Die Jagd auf Wölfe soll in Deutschland künftig leichter möglich sein als bisher, wenn ein Wolf Weidetiere in einer Region gerissen hat. Diesen Vorschlag hat heute Bundesumweltministerin Steffi Lemke unterbreitet.

Der Vorschlag zum „guten und konstruktiven Umgang mit dem Wolf“ sieht vor, dass künftig ein Wolf nach dem ersten Riss eines Weidetier ohne DNA-Test innerhalb von 21 Tagen im Umkreis von einem Kilometer um den Ort des Risses erlegt werden darf. Voraussetzung dafür ist, dass der Wolf für den Riss eine wirksame und zumutbare Herdenschutzmaßnahme einmalig überwunden hat. Bei der Pressekonferenz zur Veröffentlichung des Vorschlages beschreibt Steffi Lemke dies als eine erfolgversprechende Maßnahme, da Wölfe nach einem Riss auf der Suche nach erneuter Beute häufig zur entsprechenden Weide zurückkehren würden. Mit einem nachgelagerten DNA-Test könnte überprüft werden, ob tatsächlich der „schadverursachende“ Wolf getötet wurde.

Im November soll die Umweltministerkonferenz der Länder einen Beschluss zu dem Vorschlag fassen, mit dem Ziel, dass die Regelung zur nächsten Weidesaison in Kraft und bereits ab dem 01.01.2024 gültig ist. Lemke beschreibt den Vorschlag als „praktikable und rechtssichere Lösung, die den strengen Artenschutzvorgaben der EU gerecht” wird. Sie betont, dass es unerlässlich sei, auf die steigende Zahl von gerissenen Weidetieren zu reagieren, da ansonsten die Akzeptanz des Wolfes gefährdet sei und stellt ebenso klar: „Der Wolf gehört in unsere Landschaft.“

Aktuell leben in Deutschland 184 Wolfsrudel, die meisten davon in Brandenburg, Niedersachsen und Sachsen. Darüber hinaus sind 47 Wolfspaare und 22 sesshafte Einzeltiere nachgewiesen. Sowohl die Zahl der hier lebenden Tiere als auch die Anzahl der besetzten Territorien steigt weiterhin an.

Einige Statements aus derWissenschaft

► Prof. Dr. Niko Balkenhol

Leiter der Abteilung Wildtierwissenschaften, Fakultät für Forstwissenschaften und Waldökologie, Georg-August-Universität Göttingen

„Die vorgestellte Maßnahme ist aus meiner Sicht ein pragmatischer Schritt, um die Akzeptanz für den Wolf insbesondere bei Nutztierhaltern und der Bevölkerung in ländlichen Gebieten zu fördern. Ob die Maßnahme jedoch die Konfliktsituation mit Wölfen tatsächlich entspannen kann, muss aus wissenschaftlicher Sicht noch objektiv evaluiert werden.“

„Die Entnahme von sogenannten Problemwölfen zu vereinfachen beziehungsweise zu beschleunigen, ist ein pragmatischer Schritt, mit dem man versucht, die Gemüter betroffener Nutztierbesitzer zu beruhigen und den Sorgen der Landbevölkerung zu begegnen. Dies gilt insbesondere für Gebiete, in denen es hohe Risszahlen bei Nutztieren gibt. Ob man die Konfliktsituation durch die vereinfachte Abschussgenehmigung aber tatsächlich entschärfen kann, bleibt aus wissenschaftlicher Sicht abzuwarten.“

„Dafür gibt es mehrere Gründe. Denn wie in der Pressemitteilung erläutert, zielt die Maßnahme nicht darauf ab, Wolfbestände zu regulieren. Ein Abschuss nach einem Nutztierriss stellt ein reaktives und kein proaktives Management dar. Elemente eines proaktiven Wolfsmanagements könnten zum Beispiel eine generelle Bestandsregulierung beim Wolf durch die Jagd oder die Ausweisung von wolfsfreien Gebieten sein. Solche Maßnahmen sind aus rechtlichen Gründen derzeit kaum umsetzbar, dennoch werden sie von vielen Nutztierhaltern und Landwirten gefordert. Insofern könnte ich mir vorstellen, dass einige der Betroffenen sich mit der heute vorgestellten Maßnahme nicht zufriedengeben werden.“

„Zudem hat sich die Entnahme bestimmter einzelner Wölfe in der Praxis als schwierig herausgestellt, da das Aussehen von ‚Problemwölfen‘ nicht immer bekannt ist beziehungsweise diese Wölfe nicht ohne weiteres von anderen Individuen unterschieden werden können. Somit kann es sein, dass statt der ‚Problemwölfe‘ bisher unauffällige Tiere erlegt werden.“

„Die Maßgabe, die Abschussgenehmigung auf 21 Tage und einen Umkreis von 1000 Metern um den Nutztierriss zu begrenzen, soll genau die oben beschriebene Herausforderung angehen: Durch die räumliche und zeitliche Einschränkung soll die Wahrscheinlichkeit erhöht werden, auch wirklich den ‚richtigen‘ Wolf zu erlegen. Man stützt sich hierbei auf eine Studie in Schweden. Mir ist aber nicht bekannt, dass auch in Deutschland bereits nachgewiesen wurde, dass Wolfsrisse bei Nutztieren vermehrt dort auftreten, wo es vor kurzem bereits erfolgreiche Nutztierrisse gab.“

„Ein weiterer Grund: Selbst wenn tatsächliche ‚Problemwölfe‘ erlegt wurden, bedeutet dies nicht zwangsläufig auch einen Rückgang an Nutztierrissen, da in einem Gebiet auch mehrere Wölfe für Nutztierrisse verantwortlich sein können, oder durch die Entnahme von Einzelwölfen andere Individuen einwandern können, die ebenfalls Nutztierschäden verursachen.“

„Demgegenüber steht jedoch ein möglicher Lerneffekt, der durch die Entnahme einzelner Wölfe auf beziehungsweise in der Nähe von Nutztierweiden hervorgerufen werden könnte. Denn wenn im Bestand verbleibende Wölfe lernen, dass es gefährlich ist, solche Flächen aufzusuchen, sollten sie diese Flächen zukünftig meiden. Solche durch menschliche Bejagung hervorgerufenen ‚Angsteffekte‘ wurden schon bei vielen Tierarten und vielen geografischen Regionen nachgewiesen.“

„Bei erfolgreicher Erlegung von ‚Problemwölfen‘ kann außerdem ein ‚Selektionseffekt‘ auftreten, da durch die Bejagung unter Umständenvor allem forsche und mutige Individuen aus der Population entnommen werden, was wiederum den Fortpflanzungserfolg von scheuen und eher vorsichtigen Individuen fördern kann. Wenn die Verhaltensweisen beziehungsweise die Persönlichkeiten von Wölfen zumindest teilweise vererbt werden, könnte diese menschliche Auslese eventuell dazu führen, dass zukünftige Wolfspopulationen weniger konfliktträchtig sind.“

„Insgesamt kann die vorgeschlagene Maßnahme also durchaus zu einer Entschärfung der aktuellen Konfliktsituation beitragen. Anhand der derzeitigen wissenschaftlichen Faktenlage ist ihr Erfolg jedoch nicht zwangsläufig gegeben.“

„Aufgrund dieser Unsicherheiten ist es aus Sicht der Wissenschaft zwingend nötig, die vorgeschlagene Maßnahme von Anfang an mit einer objektiven Erfolgskontrolle zu begleiten. Hierbei gilt es unter anderem zu klären, wie oft bei der Entnahme tatsächliche Verursacher von Nutztierrissen erlegt wurden und wie oft es sich um andere, wohlmöglich bisher nicht negativ in Erscheinung getretene Wölfe handelt. Und es muss geklärt werden, ob sich durch die Entnahme die Häufigkeit beziehungsweise Intensität von Nutztierrissen ändert – also in einer tatsächlichen Konfliktsituation – und schließlich, ob sich das subjektive Empfinden der Betroffenen im Hinblick auf den Wolf und Wolfskonflikte ändert – in einer empfundenen Konfliktsituation. Solch eine wissenschaftlich begleitete Erfolgskontrolle ist aus meiner Sicht essenziell, um unser zukünftiges Wolfsmanagementeffektiv und evidenzbasiert gestalten zu können.“

► Prof. Dr. Klaus Hackländer

Leiter des Instituts für Wildbiologie und Jagdwirtschaft (IWJ), Department für Integrative Biologie und Biodiversitätsforschung (DIBB), Universität für Bodenkultur Wien (BOKU), Österreich, und Vorstand der Deutschen Wildtier Stiftung

„Der Vorschlag von Frau Lemke ist alles andere als ein großer Wurf oder gar ein Paradigmenwechsel. Er beinhaltet lediglich eine Veränderung des ohnehin nicht rechtsverbindlichen Praxisleitfadens über den Umgang mit dem Wolf. Eine Änderung des Bundesnaturschutzgesetzes und der Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie – beides wäre Frau Lemkes Zuständigkeitsbereich –wird von ihr nicht weiter verfolgt. Sie schiebt damit die Verantwortung an die Bundesländer, die den Vorgang des jetzt vorgeschlagenen Wegs ohnehin schon umsetzen konnten. Fakt ist, dass durch den Vorschlag von Frau Lemke die Entnahme nach wie vor eine Einzelfallentscheidung bleibt und nicht pauschal Wölfe reguliert werden können. Wenn die Bundesländer dem Vorschlag von Frau Lemke folgen, dann ist dies im Sinne der Nutztierhalter und steht nicht grundsätzlich im Widerspruch zur Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie, die in Artikel 16 Ausnahmen vom strengen Schutz vorsieht.“

„Zwei Dinge sind dabei zu bedenken. Erstens: Es müsste bundesweit festgelegt werden, wie viele dieser Einzelfälle es maximal pro Jahr geben darf. Dies sollte sich daran orientieren, dass der günstige Erhaltungszustand nicht verschlechtert wird beziehungsweise die Erreichung des günstigen Erhaltungszustands nicht gefährdet ist. Diese Zahl festzulegen, ist Aufgabe von Frau Lemke. Zweitens bleibt unklar, wer diese Abschüsse in jenen Ländern umsetzen soll, in denen der Wolf nicht im Jagdrecht geregelt ist. Aktuell ist der Wolf nur in Schleswig-Holstein, Niedersachsen und Sachsen im Jagdrecht geregelt. Die Bundesländer sollten also nach dem Wunsch von Frau Lemke nicht nur bis zum 01.01.2024 eine abgestimmte Vorgangsweise im Umgang mit den so genannten Problemwölfen schaffen, sondern auch gegebenenfalls das Jagdgesetz anpassen. Dreizehn Landesjagdgesetze zu verändern, ist sicherlich schwerer als das Bundesjagdgesetz anzupassen.“

„Der Vorschlag von Frau Lemke klingt daher erst einmal gut und praktikabel, von einer bundesweiten Lösung sind wir aber noch weit entfernt.“

► Heiner Schumann

Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Arbeitsbereich Wildtierökologie, Institut für Waldökosysteme, Johann Heinrich von Thünen-Institut, Bundesforschungsinstitut für Ländliche Räume, Wald und Fischerei, Eberswalde

„Das Wolfsmanagement in Deutschland ist bisher weitgehend auf den Schutz der Tierart Wolf ausgelegt. Inzwischen wird allerdings immer deutlicher, dass es neben den reinen Schutzmaßnahmen für Weidetiere zunehmend auch aktive Eingriffe an der Tierart Wolf selbst bedarf. Das bedeutet, dass es in der Zukunft eine Normalität geben wird, in der auch der Abschuss von Wölfen mit unerwünschtem Verhalten zum Alltag im Handwerkskasten des Wolfsmanagements gehört. Dies wurde in Deutschland bisher nur in wenigen Einzelfällen erfolgreich durchgeführt, es fehlt also oft an Erfahrung und Routinen.“

„Ein gesundes Maß an Pragmatismus ist nötig, der Wolf sollte daher keine heilige Kuh sein. Der aktuelle Vorschlag ist ein Schritt beziehungsweise ein kleiner Baustein in einem recht jungen und daher permanent weiterzuentwickelnden, lernenden System. Die Erfahrungen aus den nächsten Eingriffen – also Abschüssen – und Erfolgen wie Misserfolgen werden dann zeigen, an welchen Stellen das deutsche Wolfsmanagement sich auch zukünftig noch weiterentwickeln und verändern wird.“