Die detaillierte Analyse der einzelnen Sektoren zeigt signifikante Unterschiede in den Emissionsraten. Im Energiebereich wurde ein Rückgang von 20,1 Prozent verzeichnet, hauptsächlich bedingt durch den geringeren Einsatz fossiler Brennstoffe. Der Industriebereich verzeichnete eine Abnahme von 7,7 Prozent, hauptsächlich aufgrund der reduzierten Nutzung fossiler Energieträger, was in einer negativen wirtschaftlichen Lage und gestiegenen Produktionskosten begründet liegt. Der Gebäudesektor erreichte eine Reduktion um 7,5 Prozent, unterstützt durch einen milden Winter und den vermehrten Einbau von Wärmepumpen, obwohl er die Klimaschutzziele um 2 Millionen Tonnen verfehlte. Der Verkehrssektor sah einen geringeren Rückgang von 1,2 Prozent und übertraf damit deutlich die Zielvorgaben.
Wirtschafts- und Klimaschutzminister Robert Habeck betonte in einer Pressekonferenz die positive Entwicklung, die teilweise auch auf die aktuelle Rezession und hohe Energiepreise zurückzuführen ist, die zu einem reduzierten Energieverbrauch führten. Dirk Messner, Präsident des Umweltbundesamtes, präsentierte bemerkenswerte Emissionsdaten und Projektionszahlen, die Hoffnung für die Erreichung der Klimaziele bis 2030 geben. Es wurde weniger Strom verbraucht und in manchen Branchen führten die hohen Energiepreise zu deutlichen Produktionsrückgängen. Deutschland war zudem erstmals seit vielen Jahren ein Nettostromimporteur, was die nationalen Emissionszahlen positiv beeinflusste.
Die Projektionen für 2030 zeigen, dass die Sektoren Energie, Industrie, Landwirtschaft und Abfallwirtschaft die im Klimaschutzgesetz festgelegten Ziele übertreffen könnten, während der Verkehr und der Gebäudesektor hinter den Erwartungen zurückbleiben. Dennoch könnten die Gesamtziele des Klimaschutzgesetzes für 2030 um 47 Millionen Tonnen übertroffen werden.
Habeck und Messner betonten die Bedeutung der fortgesetzten Entwicklung im Bereich der erneuerbaren Energien, insbesondere der Photovoltaik, obwohl der Ausbau der Windkraft und des Netzes nur langsam voranschreitet. Die neuesten Zahlen unterstreichen die Notwendigkeit, die ambitionierten Transformationsziele weiterzuverfolgen, trotz der vielen Unsicherheiten, die mit solchen Projektionen einhergehen. Habeck sieht Deutschland auf einem guten Weg, seine langfristigen Umwelt- und Klimaziele zu erreichen, ein Erfolg, der auch aufgrund der negativen Effekte der schlechten Wirtschaftslage mit Vorsicht zu genießen ist.
Das ScienceMedia Centre hat wissenschaftliche Experten zu den Ergebnissen befragt:
► Dr. Gunnar Luderer
Leiter der Arbeitsgruppe Energiesysteme und stellvertretender Leiter der Forschungsgruppe Transformationspfade, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK)
„Ich sehe das nicht ganz so rosig wie das BMWK und das UBA – insbesondere in Bezug auf Verkehr und Gebäude geht die Umstellung auf E-Autos und Wärmepumpen viel zu langsam voran.“
„Die vom Umweltbundesamt heute veröffentlichten Emissionsdaten bestätigen bisherige Abschätzungen und Trends [1] [2] [3]: Während bei Energiewirtschaft und Industrie die Emissionen rasch sinken, liegen die Emissionen aus Verkehr deutlich und die Emissionen des Gebäudesektors leicht über den Zielvorgaben des Klimaschutzgesetzes. Dies liegt vor allem am schleppenden Umstieg von Verbrennerautos und fossilen Heizungssystemen auf Elektromobilität und Wärmepumpen.“
„Der starke Rückgang der Emissionen ist in der Tat vor allem auf Sondereffekte zurückzuführen. Bemerkenswert sind vor allem die Auswirkungen der Gaskrise auf die Industrie: Die hohen Energiepreise führten zu einem starken Produktionsrückgang bei der energieintensiven Grundstoffindustrie. Dieser Produktionsrückgang erklärt einen großen Teil der 7,7 Prozent Emissionsminderung des Industriesektors. Zudem ist der Stromverbrauch der Industrie gesunken, was wiederum zu niedrigen Emissionen in der Energiewirtschaft geführt hat.“
„Es zeigt sich, dass die deutsche Wirtschaft einen Strukturwandel durchlaufen muss – weg von einer Energieversorgung, die auf billiges, aber klimaschädliches russisches Erdgas setzt und hin zu einem Geschäftsmodell, das auf Innovationen und Erneuerbaren basiert.“
„Bei der Gebäudewärme führten einerseits die milde Witterung und andererseits die Sparsamkeit der Verbraucherinnen und Verbraucher zu Einsparungen – bei der energetischen Sanierung von Häusern und bei der Umstellung auf nicht-fossile Heizungen geht es aber viel zu schleppend voran. Besonders erschreckend: Im vergangenen Jahr wurden 900.000 Gas- und Ölheizungssysteme installiert – ungefähr 40 Prozent mehr als im Vorjahr [2] [4]. Angesichts ihrer langen Lebensdauer drohen diese fossilen Heizungen dauerhaft unsere Abhängigkeit von fossilen Energieträgern zu zementieren und die Erreichbarkeit der Klimaziele für 2030 und 2040 zu gefährden. Einziger Lichtblick auf dem Heizungsmarkt: Der Absatz von Wärmepumpen stieg um 51 Prozent auf 350.000 – nicht ausreichend, aber ein Schritt in die richtige Richtung.“
„Auch für den Verkehr sind die Zahlen sehr ernüchternd: Die Emissionen verbleiben auf viel zu hohem Niveau, die öffentlichen Verkehrsmittel sind überlastet und werden nicht schnell genug ausgebaut, der Anteil von E-Autos an Autoverkäufen stagniert, während über zwei Millionen Verbrenner neu zugelassen wurden [5]. Angesichts dieser strukturellen Fehlentwicklungen ist nicht abzusehen, dass der Verkehrssektor seinen Anteil an den notwendigen Emissionsminderungen zur Erreichung der Klimaziele für 2030 leisten kann.“
„Um die Sektoren Verkehr und Gebäudewärme auf Kurs zu bringen, ist es vor allem wichtig, bei Neuanschaffungen sicherzustellen, dass diese mit dem Ziel der Klimaneutralität vereinbar sind. Für die Politik heißt das konkret: Verbraucherinnen und Verbraucher müssen dabei unterstützt werden, auf klimafreundliche Technologien wie Elektroautos und Wärmepumpen umzusteigen. Neuverkäufe von fossilen Heizungssystemen und Verbrennerautos drohen hingegen, die Klimaziele außer Reichweite zu rücken, und müssen daher stärker reguliert werden. Zudem brauchen wir einen höheren und glaubwürdigen CO2-Preis auch für diese Sektoren.“
„Die Emissionen aus der Energiewirtschaft und großen Industrieanlagen sind durch den europäischen Emissionshandel reguliert und gedeckelt – diese Sektoren sind klar auf Kurs zur Erreichung der Klimaziele.“
„Gemäß den Vereinbarungen zur europäischen Lastenteilung liegt hingegen die Erreichung der Klimaziele für Gebäude, Verkehr und Landwirtschaft in der direkten Verantwortung der Einzelstaaten. Gerade in diesen Sektoren hat Deutschland besonders große Probleme. Hier drohen Strafzahlungen oder Kosten in Milliardenhöhe für den Ankauf von Emissionsrechten aus anderen EU-Staaten, wenn die Ziele verfehlt werden.“
► Prof. Dr. Jan Christoph Minx
Leiter der Forschungsgruppe Angewandte Nachhaltigkeitsforschung, Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change gGmbH (MCC), Berlin
„Die Treibhausgasemissionen sinken im Jahr 2023 auf einen historischen Tiefstand – tiefer als jemals zuvor in den vergangenen 70 Jahren. Der Klimaschutz kommt endlich wieder voran, nachdem die Emissionsreduktionen zwischen 2020 und 2022 stagnierten. Mit 10,1 Prozent gegenüber 2022 ist der Rückgang der größte seit 1990. Das zeigen die vom Umweltbundesamt vorgelegten, offiziellen Zahlen zu den Treibhausgasemissionen in Deutschland. Diese decken sich mit den im Januar vorgelegten Schätzungen der Agora Energiewende [1].“
„Die gute Nachricht ist: Die Reduktionen sind nicht nur krisenbedingt. Natürlich spielen das schwache Wirtschaftswachstum und der Krieg in der Ukraine eine Rolle, aber es gibt handfeste Belege für Fortschritt beim Klimaschutz. Gerade im Energiesektor machen wir große Fortschritte. So ist der Anteil der erneuerbaren Energien an der Stromproduktion höher denn je, die Kohleverstromung geht zurück und der Zubau von Photovoltaik-Anlagen bricht den bisherigen Rekord aus dem Jahre 2012 um das Doppelte.“
„Aber da ist auch viel Wasser im Wein, weil der Gebäudesektor und der Verkehrssektor abermals ihre Ziele verfehlen – im Verkehr krachend. Was Sorge bereitet ist, dass die Dekarbonisierung in den Sektoren einen Umbau der Infrastruktur erfordert. Neue fossile Infrastruktur verteuert den Klimaschutz. So wurden zwar 2023 so viele Wärmepumpen eingebaut wie niemals zuvor. Aber im Verkehrsbereich müssen wir endlich über die Elektrifizierung der Fahrzeugflotte hinausdenken und durch ein besseres Angebot auf der Schiene und im ÖPNV qualitativ hochwertige Alternativen schaffen – sonst wird sich der Erfolg nicht fristgerecht einstellen.“
„Kein Grund also zum Übermut. Es gilt zunächst, den Rückgang der Treibhausgasemissionen wieder zu verstetigen. Das erfreuliche Ergebnis darf keine Eintagsfliege sein – die Emissionen müssen auch weiter zügig sinken, wenn die deutsche Wirtschaft wieder schneller wächst.“
zitierte Quellen:
[1] Agora Energiewende (2024): Die Energiewende in Deutschland: Stand der Dinge 2023, Rückblick auf die wesentlichen Entwicklungen sowie Ausblick auf 2024.
[2] Ariadne-Transformationstracker : Ist die Energiewende auf Kurs? Ariadne Webseite.
[3] Roth A et al: OpenEnergyTracker: Deutschland.
Der Open Energy Tracker ist eine am DIW Berlin entwickelte offene Datenplattform, die energiepolitische Ziele und ihre Erreichung visualisiert.
[4] Bundesverband der Deutschen Heizungsindustrie (2024): Marktentwicklung Wärmemarkt 2023.
[5] Kraftfahrtbundesamt (2024): Neuzulassungen von Personenkraftwagen (Pkw) im Jahresverlauf 2023 nach Marken und alternativen Antrieben.
[…] the previous year. However, this is also due to the decline in economic output. deutschlandfunk.de, fair-economics.de. wirtschaftswoche.de […]
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