Overtourism – ist zu einem Massenphänomen geworden und zu einem Problem des Wirtschaftszweiges. Ob Venedig, Dubrovnik, Barcelona, Amsterdam oder Mallorca, immer mehr touristische Destinationen leiden darunter. Zumal dann, wenn beispielsweise die ursprünglichen  Einwohner der Regionen sich die Mieten oder Kaufpreise von Wohnungen nicht mehr leisten können. In verschiedenen Runden auf der Internationalen Tourismusbörse war Overtourism Thema.
Overtourism – kein Medien-Hype
Kein Medien-Hype, sondern ein gefühltes, sehr vielschichtiges Phänomen ist Overtourism laut der exklusiven Marktstudie, die die Deutsche Gesellschaft für Tourismuswissenschaft DGT und AIEST im Auftrag der ITB Berlin 2018 erhoben haben. Bewusst setzt die weltgrößte Tourismusfachmesse das Schlagwort auf die Agenda. Die qualitativen, sehr komplexen Ergebnisse aus 19 Interviews mit 1.094 Sinneinheiten stellten die drei Tourismus-Professoren Dr. Harald Pechlaner, Präsident AIEST, Dr. Christian Laesser, Generalsekretär AIEST, und Dr. Jürgen Schmude, DGT-Präsident auf dem Destination Day im ITB Berlin Kongress 2018 vor, der quantitative Teil wird noch ausgewertet. Eine richtige Definition des „Wahrnehmungsproblems“ mit physischen und infrastrukturellen, ökologischen und sozio-kulturellen, perceptuellen und psychologischen sowie ökonomischen Tragfähigkeiten gibt es für die Forscher noch nicht. Doch eine erste Erkenntnis: Das Thema ist nicht temporär, sondern stellt die Branche die nächsten Jahre vor Herausforderungen.
Gastfreundschaft steht auf dem Spiel
Das Szenario fordert einen Paradigmenwechsel. In stark frequentierten Städten und Destinationen steht die Gastfreundschaft auf dem Spiel.  LowCost-Carrier und pier to pier-Angebote wie airbnb haben große Massen in Bewegung gesetzt und zu gigantischer Ausweitung beigetragen, die Digitalisierung beschleunigt das Reiseverhalten, fasst Professor Dr. Christian Laesser vom Institut für Systemisches Management und Public Governance die Ursachen zusammen. Bis zum Jahr 2030 prognostiziert die UNWTO einen Anstieg der Reisenden um mehr als 50 Prozent auf 1,8 Milliarden. Ist die gefühlte Belastungsgrenze in Ballungsgebieten erreicht wie jetzt auf Mallorca, schwindet bei Einheimischen die Akzeptanz gegenüber Gästen. Treten echte Nachteile auf, wird die Beziehung von Gastgebern und Gästen durch laute Proteste bedroht. „Es geht um gesellschaftliche Nachhaltigkeit“, zeigt Dr. Pechlaner auf, „was mögen Einheimische in ihren Regionen aushalten?“ Neben der Lösung von Interessen-Konflikten müssen Grundlagen des Destinations-Managements mit Stärkung des Lebensraums, zentrale Werte, Verkehrsprobleme, Lärm, Abfall sowie die Balance zwischen Nutzen und negativen Effekten neu gedeutet werden.
Hot Spots entspannen und ländliches Umfeld einbeziehen
Nur einige Destinationen setzen sich mutig, offen und beispielgebend mit dem Phänomen auseinander. Dabei bevorzugen sie sanfte Lösungsansätze wie Steuern und Umlenken von Besucherströmen vor harten Maßnahmen wie Kontingente vorgeben und Preise anheben. Die Studie sieht die DMO’s in der Verantwortung, sowohl Destination Marketing-, vor allem Management-Organisationen. Es gelte, eine Dialog-Strategie zu entwickeln, Einheimische und Unternehmen einzubeziehen, dezentral zu wirken und alternative Produkte zu schaffen, die räumliche Konzentrationen an Hot Spots entspannt und das ländliche Umfeld einbezieht. Zuerst müsse ein Gespür entwickelt werden, wo die Schwellenwerte liegen. Bewusstsein, Gesinnung und Akzeptanz lauten die Schlüsselwörter für die Überzeugungsarbeit. „Ideal ist der Begriff Overtourism nicht“, räumt Dr. Pechlaner ein, „aber vielleicht ist es genau der, den die Tourismusbranche braucht, um aktiv zu werden und Akteure einzubinden.“ Da jeder Ort einzigartig ist, wird es „nicht die eine Lösung geben“, sondern spezifische Einzelmaßnahmen.
Dubrovnik: Nicht Opfer des eigenen Erfolgs werden
Ihre erprobten Ansätze als Vorreiter teilen die vom Tourismus stark belasteten Städte Amsterdam, Barcelona und Dubrovnik mit dem Plenum. Dubrovniks Bürgermeister Mato Frankovic, der Tourismus studiert hat, treibt die gemeinsame Sorge: „Wir wollen nicht das Etikett angehängt bekommen, überlastet zu sein.“  Erste Maßnahme des seit acht Monaten amtierenden Stadtoberhaupts war, die Anzahl der gleichzeitig andockenden Kreuzfahrtschiffe im Hafen zu entzerren.  In 2018 haben Reedereien nach Rücksprache mit dem Reederei-Verband ihre Routen und Ankunftstermine verändert. Für Tagestouristen wird eine App vorbereitet. Über sie kann die Stadtverwaltung unkompliziert Kontakt mit den Gästen aufnehmen. Die App fungiert als Leitfaden. Unter der Überschrift „respect the city“ erfüllt sie service-orientiert den Anspruch der Anwohner nach Regulierung und Gästeverhalten, u.a. wird Besuchern mitgeteilt, wann es günstig ist, die geschützte Altstadt von Dubrovnik zu besuchen: „Your experience is greater when you come at 4 o`clock“. Voraussetzung für intelligente Lösungen sei,  dass „alle Beteiligten konstant mitarbeiten“ betont Frankovic. Der Bürgermeister spricht von Pionierarbeit über einen längeren Zeitrahmen und von „harten Maßnahmen“ zum Wohl der Stadt wie der Beschränkung von Tischen vor Restaurants. Sein Tipp: „Man muss die Stadt an Nummer eins setzen, um nicht Opfer des eigenen Erfolgs zu werden“.
Amsterdam: Regulierungen zugunsten der Einwohner

Auch in Ansterdam spielt Overtourism eine Rolle. (Foto: Pixabay)


Frans van der Avert, CEO von Amsterdam Marketing und drei Töchter-Organisationen, unterstreicht den politischen Aspekt. In der Stadt der Grachten mit kleinem historischem Stadtkern ist Overtourism „ein sehr wichtiges Thema, das Wahlen beeinflusst“. Bei steigendem Wachstum haben Einwohner das Gefühl, dass Amsterdam „nicht mehr ihre Stadt ist“ (van der Avert). Seit vier Jahren debattiert die als offen und tolerant geltende Stadt proaktiv und hat in drei Jahren schon mehr als 60 Maßnahmen umgesetzt. „Wir haben verstanden, dass den Einwohnern die Stadt gehört, sie sind Botschafter und Seele der Stadt“, begründet van der Avert die für „eine tolerante Stadt merkwürdig anmutenden Regulierungen“. Als erste Stadt hat Amsterdam Gespräche mit airbnb geführt, eine Aufenthaltsdauer von 30 Tagen und auch für deren Kunden die Tourismusabgabe durchgesetzt, die von Hotelgästen erhoben wird – eine beträchtliche Einnahme im letzten Jahr. Für van der Avert ist es an der Zeit, eine europäische Regulierung für Plattformen wie airbnb  zu bekommen, denn bei der schnellen Entwicklung „dagegen vorzugehen, kann eine Stadt allein nicht leisten.“ Als Infrastruktur-Maßnahmen ist Tourenbussen die Einfahrt in die Stadt verwehrt, neue Hotels werden nicht gebaut. Amsterdam plant eine Werbekampagne, um bei Besuchern Bewusstsein für ihr Benehmen zu schaffen. Von Touristen spricht van der Avert nicht mehr, denn „es müssen alle gleichbehandelt werden“. Wie einzigartig und speziell die Herausforderungen jeder Destionation sind, belegte kürzlich eine Studie. Die Hälfte der 17 Mio. Tages-Besucher sind Niederländer, hat van der Avert zur eigenen Überraschung festgestellt. „Overtourism ist ein Monster mit vielen Köpfen, man muss sich Gedanken machen“, lautet sein Fazit zu Nachhaltigkeit und darüber, wie man „hochqualitative Dienstleistung erbringt“.
Barcelona: Dialog-Umfeld für alle Akteure
Verkehrsmanagement ist eine Maßnahme, mit der Barcelona versucht, die Touristenströme zu bewältigen, so dass sie das städtische Alltagsleben nicht beeinträchtigen. Besonders in bestimmten Teilen und Wohnvierteln der Stadt, ist Lenkung und eine bessere Verteilung die Hauptfrage, berichtet Joan Torella, Tourismuschef der Stadtverwaltung, um der Überlastung zu begegnen, die Barcelona erfährt: „Wie können wir Aktivitäten fördern, die gleichzeitig ausgeführt werden können?“  Für Torella steht fest, dass „Management der Stadt und Tourismus perspektivisch zusammengehören“. Es gelte, Verantwortung für die Stadt, das Leben der Einwohner und für die Touristen zu tragen. Im Wesentlichen ginge es darum, die Stadt zu verwalten. Um „ein Gleichgewicht hinzubekommen“, müssen Gleichungen und Faktoren verändert werden. 80 Prozent von Barcelonas Touristen fliegen per Airline ein. Das ist gut für die Stadt, denn sie nutzen nachhaltig den öffentlichen Nahverkehr –laut einer Untersuchung zu anderen Zeiten als Berufspendler. Die Überlappungen zur Mittagszeit zu managen, ist der Stadt möglich, nennt Torella ein Beispiel. Und er unterstreicht, wie effizient sich eine globale Strategie erweist: „Die Stadt legt Ziele fest, die umgesetzt werden.“  2010 hat Barcelona ein erstes touristisches Panel durchgeführt, 2016 mit allen Interessengruppen einen Touristischen Rat gebildet. Damit hat die Stadt ein Dialog-Umfeld geschaffen, schildert Torella, „vorher saßen die Akteure noch nie zusammen.“
Nicht nur Städte auch Landschaften können leiden:
Das Phänomen des Overtourism besteht übrigens nicht nur im Städtetourismus. Auch in Nationalparks und Naturschutzgebieten muss man den Andrang von Touristen managen. Peter Südbeck, Chef des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer, erzählte, dass schon in den 70er Jahren über das Problem Massentourismus gesprochen wurde. „Als ich Sylt 1974 zum ersten Mal besuchte, erwartete ich die schlimmsten Dinge“, erinnerte sich Südbeck. Doch die Insel habe es geschafft, mit Einbindung und Engagement der Bevölkerung, ihre Natur und Kultur zu erhalten, ohne sich den vielen Besuchern zu verschließen.
Peter Prokosch, Gründer von Linking Tourism & Conservation (LT&C), führte das Beispiel Island an. Er denke, dass die Besuchermassen nur mit strikten Nationalparkregularien zu bewältigen sind, wolle man Natur und Bevölkerung nicht über Gebühr strapazieren. „Denken Sie an die US-Nationalparks: Um am Grand Canyon zum Colorado River hinunter wandern zu dürfen, müssen Sie mitunter lange auf ein verfügbares Ticket warten“, erklärte Prokosch. Den drohenden Hauptproblemen des Overtourism (Störung & Zerstörung) könnte nur mit einem vorausschauenden und klugen Management begegnet werden.
Reinhard Woytek von der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) und engagiert in der Entwicklungsgemeinschaft des südlichen Afrika (SADC), verwies auf das Problem des Undertourism in abgelegen Nationalparks. Auch hier könne die Entwicklung eines nachhaltigen Tourismus der Region helfen. „Und in Regionen wie dem südafrikanischen Kaza sind nicht die vielen Besucher unser Hauptproblem, sondern die Wilderer.“
Michael Lutzeyer, Besitzer des südafrikanischen Fünf-Sterne-Naturreservats Grootbos und Mitglied der Organisation Long Run, engagiert sich seit vielen Jahren für verantwortlichen Tourismus. 2003 gründete Lutzeyer die Grootbos Foundation als eine gemeinnützige Organisation mit Gemeinschaftsprogrammen unter anderem in den Bereichen Naturschutz und Jugendentwicklung. „Protecting by using – das ist unser Ansatz“, so Lutzeyer. Ohne Tourismus würden viele Schutzgebiete und Regionen gar nicht existieren oder wären verkommen. Dadurch, dass sie für Touristen interessant sind, ist der Schutz auch durchsetzbar. Nur, was die Menschen kennen, können sie auch schützen wollen.