Abwägung der Eingriffe

„Es ist wichtig, aus den Erfolgen und Fehlschlägen anderer Naturschutzprojekte zu lernen. Für den erfolgreichen Schutz jeder Art oder jeden Ökosystems muss zunächst der wichtigste Gefährdungsfaktor identifiziert werden, um dann gezielt dessen Wirkung zu reduzieren. Wenn der Hauptgefährdungsfaktor Überdüngung ist, hilft es wenig, sich auf die Bekämpfung invasiver Arten zu konzentrieren. Daher kann eine einzelne Maßnahme im Naturschutz nicht ausreichen. Invasive Arten sind vor allem auf ozeanischen Inseln und in Seen problematisch. Gelingt es zum Beispiel auf einer Insel, invasive Ratten zu entfernen, so können sich zahlreiche Vögel, Insekten und andere Arten erholen. In Mitteleuropa sind invasive Arten aber nicht der Hauptgefährdungsfaktor, sondern eher die schnellen Veränderungen der Landnutzung.“

Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?

„Die Politik muss die Biodiversitätskrise genauso ernst nehmen wie die Klimakrise. Während für Militär und Wirtschaft schnell ein oder zwei ‚Wumms‘ verfügbar gemacht wurden, werden für den Schutz der biologischen Vielfalt im Vergleich nur Kleckerbeträge aufgewendet. Diese Studie zeigt ja, dass Maßnahmen Erfolg haben, wenn sie nur durchgeführt werden. Auch rechtliche Regelungen sind hierbei wichtig, wie zum Beispiel durch die EU-Verordnung zur Wiederherstellung der Natur (Restoration Law), die momentan im Europäischen Rat auf Eis liegt. Hierbei ist es vor allem auch wichtig, die bislang weniger beachteten Artengruppen – wirbellose Tiere, Pilze – nicht zu vergessen.“

Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?

„Natürlich ist die Biodiversitätskrise sehr dramatisch, daher betonen die Autoren zu Recht, dass es deutlich mehr Initiativen zum Schutz der Natur braucht. Aber die Studie zeigt sehr deutlich, dass Naturschutzmaßnahmen durchaus etwas bringen, wenn man sie nur durchführt. Wichtig ist es aber auch, die Effekte von Maßnahmen zu messen, damit Ziele erreicht werden können. Die Studie liefert also sehr gute Argumente, um der Einstellung ‚Das bringt alles nichts‘ entgegenzuwirken.“

►  Prof. Dr. Jan Axmacher

Associate Professor, Naturschutz und Landschaftsökologie, Department of Geography, University College London (UCL), Vereinigtes Königreich

„Insgesamt ist es gut, zu wissen, dass die Instrumente, die wir im Naturschutz einsetzen, weitgehend funktionieren. Allerdings ist wichtig, zu berücksichtigen, dass die Autoren in weniger als der Hälfte der untersuchten Studien einen insgesamt positiven Effekt feststellen, der gleichzeitig über den des „nichts tun“ hinausgeht, während in einem weiteren Fünftel der Fälle die Maßnahmen nur den Diversitätsverlust verlangsamen, aber nicht aufhalten.“

„Darüber hinaus ist der Wissensgewinn, den ich aus der Studie ziehen kann, nur relativ begrenzt. So wissen wir zum Beispiel aus unseren eigenen Studien schon sehr gut, welche Maßnahmen erfolgreich sind.“

„Weiterhin wird die Kontrolle invasiver Arten sehr präsent diskutiert. Hierzu ist anzumerken, dass der bei weitem effektivste Ansatz nicht die Kontrolle einmal eingeführter Arten darstellt, die sich in den allermeisten Fällen – abgesehen eventuell von Inseln – nur in ganz frühen Stadien der Invasion nachhaltig durchführen lässt, sondern die Verhinderung des Einbringens der Arten in neue Regionen. Das lässt sich aber nicht mit ‚klassischen‘ Natuschutzansätzen erreichen, sondern nur durch Aufklärung, Erziehung und begleitende politische und gesetzliche Ansätze, wo in der Tat in Zukunft deutlich mehr passieren sollte.“

„Darüber hinaus ist der Zeitrahmen, der hier dargestellt wird, etwas kritisch zu hinterfragen. Es werden 110 Jahre angegeben, allerdings scheint dies nur durch eine einzige Studie (!) begründet, während alle anderen Studien sich im Rahmen von maximal 500 Monaten zu bewegen scheinen (siehe Grafik S3). Das sind immerhin noch etwa 40 Jahre, also ein durchaus respektabler Zeitraum. Hier wäre aus meiner Sicht etwas mehr Offenheit beziehungsweise kritisches Hinterfragen des Studienzeitraums angebracht gewesen.“

„Insgesamt spiegelt die Studie in vielerlei Hinsicht als Meta-Analyse auch unsere generellen Schwerpunkte in der Naturschutzforschung wider. Das heißt, Studien, die explizit Auswirkungen auf die Diversität von terrestrischen Insektengemeinschaften untersuchen, erscheinen relativ selten in der Literaturliste, wobei diese Gemeinschaften bei weitem die meisten derzeit global bekannten Arten beinhalten.“

► Prof. Dr. Christine Fürst

Leiterin des Fachgebiets Nachhaltige Landschaftsentwicklung, Institut für Geowissenschaften und Geographie, Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Methodik

„Diese Studie greift eine der großen Fragestellungen auf – hinsichtlich der Wirkungen von Naturschutzmaßnahmen auf unterschiedlichen Ebenen auf den Erhalt und zumindest die Reduktion des Verlusts von Biodiversität. In ihrer Art ist sie eine einzigartige Metastudie durch die herausragend große Anzahl an Publikationen und den zugrunde liegenden Studien sowie mit Blick auf die Zeitreihe, die den Analysen zugrunde liegt. Ein großer Vorteil ist, dass zum einen die Art von möglichen Naturschutzmaßnahmen – wie zum Beispiel die Kontrolle invasiver Arten, die nachhaltige Nutzung von Ökosystemen und viele andere – mit Blick auf deren Wirkungen gegenüber eines Unterlassens entsprechender Maßnahmen betrachtet wird, zum anderen aber auch die Wirkungen auf den verschiedenen Ebenen der Biodiversität betrachtet werden. Es werden auch die großen Unsicherheiten (Vertrauensintervall) aufgezeigt, die sich aus den unterschiedlichen Laufzeiten und Ansätzen der Studien ergeben. Eine Kernbotschaft ist, dass sich die Erfassung der Wirkung von Naturschutzmaßnahmen auch mit kürzerfristigen Studien erreichen lässt. Dies ist insofern relevant, als sich der Charakter von Naturschutzmaßnahmen über die Zeit verändert hat und es relevant ist, neue Formen von Naturschutzmaßnahmen laufend zu betrachten.“

„Die Studie ist eine umfassende Metaanalyse, die auf einer Methode – PRISMA – beruht, in der systematisch Literatur gesucht, ausgewählt und analysiert wird. In dieser Form und in der Art ihrer Aggregation zu klaren Aussagen, welche Wirkungen Naturschutzmaßnahmen haben können, ist sie ausgesprochen umfassend, auch wenn gerade auf dem afrikanischen Kontinent eine geringere Präsenz der einbezogenen Studien besteht.“

„Die Studie unterstützt die Evidenz, dass Naturschutzmaßnahmen grundsätzlich in der Mehrzahl positive Effekte für den Schutz, Erhalt und die Wiederherstellung von Biodiversität zeigt. Was sehr spannend und sicherlich erst durch eine solche Metastudie sichtbar ist: Es kann durchaus auch eher verhaltene bis hin zu negativen Effekten geben, für die die Studie beispielsweise auf den Versuch verweist, invasive Algenarten zu entfernen oder auch auf Effekte für bestimmte Fischarten, deren Prädatoren durch Naturschutzmaßnahmen stärker ansteigen.“

„Soweit ich diese Metaanalyse verstanden habe, wird dabei betrachtet, dass sich der Charakter von Studien und publizierten Ergebnissen über die Zeit verändert hat. Naturschutzmaßnahmen haben sich einfach auch über die Zeit verändert von einem ‚Totalschutz‘ von Gebieten – Nationalparks, erste Naturschutzgebiete – bis hin zu heute sehr differenzierten Maßnahmen, invasive Arten zu entnehmen oder Habitate für seltene Arten besser zu schützen. Die Autoren schreiben selbst, dass die Wirkung mancher Maßnahmen – etwa eine bessere Kontrolle der Umweltverschmutzung oder von Maßnahmen zur Klimawandelanpassung / des Klimaschutzes – nicht so einfach vergleichend betrachtet werden können. Ich denke damit wird eine relevante Forschungslücke angesprochen.“

Auf die Frage, inwiefern den Studien mit Laufzeiten zwischen einem Monat und 110 Jahren überhaupt vergleichbar sind:
„Das ist ausgesprochen schwer zu bewerten. Ich kenne einige Langzeitexperimente. Ökosysteme unterliegen aber Entwicklungszyklen, und daher ist es absolut davon abhängig, welche Kriterien und Indikatoren in den einzelnen Studien herangezogen worden sind. Ein Beispiel: Der Schutz eines ‚nativen Buchenwaldsystems‘ wie den ‚Heiligen Hallen‘ in Mecklenburg-Vorpommern hilft uns zu verstehen, wie sich ein solches Ökosystem ohne direkten Einfluss entwickeln kann – Klimawandel und den Faktor Stickstoff klammere ich aus. Über die Zeit gibt es aber auch Stadien, die artenärmer sind – beispielsweise, wenn so ein Wald komplett geschlossen ist, dann ist es die meiste Zeit des Jahres ziemlich finster und es gibt daher wenig Bodenvegetation. Das ist völlig natürlich, aber es bedeutet eine Phase mit einer geringeren Diversität der Flora. Wenn dann langsam das Zerfallsstadium einsetzt, wird es diverser, da Biodiversität auch von ‚Störungen‘ abhängig ist – das heißt, je mehr unterschiedlichste Nischen es auf kleinem Raum gibt, umso mehr Arten von Flora und Fauna haben zwischenzeitlich eine Chance, dort Lebensraum zu finden. Daher kann ich die Aussage zu den ‚nicht erkennbar‘ positiveren Effekten bei Langzeitstudien nicht wirklich bewerten. Ich denke, es ist aber doch eine Kernbotschaft, dass auch kürzere Studien sinnvoll sind und helfen, zumindestens Trends abzuschätzen. Wie geschrieben – auf ökosystemarer Ebene ist dies einfach Zyklen unterworfen, die nicht jeden Indikator zu jeder Zeit als sinnvoll erscheinen lassen.“

Abwägung der Eingriffe

„Aus einer Metastudie ist das schwer abzuleiten, da man dann wirklich die Einzelbeispiele betrachten muss. Die Aussage ist, dass im Schnitt die meisten Naturschutzmaßnahmen signifikant positivere Effekte für die Biodiversität zeigen, als wenn diese unterbleiben. Und die zweite Aussage ist, dass es davon Ausnahmen gibt, wenn zum Beispiel seltene Arten plötzlich mehr Fressfeinde haben oder die Kontrolle invasiver Algen dazu führt, dass sie sich eher besser ausbreiten. Generell aber entnehme ich der Studie, dass die Kontrolle invasiver Arten eines der wirkmächtigsten Naturschutzinstrumente sein könnte.“

„Jedoch ist schwierig einzustufen, dass doch relativ große Unterschiede in der Anzahl der zugrunde gelegten Studien bestehen. Das drückt sich in den Vertrauensintervallen aus. Die Autoren haben versucht, dies sichtbar zu machen. Es gibt natürlich einen Bias, der daraus resultiert, dass Studien sich häufig auf besonders ‚interessante‘ Beispiele und Feldexperimente konzentrieren. Die Metaanalyse hat versucht, dies aufzufangen – soweit ich das beurteilen kann. Trotzdem – und auch aufgrund des geographischen Bias – wäre ich vorsichtig, die Aussagen direkt für die gesamte Welt zu übertragen. Selbst ähnliche Naturschutzmaßnahmen haben in den unterschiedlichen Weltregionen ziemlich unterschiedliche Ausprägungen und manchmal auch Wirkungen – ich denke hier an die 20.000 Elefanten für Deutschland, weil man etwas zu eifrig war, eine spezielle Art zu schützen.“

Wie können die Ziele des Weltnaturschutzabkommens erreicht werden?

„Die Autor:innen sprechen hier ein zentrales Problem solcher Studien an – die Übertragung und (Hoch-)Skalierung der Studienergebnisse. Naturschutz funktioniert oft punktuell sehr gut, aber – und auch das schreiben die Autor:innen – er ist nicht nur direkt abhängig von dafür gedachten Maßnahmen, sondern auch von anderen Faktoren, zu denen Klimawandel, hoher Stickstoffeintrag, oft aber auch verdeckte Prozesse gehören – zum Beispiel illegale Nutzung von Ressourcen in geschützten Flächen, wie dies in vielen Ländern Asiens und Afrikas, aber teils auch in Europa etwa in Waldgebieten in den östlichen europäischen Ländern trotz Schutzstatus geschieht. Alle Schritte vorwärts, völkerrechtliche Verträge zu vereinbaren, um Biodiversität zu erhalten, besser zu schützen oder auch wiederherzustellen, sind ein wichtiger Schritt. Ob die Ziele von Kunming-Montreal besser verfolgt werden können als die Aichi-Ziele, hängt aber von sehr vielen anderen Faktoren ab.“

„Da ich ziemlich viel in sehr unterschiedlichen Ländern forsche, ist meine vorsichtige Einschätzung, dass solche Erklärungen und Verträge zwar eine große Außenwirkung entfalten, dass aber dabei oft das Problem auf der lokalen Ebene übersehen wird. Die Wahrnehmung von Wert der Natur führt lokal zu direkten Konsequenzen, inwieweit Biodiversität als etwas Schützenswertes oder manchmal auch eher Bedrohliches – zum Beispiel Elefanten und Tiger – empfunden wird, das eine Wertewahrnehmung auf anderer Ebene erfährt. Ich wiederhole mich hier: Die 20.000 Elefanten für Deutschland zeigen das Problem ziemlich deutlich auf. Auch eine Skalenebene höher sieht es nicht immer besser aus. Wanderkorridore zwischen und Vernetzung von Lebensräumen werden beispielsweise in fast allen Weltregionen ziemlich bedenkenlos der Weiterentwicklung der Infrastruktur oder immer größeren homogenen Wirtschaftsflächen geopfert – zum Beispiel für industrialisierte Landwirtschaft.“

„Letztlich müssen wir uns fragen, welche Prioritäten wir Werten bei Entscheidungen geben. Es ist bei einer immer noch steigenden Weltbevölkerung unter Klimawandel trotz aller Bemühungen um Klimaschutz und Regulation von Umweltverschmutzungen schlichtweg eine Frage der Ressourcenkapazitäten. Die Autor:innen schließen damit, dass sie den hohen ökonomischen Wert von Biodiversität betonen, der die dafür notwendigen Investitionen rechtfertigt. Ich schließe mich dem vollumfänglich an, nur findet Ökonomie eben auch ganz lokal statt. Menschen, die hungern oder kein Wasser haben oder vielleicht eine Chance sehen, einen etwas höheren Lebensstandard zu haben, werden sich vermutlich immer erstmal dafür entscheiden, dies zu erreichen (Maslowsche Pyramide). Naturschutz heißt also nicht nur Investitionen für direkte Maßnahmen, sondern würde eine ausgewogene globale ökonomische Entwicklung erfordern, die es erlaubt, den Wert von Natur in die eigene Lebenswelt einbeziehen zu können, weil Raum dafür ist.“

Biodiversität in der Krise trotz wirksamer Maßnahmen?

„Natürlich sind Naturschutzmaßnahmen sinnvoll, weil wir sonst schon weitaus mehr Arten und Lebensräume verloren hätten. Der Artikel zeigt auf, welche Effekte aus einer unglaublich großen Anzahl an Studien zu beobachten sind, die in der Mehrzahl auf positive Wirkungen verschiedener Naturschutzmaßnahmen hinweisen. Er ist nur – als Metaanalyse – nicht so einfach übertragbar, weil jede dahinterstehende Studie eigene Rahmenbedingungen und natürlich auch eigene Ziele hatte. Vielleicht aus einer Perspektive entwickelter Länder – die die Mehrheit der Studien in der Metaanalyse darstellen – ist die Botschaft durchaus sinnvoll. Mit Blick auf Länder in Entwicklung mag sie nicht so einfach übertragen werden, was die Autor:innen aber transparent darstellen. Leider lassen sich Handlungsempfehlungen selbst aus so einer umfassenden Metastudie nicht ableiten, da eben kein differenziertes Bild für die Wirkungsweise von Naturschutzmaßnahmen in deren Kontext ableitbar ist.“

„Der Verlust an Biodiversität – das betonen die Autor:innen – ist nicht Ergebnis nur eines Faktors (Schutz oder Nicht-Schutz), sondern hängt einfach von sehr vielen anderen Faktoren ab. Dies ist zum Beispiel die räumliche Disparität von Klimawandelfolgen und der weiterhin hohe Eintrag von Stickstoff, aber eben auch manchmal einfach Randeffekte – ein Schutzgebiet kann auch zu klein sein, fehlende Vernetzung – Isolation, die zu Verlusten der genetischen Diversität führt – Nebennutzungen (Tourismus), illegale Nutzungen, das Absenken des Grundwasserspiegels durch überhöhte Wassernutzung und so weiter. All das kann eine sehr große Rolle spielen und Schutzbemühungen schlichtweg ad absurdum führen.“

„Naturschutzmaßnahmen sind dennoch unverzichtbar, allerdings muss das Monitoring ihres Erfolgs oder auch Scheiterns schlichtweg den Kontext und möglicherweise nicht vorgesehene Einwirkungen betrachten. Anderweitig ist es schwer zu erklären, warum sie in manchen Fällen den gewünschten Erfolg haben und in anderen nicht. Das ist etwas, worauf die Metastudie hinweist, die ja nur sehr generell Effekte erfasst, aber auch die großen Unsicherheiten / Bandbreiten in der erfassten Wirkung aufzeigt.“