von Till Mansmann*

Wenn jemand zweimal hintereinander auf eine heiße Herdplatte fasst, beginnt man an seiner Lebenstauglichkeit zu zweifeln. Aber ganz Deutschland hat sich nach der Energiekrise 1973 erneut in die Abhängigkeit schwieriger Regierungen gebracht. Das darf keinesfalls ein drittes Mal passieren – und dabei spielen Wasserstoff und die internationale Entwicklungszusammenarbeit eine Schlüsselrolle.

Vor 50 Jahren nutzten die erdölexportierenden Länder der OPEC ihre Marktmacht, um Energie künstlich zu verknappen und damit die Preise zu erhöhen. Damals hat die Bundesrepublik zwar den Schluss gezogen, eine strategische Erdölreserve aufzubauen. Sie hat aber nicht verstanden, dass die einseitige Energieabhängigkeit von Ländern mit problematischen globalstrategischen Ausrichtungen das eigentliche Problem war.

Damals wie heute hat man zu viel Energie darauf verwendet, Symbolpolitik zu diskutieren wie autofreie Sonntage oder Autobahn-Tempolimits. Weil dabei aber der Blick auf diese globalen Zusammenhänge verloren geht, ist es Zeit, einen Schritt zurückzutreten, damit wir von diesen einzelnen Bäumen herunterkommen und den ganzen Wald erkennen können.

Und wenn wir das tun – davon bin ich überzeugt – kommen wir von einer (kurzfristig orientierten) nationalen Energiepolitik schnell auf eine (langfristig orientierte) globale Strategie der wirtschaftlichen Zusammenarbeit – vulgo: Entwicklungspolitik. Als in der Welt vernetzte freiheitliche Demokratie und soziale Marktwirtschaft müssen wir verstehen, dass die von Bundeskanzler Olaf Scholz ausgerufene „Zeitenwende“ nicht nur die ordentliche Ausstattung der Bundeswehr beinhalten darf. Unter anderem brauchen wir eine Strategie, um die gefährlichen Strukturen zu überwinden, die in der globalen Energieversorgung liegen. Dafür gibt es inzwischen eine Phrase, die den Kern richtig beschreibt: der globale Hochlauf einer grünen Wasserstoff-Wirtschaft.

Aber von Anfang an: Der internationale Markt der fossilen Energieträger, also im Wesentlichen Kohle, Erdöl und Erdgas, war nie ein fairer, ordentlich funktionierender Markt. Zu wenige Anbieter sitzen auf zu großen Ressourcen und gleichzeitig werden für die Menschheit wesentliche Folgekosten nicht angemessen eingepreist. Das hat uns nicht nur ein sich gefährlich veränderndes Klima eingehandelt, sondern auch Probleme mit der globalstrategischen Sicherheit.

Aber die fossilen Energien haben auch Milliarden von Menschen in erheblichen Wohlstand gebracht. Die Menschheit hat immer, wenn sie neue Energieressourcen für ihr Dasein erschlossen hat, vom Holz (Feuer) über Kohle (Dampfmaschine), Öl (Verbrennungsmotor) und Gas (Hauswärme und industrielle Nutzung) große Fortschritte gemacht. Gerade in den letzten Wochen wurde der achtmilliardste Mensch geboren – 2030 könnten es alleine in Afrika schon 400 Millionen mehr sein als heute, nämlich 1,7 Milliarden. In diesen Menschen liegt riesiges Potenzial. Außerdem halte es für ökoromantischen Unsinn, die Zeit vor der industriellen Revolution zu verklären. Aber: Die sich daraus ergebenden Herausforderungen müssen wir annehmen.

Für alternative Energien sorgen

Und das heißt: Wir müssen erstmals nicht nur neue Energiequellen erschließen, die größer sind als die bisherigen, sondern wir müssen auch ergiebige, günstig (allerdings nur ohne Kosteninternalisierung!) verfügbare Energiequellen innerhalb kürzester Zeit möglichst vollständig abschalten. Und da wir dafür nicht das Leben von Milliarden Menschen verschlechtern wollen, müssen wir die neue Alternative sofort bereitstellen. Machen wir uns klar: Fossile Energien werden nur im Boden bleiben, wenn wir sie zu einem erschwinglichen Preis ersetzen.

Grüner Wasserstoff kann eine Lösung sein

Diese Alternative ist eben der grüne Wasserstoff, der es ermöglicht, erneuerbare Energien zu speichern und zu transportieren und somit unglaublich reichhaltige Ressourcen auf der ganzen Welt zu erschließen. Allein in Westafrika ist das Potenzial für grünen Wasserstoff mit bis zu 165.000 TWh jährlich 110-mal so groß wie der voraussichtliche Importbedarf Deutschlands im Jahr 2050. Begreifen wir das als Chance: Wir haben nun die Gelegenheit, einen schier unerschöpflichen globalen Energiemarkt mit sehr viel mehr Akteuren zu etablieren, was einen sehr viel faireren Wettbewerb als bisher ermöglicht – und damit vielleicht sogar einen größeren Fortschritt für alle als im fossilen Zeitalter.

Die richtigen Mechanismen, um diesen Markt zu schaffen, sind einerseits die konsequente und ansteigende Bepreisung des CO2-Ausstoßes und andererseits die gezielte, massive Förderung der Innovationen, die auf Seiten erneuerbarer Energiequellen und der Wasserstofftechnologie jetzt nötig sind. Beides ist staatliche Aufgabe, beides erfordert aber auch eine ganz neue Qualität der globalen Zusammenarbeit. Der CDU-Politiker Joe Chialo hat das richtig erkannt: FAIReconomics sagte er kürzlich, wir müssten unsere „strategischen und entwicklungspolitischen Interessen nach Afrika“ ausrichten und dabei „mehr Kooperation auf Augenhöhe, mehr Austausch, mehr wirtschaftliche und kulturelle und gesellschaftliche Perspektiven auf beiden Seiten“ erreichen.

Umdenken ist notwendig

Das erfordert ein Umdenken an vielen Stellen – auch oder gerade bei uns in Europa. Zum Glück bietet die Überarbeitung der Afrikastrategie durch die Bundesregierung dafür gerade die richtige Gelegenheit. Es wäre klug, den Staaten des „globalen Südens“ ein Angebot zu machen, die Herausforderungen der Menschheit gemeinsam anzugehen und zu lösen. Denn nicht nur stehen die westlich orientierten freiheitlich-demokratischen Ordnungen auch hierbei in einem Systemwettbewerb mit autoritären Regimen, die inzwischen wieder offen das Kriegführen als zentrales Instrument ihrer Machtausweitung verstehen. Sondern wir müssen auch einsehen, wie sehr wir Afrika brauchen, wenn diese etwas sperrig als „Transformation“ bezeichnete wirtschaftliche Zeitenwende gelingen soll.

Ohne globale Kooperation geht es nicht

Der Gedanke, die Energiefrage ohne globale Kooperation lösen zu wollen, ist einer dieser Bäume, von denen wir heruntermüssen, wenn wir den ganzen Wald erkennen und erhalten wollen: Wir müssen einsehen, dass Deutschland wie in der Vergangenheit auch künftig über Jahrzehnte von Energie-Importen abhängig sein wird – alleine weil uns sowohl die freien Flächen als auch genügend erneuerbaren Energien fehlen für eine autarke Energieversorgung.

Ein anderer ist die gerade in Deutschland verbreitete Ablehnung von Technologieoffenheit, zum Beispiel von E-Fuels. In Afrika wird man mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit besser mit anderen Modellen fahren, als ausschließlich auf Batteriemobilität zu setzen. Das sind keine schlechten Nachrichten, wenn es uns gelingt, dass die eingesetzten Energieträger grün sind. Auch da müssen wir ehrlich sein: Ohne einen globalen Hochlauf einer grünen Wasserstoffwirtschaft wird auch die Abkehr des globalen Südens von massiven Treibhausgasemissionen nicht gelingen.

Deswegen ist der Hochlauf der globalen Wasserstoffwirtschaft der eigentliche Knackpunkt der Zeitenwende. All das muss auch zu einem Paradigmenwechsel in der Entwicklungszusammenarbeit führen. Wir müssen unsere Scheu vor großen wirtschaftlichen Kooperationsprojekten verlieren und vielmehr darüber nachdenken, wie wir solche großen Projekte, wie sie Wasserstofffabriken für einen globalen Energiemarkt bedeuten, in der Entwicklungszusammenarbeit so begleiten, dass sie Wohlstand und Klimaschutz weltweit erreichen helfen. Ohne staatliche Absicherung, vielleicht sogar direkte Beteiligung, auf beiden Seiten wird das nicht funktionieren.

Aber wir haben dieses Mal die Chance, den beispiellosen Strukturwandel weltweit ohne Weberaufstände und Maschinenstürmereien zu schaffen. Während wir die genaue Ausgestaltung der Anlagen dem Markt überlassen sollten, ist gerade im „globalen Süden“ der hierfür nötige Auf- oder Umbau von grüner Energieinfrastruktur ohne Entwicklungszusammenarbeit in erheblichem Ausmaß nicht zu erreichen. Es werden neue Straßen, Häfen und Städte an Orten entstehen, die bislang eher lebensfeindlich wirken, weil dort Sonne und Wind in besonders hohem Maß verfügbar sind. Andere Städte werden sich massiv verändern.

Beispiel Namibia

Das vielversprechende Pilotprojekt in Lüderitz, Namibia, zieht bereits jetzt Menschen an, die auf Anstellung hoffen. 3.000 feste Jobs in der Wasserstoffindustrie sollen hier entstehen, dazu werden während der Bauphase bis zu 15.000 Arbeiter benötigt. Diese Menschen, die für die globale Energieversorgung und für den Klimaschutz arbeiten, brauchen Infrastruktur: Wasserversorgung und Abwasseraufbereitung, Kindergärten, Schulen und natürlich selbst eine ordentliche Energieversorgung.

Gleichzeitig müssen wir unbedingt aus den Fehlern früherer Großprojekte wie Desertec lernen und neue neokoloniale Pseudo-Partnerschaften verhindern. Es geht nicht darum, einseitig Bedürfnisse Europas zu befriedigen, sondern darum, gemeinsam eine ganz neue Kooperationsebene für klimaresiliente Entwicklung zu erreichen, ohne die alle globalen Klimaschutzverträge zur Makulatur zu werden drohen. Aber die Zeit ist knapp, wenn wir es ernst mit dem Ziel der Klimaneutralität bis 2045 (Deutschland) oder 2050 (EU) meinen. Daher müssen wir jetzt von den ideologischen Bäumen herunterkommen und uns gemeinsam um den ganzen Wald kümmern. Wenn Entwicklungszusammenarbeit diese Rolle bekommt, können wir die globale Herausforderung Klimakrise auch global bewältigen und uns gleichzeitig frei von Abhängigkeiten machen.

 

  • Till Mansmann ist entwicklungspolitischer Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion und Innovationsbeauftragter „Grüner Wasserstoff“ im Bundesministerium für Bildung und Forschung.