Gestern Nacht hat sich der EU-Trilog aus Parlament, Kommission und Rat zum Reenaturierungsgesetz geeinigt. Den Pressemitteilungen von Rat und Parlament zufolge müssen die Mitgliedstaaten in mehreren Schritten die vom Gesetz abgedeckten Lebensräume in einen guten Zustand versetzen, zum Jahr 2030 insgesamt 30 Prozent der Flächen, bis 2050 schließlich 90 Prozent.
Im Gegensatz zum Parlamentsvorschlag soll ein Teil der Moore wiedervernässt werden, allerdings ohne die Landbesitzer dazu zu zwingen. Zudem sollen bis zum Jahr 2030 Natura-2000-Schutzgebiete prioritär renaturiert werden. Die Einigung des Trilogs muss nun im nächsten Schritt von den Mitgliedstaaten und dem Parlament final angenommen werden.
Das Renaturierungsgesetz soll als zentraler Teil des Green New Deals dafür sorgen, degradierte Ökosysteme wieder in einen guten Zustand zu versetzen. Die EU-Kommission will mit dem Gesetz die Mitgliedstaaten verpflichten, Städte zu begrünen, trockengelegte Moore wiederzuvernässen, die Ökosysteme der Meere instand zu setzen sowie Flüsse und Wälder naturnaher zu gestalten. Auch Äcker und Weiden sollten insekten- und vogelfreundlicher gestaltet und der Rückgang an Bestäubern aufgehalten werden.
Im Juli 2023 hatte das EU-Parlament dem Renaturierungsgesetz zugestimmt, was direkt nach der Abstimmung als großer Erfolg für den Umweltschutz vermeldet wurde. Erst bei einem genaueren Blick auf die Abstimmungsdetails wurde klar, dass der ursprüngliche Kommissionsvorschlag vom Parlament an entscheidenden Stellen stark verändert worden war: Etwa wurde der Artikel zur Renaturierung in der Landwirtschaft und Wiedervernässung von Mooren gänzlich vom Parlament abgelehnt. Zudem wurden bindende Ziele gestrichen und durch weniger strikte Formulierungen ersetzt.
Mit den Statements der Expertinnen und Experten hoffen wir, solche wichtigen Details für die Einigung des EU-Trilogs besser einordnen zu können. Wir haben die Forschenden gebeten, zu erläutern, was sich auf Basis der Pressemitteilung schon über das Gesetz sagen lässt und die Bedeutung für den europäischen Umweltschutz zu bewerten. Der vollständige Gesetzestext wird erst einige Wochen nach der Einigung veröffentlicht werden.
Statements zum Gesetzesvorhaben:
► Prof. Dr. Katrin Böhning-Gaese
Direktorin Senckenberg Biodiversität und Klima Forschungszentrum, Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung (SGN), Frankfurt am Main, und Professorin am Institut für Ökologie, Evolution und Diversität, Johann Wolfgang Goethe-Universität, Frankfurt am Main
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Das Renaturierungsgesetz spielt eine zentrale Rolle für die Umsetzung der Ziele des Weltnaturgipfels in Montreal 2022 und des Green Deals. Dies ist die wichtigste Maßnahme für die Natur seit dem Natura 2000-Beschluss im Jahr 1992. Europa wird damit Vorreiter in Sachen nachhaltige Landnutzung und Naturschutz. Das Gesetz dient explizit der Wiederherstellung von Ökosystemen. Das ist essenziell für den Schutz von Biodiversität und Klima, und gleichermaßen für die Sicherung der Ernährung, der Wirtschaft und unserem Wohlergehen.“
„Die Ergebnisse des jetzt im Trilog verhandelten Gesetzes sind ganz erstaunlich ambitioniert. Die Sektoren, die bei den Verhandlungen im Parlament gestrichen wurden, das heißt der Landwirtschaftssektor und die Wiedervernässung von Mooren sind wieder aufgenommen. Die Ziele sind auch im Landwirtschaftsbereich sehr konkret und mit klaren Indikatoren unterlegt. So müssen die Bestände an Schmetterlingen und an Feldvögeln in Zukunft wieder ansteigen. Das ist ausgesprochen erfreulich. Allerdings ist die Wiedervernässung von Mooren für Landwirt*innen und für private Landbesitzer*innen nicht verpflichtend. In Zukunft wird es also darum gehen, diese für die Umsetzung des Renaturierungsgesetzes zu gewinnen, zum Beispiel durch angemessene finanzielle Unterstützung.“
Offene Fragen?
„In der Pressemitteilung werden wichtige Aspekte des neuen Gesetzes abgebildet.“
Öffentliche Debatte zum Renaturierungsgesetz
„In der öffentlichen Diskussion wurden überraschende neue ‚Frontlinien‘ in politischen Konflikten sichtbar. Auf der einen Seite gab es die Christdemokraten, die in Allianz mit rechten Parteien und konservativen Bauernverbänden mit aller Kraft versucht haben, das Gesetz zu versenken. Auf der anderen Seite standen mehr als 6000 Wissenschaftler*innen, Naturschutzverbände, Biobauernverbände und eine Gruppe von mehr als 100 Unternehmen, darunter Nestlé, Coca-Cola und IKEA, die sich für das Gesetz stark gemacht haben. Die zweite Gruppe kann man als Stimme der Vernunft verstehen.“ „Es ist aus wissenschaftlicher und ökonomischer Sicht glasklar, dass wir Natur besser schützen und wiederherstellen müssen, wenn wir heute und in Zukunft ein gutes Leben auf der Erde führen möchten. Im Trilog hat nun die Stimme der Vernunft gesiegt; wir können für Natur und Mensch optimistischer in die Zukunft sehen.“
► Prof. Dr. Sebastian Lakner
Professor für Agrarökonomie, Agrar- und Umweltwissenschaftliche Fakultät, Universität Rostock
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Das Renaturierungsgesetz ist aus Sicht des Schutzes der Artenvielfalt ein wichtiges Gesetzesvorhaben. Der Standpunkt von Parlament und Rat, über den im Trilog verhandelt wurde, enthielt zahlreiche Schwächungen und Lücken des Renaturierungsgesetzes, wie beispielsweise das Streichen von Naturschutzgebieten in Agrarräumen und das Weglassen der Moorrenaturierung. Die Schwächung dieses Gesetzesvorhabens erfolgte mit teilweise nicht nachvollziehbaren Argumenten. Es ist grundsätzlich zu begrüßen, dass durch die Verhandlungen die Naturschutzgebiete in der Agrarlandschaft und die Moore wieder Teil des Gesetzes sind. “
Offene Fragen?
„Eine abschließende Bewertung des Kompromisses lässt sich jedoch ohne Kenntnis der ausgehandelten Details nicht seriös vornehmen. Es bleibt offen, ob das ausgehandelte Renaturierungsgesetz ausreicht, um die rückläufigen Trends bei Artenvielfalt und Lebensräumen zu stoppen.“
► Prof. Dr. Henrique Pereira
Leiter der Forschungsgruppe Biodiversität und Naturschutz, Deutsches Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Das Renaturierungsgesetz ist ein großer Erfolg für den Umweltschutz in der EU. Es ist der erste rechtlich bindende Mechanismus für Biodiversität der letzten drei Jahrzehnte seit der Habitat- und der Vogelschutzrichtlinie. Trotz schwieriger Verhandlungen zwischen Parlament und Kommission bleibt das Gesetz im Kern ambitioniert: 20 Prozent der Land- und Seeflächen sollen bis 2030 renaturiert werden sowie 90 Prozent der Habitate in schlechtem Zustand bis 2050. Das Gesetz deckt alle wichtigen Ökosysteme ab und wird zu mehr Biodiversität und resilienteren Wäldern beitragen, zu mehr nachhaltiger Landwirtschaft, wilderen Flüssen und zur Vermeidung von Treibhausgasemissionen aus Europas Mooren.“
„Europa bekommt dadurch eine Führungsrolle in der Welt, wenn es darum geht, die Ziele des globalen Übereinkommens über die biologische Vielfalt zu erreichen. Nun ist die große Herausforderung, nationale Renaturierungspläne der Mitgliedstaaten zu designen und zu implementieren und den Fortschritt sowie das Management zu monitoren. Um das zu schaffen, brauchen wir eine besonders gute Kooperation von der wissenschaftlichen Community mit den ‚resource managers‘, also denjenigen, die sich um die Landschaften kümmern, wie etwa Bauern, Förstern oder Managern geschützter Flächen.“
► Prof. Dr. Josef Settele
Leiter Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Halle, und Mitglied im Sachverständigenrat für Umweltfragen (SRU) der Bundesregierung
Bewertung des Renaturierungsgesetzes
„Die Ergebnisse sind ein wichtiger Schritt nach vorne. Die Restauration von Ökosystemen auf 20 Prozent der Fläche bleibt allerdings noch hinter den 30 Prozent zurück, die die globale Staatengemeinschaft inklusive der EU und ihre Mitgliedstaaten in Montreal im letzten Dezember als Ziel vereinbart hatten.“
„Ich finde es sehr gut, dass man sich auch auf die Restauration der Agrarlandschaften einigen konnte und einige der wichtigen Indikatoren erhalten geblieben sind. Zu diesen zählt der Grünland-Indikator für Schmetterlinge, der im Laufe der letzten Jahrzehnte durch intensive standardisierte europaweite Kooperation zwischen Wissenschaftlern und Citizen Scientists entwickelt und mit Leben erfüllt wurde. Die Datenerhebung für diesen Indikator wird für Deutschland durch uns am Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) koordiniert. Ungünstig finde ich allerdings, dass die Ermittlung dieser Indikatoren nur alle sechs Jahre stattfinden soll, da wären engere Zeitintervalle besser gewesen, um auch zügig Entwicklungen positiver wie negativer Art feststellen und auf diese reagieren zu können.“
„Als Damoklesschwert sehe ich bei den Agrarsystemen die Notbremse, die besagt, dass die Ziele unter außergewöhnlichen Umständen aufgegeben werden können, sofern sie ernsthafte EU-weite Konsequenzen für die Verfügbarkeit von Fläche darstellen, um eine ausreichende landwirtschaftliche Produktion für den EU-Nahrungsmittelkonsum bereitzustellen. Hier zeigt sich, dass es immer noch nicht zum Allgemeinwissen gehört, dass die Restauration unter den Rahmenbedingungen einer Transformation des Agrarsystems die Produktion von Nahrungsmitteln verbessern kann.“
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