Migration und europäische Integration zählen zu den meistdiskutierten Themen in Europa und entfachen regelmäßig lebhafte Debatten. Lange herrschte die Annahme, dass sich die Einstellungen zu diesen Themen klar entlang sozialer und beruflicher Linien trennen:

Wirtschaftlich besser gestellte Städter, offen für die EU und Einwanderung, im Gegensatz zu den skeptischeren, weniger gut verdienenden Bevölkerungsgruppen in ländlichen und vorstädtischen Gebieten. Diese Sichtweise prägte politische Diskurse sowie die mediale Berichterstattung. Eine neue Studie der Freien Universität Berlin, veröffentlicht im Fachjournal „European Societies“, stellt diese Vorstellung jedoch in Frage.

Unter der Leitung von Professorin Dr. Céline Teney und Dr. Stephan Dochow-Sondershaus enthüllt die Untersuchung, dass die angenommene Kluft bei Themen wie Migration und EU-Zugehörigkeit weniger stark ausgeprägt ist, als oft vermutet. Obwohl Personen in geringer qualifizierten Berufen tendenziell kritischer gegenüber Migration und der EU eingestellt sind, zeichnet sich bei genauerer Betrachtung ein vielschichtigeres Bild: Eine beachtliche Zahl unter ihnen steht Einwanderung positiv gegenüber, und die Meinungen innerhalb dieser Gruppe variieren stark.

Die Studie widerlegt die Idee einer geschlossenen Front gegen die sogenannten Eliten und unterstreicht die Meinungsvielfalt auch innerhalb der weniger qualifizierten Berufsgruppen. Dies deutet darauf hin, dass einfache Zuordnungen und Generalisierungen politischer Einstellungen basierend auf beruflicher Klassenzugehörigkeit unzutreffend sind. Versuche, die Arbeiterschaft für bestimmte politische Richtungen zu gewinnen, scheitern demnach oft an der heterogenen Meinungslage.

Die Autoren mahnen jedoch zur Vorsicht und verweisen auf die USA, wo Narrative von der Entfremdung zwischen „Eliten“ und „gewöhnlichen Bürgern“ tiefe gesellschaftliche Spaltungen verursacht haben. Sie betonen die Wichtigkeit, wachsam zu bleiben und Entwicklungen kritisch zu beobachten, um ähnliche Spaltungen in Europa zu vermeiden.

Basierend auf der umfassenden Analyse von Daten aus vier anerkannten Umfragen über mehr als 30 Jahre bietet diese Forschungsarbeit eine fundierte Basis für eine neue Sichtweise auf Europas soziale und politische Landschaft. Die Ergebnisse fordern gängige Annahmen heraus und eröffnen neue Perspektiven auf die Dynamiken von Migration, europäischer Integration und sozialer Kohäsion.