Von Reinhard Zweigler schreibt in der Mittelbayerischen Zeitung:

Die meisten Deutschen haben eine besondere, fast schon mystische Beziehung zum Wald. Dass viele unserer Märchen dort handeln, ist sicher kein Zufall. Das heutige Deutschland war, bis die Römer kamen, weitgehend von Wald mit einheimischen Bäumen bedeckt.

Inzwischen wurde aus dem Waldspaziergang das „Waldbaden“ gemacht. Der erholsame Effekt der Bewegung in ozonreicher, würziger Waldluft ist geblieben. Vor allem Buchen und die „deutsche“ Eiche stehen für den Wald hierzulande.

Dabei hat der Mensch in den vergangenen Jahrhunderten aus wirtschaftlichen Gründen riesige Baum-Monokulturen angelegt. So etwa Fichten, die im Freistaat mit Abstand verbreitetste Baumart.

Der Klimawandel mit den damit verbundenen Wetterextremen macht gerade diesen Nadelwäldern nun extrem zu schaffen. Zunehmende Hitze und Dürren, wie in den vergangenen drei Jahren, sowie verheerende Stürme schädigen vor allem Nadelgehölze. Und Schädlinge wie die Borkenkäfer, fressen sich regelrecht durch die Fichtenwälder. Forsten, die davon befallen sind, etwa im Harz, bieten einen traurigen Anblick.

Der Patient Wald ist zweifellos zu erheblichen Teilen krank. Einige Wälder liegen, wenn man so will, schon auf der Intensivstation. Andere sind bereits verstorben.

Allerdings tobt darum, wie dem Wald zu helfen ist, derzeit ein erbitterter Kampf – in der Politik und in der Forstwissenschaft ebenfalls. Im Juni hatte „Bundeswaldministerin“ Julia Klöckner vor allem Waldbesitzerverbände und Forstexperten zum nationalen Waldgipfel eingeladen. Der bekannte, aber gleichwohl hoch umstrittene Förster Peter Wohlleben veranstaltet jetzt in seiner Waldakademie in der Eifel ebenfalls einen Waldgipfel. Das Motto der Veranstaltung, zu dem auch die SPD-Umweltministerin Svenja Schulze, Grünen-Chef Robert Habeck oder junge KlimaaktivistInnen der Bewegung Fridays-for-Future gekommen sind, lautet etwas reißerisch: Waldsterben 2.0. Das erste Waldsterben, das Ende der 70er Jahre die Nation in Aufregung versetzte, verebbte seinerzeit relativ rasch.

Die Ursachen für den „sauren Regen“, vor allem schwefelhaltige Abgase aus Kohlekraftwerken, wurden nach und nach beseitigt. Heute freilich haben wir es mit einem viel vertrackteren Ursachenkomplex zu tun. Einig sind sich Politik und Forstwissenschaft höchstens, was die Überschrift einer notwendigen „Waldwende“ und die grundlegende Orientierung dafür betrifft.

Es müssen artenreiche und vor allem klimastabile Mischwälder erhalten beziehungsweise geschaffen werden. Doch wie genau dieser Kraftakt bewältigt, wie er finanziert werden soll, darüber gehen die Meinungen und Konzepte weit auseinander. Ein Patentrezept hat keiner.

Wohlleben, Schulze, Habeck und Co. verlangen mehr Zeit für eine natürliche Anpassung des Waldes an die neuen klimatischen Bedingungen. Ein Beispiel, wie dies gelingen kann, lieferte der Nationalpark Bayerischer Wald. Die von Schädlingen und Stürmen heimgesuchten Bäume etwa wurden nicht beräumt, sondern im Wald belassen, was vielen Forstleuten ein Graus war.

Fünf Jahrzehnte später steht dort ein gesunder, artenreicher Mischwald, der übrigens auch Starkregen aufnehmen kann wie ein riesiger Schwamm.Die klassische Forstwirtschaft und Waldbesitzer jedoch verweisen zu Recht darauf, dass Wälder auch bewirtschaftet werden müssen. Holz ist nicht nur ein begehrter Roh- und Baustoff, sondern zugleich ein großer CO2-Speicher, wie die Wälder insgesamt.

Die Grundfrage, die bisherige Waldgipfel nicht wirklich beantwortet haben, lautet: Wie viel ist der Gesellschaft der dringend notwendige Waldumbau wert? Ein Schlüssel dafür ist, dass die vielfältigen Klimaschutzleistungen unserer Wälder künftig vernünftig honoriert werden müssen.