Das Jahr 2023 hat in der Geschichte der Klimaaufzeichnungen einen beunruhigenden Meilenstein erreicht: Mit einer globalen Durchschnittstemperatur, die 1,45 Grad Celsius über dem vorindustriellen Niveau liegt, wurde es zum wärmsten Jahr seit Beginn der systematischen Wetteraufzeichnungen. Ein umfassender Bericht der Weltorganisation für Meteorologie (WMO), der kürzlich veröffentlicht wurde, beleuchtet die drastischen Veränderungen im Klimasystem der Erde, die weit über einfache Temperatursteigerungen hinausgehen.

Eines der markantesten Phänomene des vergangenen Jahres ist die außergewöhnlich hohe Temperatur der Ozeanoberflächen, die seit März 2023 beobachtet wurde. Die WMO identifiziert das Klimaphänomen El Niño als einen wesentlichen Treiber hinter dieser Entwicklung. El Niño, das sich im Laufe des Jahres entwickelte und im September seinen Höhepunkt erreichte, ist bekannt für seine Fähigkeit, globale Wetterphänomene zu beeinflussen. Jedoch deuten die ungewöhnlichen Temperaturen im nordöstlichen Atlantik darauf hin, dass weitere Faktoren im Spiel sein müssen, da diese nicht typisch für El-Niño-Jahre sind.

Um ein breiteres Verständnis der Implikationen dieser Klimarekorde zu gewinnen, hat das SMC (Science Media Center) unabhängige Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu ihrer Einschätzung der Situation befragt. Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Entwicklungen, die entweder als besonders relevant erachtet werden oder die bisher nicht genügend öffentliche Aufmerksamkeit erhalten haben. Ein zentrales Thema in diesen Gesprächen war die Konsistenz der beobachteten Phänomene mit aktuellen Klimamodellierungen und die daraus resultierenden Erwartungen für 2024 und die folgenden Jahre.

Die Expertinnen und Experten äußerten sich auch zu den potenziellen Langzeitfolgen der anhaltend hohen Meerestemperaturen auf marine Ökosysteme, insbesondere auf Korallenriffe. Diese empfindlichen Lebensräume sind von großer Bedeutung für die biologische Vielfalt der Ozeane und bieten Schutz und Nahrung für zahlreiche Meerestiere. Die anhaltende Erwärmung stellt daher eine ernsthafte Bedrohung für diese Ökosysteme dar, mit möglichen weitreichenden Konsequenzen für die marine Biodiversität und die menschlichen Gemeinschaften, die von diesen Ökosystemen abhängig sind.

Neben den unmittelbaren Auswirkungen auf das Klima und die natürlichen Ökosysteme beleuchtet der Bericht der WMO auch die sozialen und ökonomischen Folgen des Klimawandels. Von extremen Wetterereignissen über Veränderungen in den Mustern von Niederschlägen und Temperaturen bis hin zu den Herausforderungen im Klimaschutz – die Komplexität und das Ausmaß der Aufgabe, die vor uns liegt, ist enorm.

Während der Bericht in einigen Bereichen Hoffnung gibt und Fortschritte im Kampf gegen den Klimawandel aufzeigt, bleibt die grundlegende Botschaft eine der Dringlichkeit. Die Entwicklungen des Jahres 2023 unterstreichen die Notwendigkeit, die Bemühungen zur Minderung des Klimawandels zu intensivieren und Anpassungsstrategien zu entwickeln, die unsere Resilienz gegenüber seinen unvermeidlichen Auswirkungen stärken.

► Dr. Helge Gößling

Klimaphysiker und Arbeitsgruppenleiter, Abteilung Klimadynamik, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven

Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023

„Der Bericht listet zahlreiche Indikatoren auf, die das ungebremste Fortschreiten des Klimawandels klar dokumentieren. Nicht nur die große Zahl kurzfristiger Extreme wie Hitzewellen, Dürren und Starkregen, sondern auch die dokumentierte Entwicklung langsamerer Folgen der Erwärmung sind eindeutige Zeichen eines zunehmend starken Wandels. Hierzu zählt insbesondere die stetige Zunahme der Wärmemenge in den Meeren, der schneller werdende Schwund der Eisschilde und Gletscher und der daraus resultierende beschleunigte Meeresspiegelanstieg.“

„Das zunehmende Tempo beim Ausbau der erneuerbaren Energien ist eine ungemein wichtige Voraussetzung für eine erfolgreiche Dekarbonisierung. Erneuerbare Energien allein genügen jedoch bei weitem nicht, um Netto-Null-Emissionen gegen Mitte des Jahrhunderts zu erreichen. Dazu müsste gleichzeitig die Förderung fossiler Brennstoffe entsprechend heruntergefahren werden und das erhebliche Potenzial natürlicher Kohlenstoffsenken müsste durch einen anderen Umgang mit den Landoberflächen besser genutzt werden.“

Konsistenz mit Klimamodellierungen

„Die Entwicklung ist im Wesentlichen konsistent mit den Projektionen der Klimamodelle. Übrigens ist die Unsicherheit darüber, wie stark die langfristige Erwärmung bei einem bestimmten Emissionspfad sein wird, noch unangenehm groß. Mit der Jahr für Jahr wachsenden Datengrundlage können wir die erwartete Erwärmung zunehmend besser eingrenzen. Die sich abzeichnende kräftige Entwicklung spricht gegen eine Erwärmung im vergleichsweise moderaten Bereich.“

Kommunikation der WMO zum 1,5-Grad-Ziel

„Ich finde es in Ordnung und sinnvoll, die Entwicklung in Bezug zum 1,5-Grad-Ziel zu setzen, solange richtig eingeordnet wird, dass es sich erst einmal um ein einzelnes Jahr handelt, während das 1,5-Grad-Ziel längerfristig zu verstehen ist. Mein Eindruck ist, dass diese Einordnung im Bericht auch gemacht wird.“

Ausblick auf 2024 und die kommenden Jahre

„In vielen Meeresregionen ist durch ein Abklingen von El Niño in den nächsten Monaten mit einer gewissen Beruhigung zu rechnen, sodass sich die Temperaturen um das langfristig erhöhte Niveau herum erstmal wieder einpendeln dürften. Unklar ist jedoch, wie es mit den Rekordtemperaturen im Atlantik weiter geht. Nachdem der Nordatlantik seit März 2023 außergewöhnlich hohe Temperaturen aufweist, zeichnet sich seit Dezember im Südatlantik eine ähnliche Entwicklung ab. Im Atlantik sind solch hohe Temperaturen keine typische Begleiterscheinung von El Niño. Wahrscheinlich spielen natürliche Schwankungen beim Geschehen im Atlantik eine Rolle. Es werden aber auch andere Faktoren diskutiert, die beitragen könnten. Hierzu zählt eine Verminderung der Schwefelemissionen aus dem Schiffsverkehr seit 2020 sowie der Ausbruch eines Unterwasser-Vulkans in 2022. Solange das noch nicht genauer verstanden ist, fällt es schwer, die weitere Entwicklung abzuschätzen. Ich vermute, dass natürliche Schwankungen eine große Rolle spielen und sich daher auch die Anomalien im Atlantik wieder etwas beruhigen dürften.“

„Die unsichere Entwicklung im Atlantik dürfte auch darauf Einfluss haben, ob 2024 im globalen und jährlichen Mittel wärmer wird als 2023. Typischerweise sind die jeweils zweiten El Niño-Jahre noch wärmer als die ersten. Aktuell halte ich beides für ungefähr gleich wahrscheinlich. Dagegen können wir tendenziell damit rechnen, dass die global und jährlich gemittelte Temperatur ab 2025 wieder etwas niedriger ausfallen dürfte. Neue globale Wärmerekorde sind vermutlich mit dem nächsten El Niño zu erwarten.“

► Prof. Dr. Christian Wild

Leiter der Arbeitsgruppe Marine Ökologie, Fachbereich Biologie/Chemie, Universität Bremen

Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023

Mich als Meeresbiologe beunruhigt insbesondere, dass die Geschwindigkeit der Meereserwärmung weiter zunimmt. Sicherlich war 2023 ein außergewöhnliches Rekordjahr mit extrem hohen Wassertemperaturen an vielen Standorten. Hierbei spielt das El-Niño-Klimaphänomen offensichtlich eine wichtige Rolle. Aber viele Daten in dem Bericht deuten an, dass das Jahr 2023 wahrscheinlich die neue Normalität werden wird.“

„Ein wenig Hoffnung geben die angegebenen Zahlen zum Ausbau der erneuerbaren Energiequellen. Es ist gut, dass wir hier in Bewegung kommen. Allerdings ist die Geschwindigkeit dieser Energiewende aller Voraussicht nach nicht schnell genug, um in der nahen Zukunft – das heißt in den nächsten zehn Jahren – einen Effekt auf die Meereserwärmung zu sehen. Wir müssen also unbedingt noch schneller mit der Energiewende werden, besser in der Vermeidung von Treibhausgasemissionen und zugleich müssen wir möglichst schnell technische Lösungen entwickeln, um Treibhausgase aus der Atmosphäre nachhaltig zu entfernen.“

Hohe Meerestemperaturen und marine Ökosysteme

„Auf der Südhalbkugel herrschen im aktuellen Spätsommer sehr hohe Wassertemperaturen jenseits der 30 Grad Celsius, die zu Korallenbleichen führen. Das australische Great Barrier Reef beispielsweise ist im Moment über eine Länge von über 1000 Kilometern von einer ausgedehnten Korallenbleiche betroffen. Es die fünfte Massenbleiche an diesem Riff in den letzten acht Jahren. Es tritt also genau das ein, was befürchtet wurde: Korallenbleichen treten immer häufiger und inzwischen fast jährlich auf. Damit haben die gebleichten Korallen immer weniger Zeit, sich von einer Bleiche zu erholen, bevor die nächste Bleiche auf sie zukommt. Dies führt leider oft zu einem Absterben der geschwächten Korallen.“

„Ich gehe weiterhin davon aus, dass wir auch auf der Nordhalbkugel, vor allem in der Karibik, dieses Jahr wieder frühe und weitreichende Korallenbleichen erleben werden, denn die Wassertemperaturen im Rekordjahr 2023 waren so hoch, dass sie im Winter nicht so abgekühlt sind wie in den Vorjahren. Alles in allem ist das also global gesehen eine extrem angespannte Situation, vor allem für hitzeempfindliche Meeresorganismen wie Korallen und die wertvollen Riff-Ökosysteme, die sie bauen.“

► Dr. Karsten Haustein

Wissenschaftlicher Mitarbeiter in der Abteilung Atmosphärische Strahlung, Institut für Meteorologie, Universität Leipzig

Wichtigste Klima-Entwicklungen 2023

„Die nackten klimatologischen Fakten haben allesamt 2023 für neue Rekorde gesorgt – über Landflächen, über den Ozeanen, speziell über dem Nordatlantik, aber auch in Deutschland wo 2023 das wärmste Jahr seit Aufzeichnungsbeginn war. Daneben ist besonders beunruhigend, dass die Zahl der von Überschwemmung und Dürre betroffenen Menschen im globalen Süden stark zugenommen hat. Damit einhergehend hat sich nicht nur die Zahl der zur Flucht gezwungenen Menschen deutlich erhöht, auch das Problem der Unterernährung hat nach Jahren der Besserung seit circa fünf Jahren global wieder zugenommen. Die Anzahl der von akutem Nahrungsmangel betroffenen Menschen hat sich seit 2019 gar verdoppelt. Die ungleichmäßigen Auswirkungen des Klimawandels, die mit Konflikten und ökonomischen Krisen einhergehen, machen sich somit schon jetzt deutlich bemerkbar.“

„In der öffentlichen Debatte wird hingegen weiterhin so getan, als würden uns einerseits die Probleme des globalen Südens nicht tangieren und als wären andererseits die Klimawandelfolgen durch Technologie schon irgendwie zu bewältigen. Der fehlende Wille einiger Akteure, die Klimakrise ernst zu nehmen, führt auch hierzulande mittlerweile zu konkreten politischen Konflikten und Erosionserscheinungen, die schlimmstenfalls zum Machtgewinn extrem rechter und destruktiver Kräfte führen können. Zumal es sich nicht herumgesprochen zu haben scheint, dass sich Deutschland bereits um knapp über zwei Grad erwärmt hat – 100 Prozent menschengemacht. Tatsache ist, dass die durch Nichthandeln entstehenden Klimawandelfolgekosten die nötigen Kosten, um den Klimawandel rechtzeitig zu stoppen, um fast den doppelten Betrag jährlich übersteigen werden. Mit anderen Worten: Je mehr jetzt investiert wird, um die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu beenden, desto mehr Geld wird insgesamt mittelfristig gespart. Oder noch einfacher: Heutige Untätigkeit wird unsere Kinder und Enkel teuer zu stehen kommen.“

„Anlass zur Hoffnung besteht hingegen hinsichtlich der globalen Energiewende. Der Zuwachs erneuerbarer Quellen hat sich 2023 um circa 50 Prozent im Vergleich zum Vorjahr erhöht. Entsprechend ist das Ziel der Verdreifachung der Kapazität erneuerbarer Energiequellen bis 2030 – ausgehend von 2023 – durchaus realistisch. Skaleneffekte bescheren insbesondere der Solarenergie extreme Wettbewerbsvorteile, sodass fossile Energieträger zur Primärenergiegewinnung eine immer geringere Rolle spielen.“

Konsistenz mit Klimamodellierungen

„Das Rekordjahr 2023 ist absolut konsistent mit den Vorhersagen der Klimamodelle und unserem Verständnis des Klimasystems. Während einige Monate durchaus überraschend hohe neue Rekorde aufgestellt haben, sind solche Sprünge auch in den Modellen zu finden. El Niño ist immer ein potenter Auslöser für neue Rekorde. 2023 kamen einige Episoden mit hoher Temperaturabweichung auf der Südhemisphäre – im Juli und September – sowie im Nordatlantik – vor allem im Juni und Juli – dazu. Beides ist im Rahmen der natürlichen Variabilität.“

„Das zeitgleiche Auftreten mit El Niño hat die Abweichungen so stark nach oben getrieben. So wurden auf dem Nordatlantik schwächere Westwinde und deutlich schwächere Passatwinde als üblich beobachtet, wodurch sich das oberflächennahe Wasser im Sommer stark aufheizen kann. Außerdem wird dadurch weniger Wüstenstaub von der Sahara auf den Atlantik getragen, wodurch mehr Sonnenstrahlung die Ozeanoberfläche erreicht, was zu weiterer Erwärmung führt. Sobald sich die Winde wieder normalisieren, werden auch die Temperaturen wieder zurückgehen.“

Kommunikation der WMO zum 1,5-Grad-Ziel

„Um die Globaltemperatur von 2023 generell einzuordnen zu können, ist die Kommunikation der Durchschnittstemperatur richtig und wichtig. Dass in dem Kontext das zehnjährige Mittel mitkommuniziert wird, ist ebenfalls akzeptabel. Allerdings sind beide Werte für Nicht-Experten oft schwer auseinanderzuhalten. Hier würde ich mir wünschen, dass man den 20-Jahres-Trend stärker in den Vordergrund rückt und den jeweiligen Jahreswert nur als Ergänzung mitliefert. Man könnte es auch als ,Rauschen‘ um den Trend bezeichnen.“

„Für die Bestimmung des 20-Jahres-Trends mit aktuellem Jahr als Mittelwert stehen mittlerweile mehrere verlässliche Methoden zur Wahl. Copernicus hat zum Beispiel ein Tool entwickelt, mit dem mittels 30-Jahres-Trend und Extrapolation das Jahr der Überschreitung von 1,5 Grad global gut abgeschätzt werden kann [1]. Eine solche Grafik, in der der Wert für 2023 optimal kontextualisiert werden kann, würde ich mir für sämtliche Kommunikationsbemühungen wünschen, was Jahres- beziehungsweise Rekordwerte angeht.“

Ausblick auf 2024 und die kommenden Jahre

„El Niño ist bereits in der Auflösungsphase. Die Ozeantemperaturen im tropischen Pazifik werden nun kontinuierlich sinken und wahrscheinlich werden in der zweiten Jahreshälfte La-Niña-Bedingungen herrschen. Der Nordatlantik ist gegenwärtig immer noch vergleichsweise warm. Hier hängt die weitere Entwicklung von den Windanomalien ab. Eine Vorhersage dazu ist – im Gegensatz zum Pazifik – zum aktuellen Zeitpunkt nicht möglich.“

„Es müssten aus jetziger Sicht schon einige Zufälle zusammenkommen, dass 2024 noch einmal wärmer als 2023 wird. Dazu sind die ersten zweieinhalb Monate zu unauffällig geblieben, was die Globaltemperatur angeht. Üblicherweise ist das Jahr nach El Niño – im aktuellen Fall also 2024 – durch die angesprochenen Anomalien im Nordatlantik das wärmere Jahr. Aber vor allem in der Südhemisphäre war 2023 wärmer als der Erwartungswert. 2024 müsste auf der Südhalbkugel demnach mit ähnlichen Rekorden aufwarten, um noch einmal wärmstes Jahr zu werden. Das ist denkbar, aber in meinen Augen unwahrscheinlich. Daher wird 2024 realistischerweise gleich warm oder etwas kühler als 2023 ausfallen. 2025 wird dann ziemlich sicher noch einmal unter beiden Jahren liegen.“

Hohe Meerestemperaturen und marine Ökosysteme

„Für die Ozeane und damit die marinen Ökosysteme war 2023 ein verheerendes Jahr. Fast überall hat es im Laufe des vergangenen Jahres starke marine Hitzewellen gegeben. El Niño ist allgemein ein Auslöser für Massensterben von Korallenriffen. Der fortschreitende Klimawandel macht die Situation für Korallen aber auch so immer schwieriger. Es mag zwar resistente Formen geben, die sich auch an wärmeres Wasser anpassen können, dies ist bisher jedoch reine Spekulation. Fischsterben und Ozeanversauerung sind weitere Probleme, die die Vielfalt mariner Ökosysteme bedrohen. Mit der nun anstehenden La Niña wird es zwar eine Atempause für einige Korallenriffe geben, die Zahl mariner Hitzewellen wird dennoch nur geringfügig abnehmen.“

[I] University of Maine: Climate Reanalyzer. Daily Sea Surface Temperature. Stand: 18.03.2024.