Der Tourismus ist immer eine zarte Pflanze und die Industrie ein guter Seismograf für die Entwicklungen, die sich derzeit auf diesem Planeten abspielen. Während sich bei strömendem Regen in Sevilla die Delegierten der 4. Ausgabe der „A World for Travel“ zum Tourism Innovation Summit trafen, fiel im nur wenige hundert Kilometer entfernten Madrid soviel Regen wie seit einhundert Jahren nicht und parallel waren sechs französische Regionalflughäfen wegen Bombendrohungen gesperrt. Besser konnte die Realität die aktuelle Situation des Tourismus nicht unterstreichen.

Transformation der Reisebranche war dann auch das Thema  der Veranstaltung, die in einer ganzheitlichen Sicht beleuchtet wurde.  Dieser holistische Blick gehört zu der Idee der Macher dieses Forum, die sehr gern ein „Davos der Touristik“ etablieren würden.

Die nachhaltige Umgestaltung des Reise- und Tourismussektors erfordert Konsequenz, Entschlossenheit, Weitsicht und Führungsstärke und vor allem Zeit und Geld. Dieser Wandel ist unvermeidlich. Während die Welt zunehmend instabil ist, müssen wir zusammenarbeiten und Fragen klären, die Investitionen in die Forschung priorisieren, um einen schnelleren Wandel zu ermöglichen

Christian Delom, Generalsekretär der AWFT23

Dutzende von Experten trafen in der Fibes Convention Hall in Sevilla zusammen, um ihr Fachwissen und ihre Visionen über die tiefgreifenden und wesentlichen Maßnahmen auszutauschen, die erforderlich sind, um das Reisen nachhaltiger zu gestalten.

Entgegen der landläufigen Meinung wird die Technologie Teil der Lösung für den neuen Tourismus sein. Unsere Anwesenheit auf der TIS ist kein Zufall

Frédéric Vanhoutte, CEO der Eventiz Media Group, Initiator des internationalen Forums.

Zu den wichtigsten Fragen, die auf dem Forum erörtert wurden, gehörten die Transformation des Verkehrs und die Unfähigkeit des Marktes, nachhaltige Flugkraftstoffe (SAF) in den erforderlichen Mengen zu produzieren und zu vertreiben.  Längerfristig denkt die Industrie an Wasserstoff und Elektrizität.  Diese Optionen sind jedoch aufgrund fehlender Finanzmittel für Forschung und Entwicklung, aber auch durch die sogenannten „Henne – Ei Problematik“ noch weit entfernt. Zwar gibt es eine Reihe von Absichtserklärungen und Projekten, doch im großen Stil stehen diese Kraftstoffe noch nicht bereit.

Aus Sicht der Experten sind deshalb die  SDG-Ziele der Industrie für 2050  stark gefährdet. Denn derzeit besteht weniger als ein Prozent des Flugbenzins aus SAF, und im maritimen Sektor steht die Entwicklung erst am Anfang.  Neben den Problemen bei der Herstellung und Verteilung herrscht weitgehende Unsicherheit über die Auswirkungen von SAF auf die Leistung von Flugzeugen und Schiffen.

Tourismus und Klimawandel

Die Reisebranche emittiert nach wie vor erhebliche Umweltbelastungen und trägt durch ihren Verbrauch von Ressourcen wie Treibstoff und Wasser wesentlich zum Klimawandel bei. Nach Angaben des World Travel and Tourism Council ist die Branche für neun Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Dies ist in erster Linie auf den hohen Energieverbrauch der verschiedenen Transportmittel zurückzuführen. Und trotz Inflation, gestiegene Ticketpreise und Klimawandel Reisende hält das nicht vom Fliegen ab. Nach Daten des Luftfahrt-Tracking-Unternehmens Flightradar24 sind beispielsweise am 6. Juli so viele kommerzielle Flugzeuge in der Luft gewesen wie noch nie seit Start des Dienstes im Jahr 2006. Insgesamt waren 134.386 Flieger unterwegs, wie der Anbieter mitteilte. Privatjets und Frachtflüge wurden nicht dazugezählt.

Experten gehen davon aus, dass Flugreisen auch in Zukunft weiter zunehmen werden. Trotz aller Widrigkeiten werden insbesondere die Deutschen weiterreisen und nach dem Fall der COVID Vorschriften in China sind die Chinesen zunehmend unterwegs. Das gleiche beobachtet man in Nord- und Südamerika. Eine Änderung dieses Trends wird allenfalls politisch durchsetzbar sein, dann nämlich, wenn die Preise aus Klimaschutz-Gründen so stark erhöht werden, dass die Nachfrage sinkt. Nachdem die EU beschlossen hat, den Verkehrssektor in den Emissionshandel zu überführen, könnte es – sollten bis dahin keine modernen Technologien bereit stehen – zu heftigen Preisaufschlägen kommen.

Auch der Gebäudesektor, der beispielsweise für rund 30 Prozent der europäischen Treibhausgasemissionen verantwortlich ist – sieht sich Herausforderungen gegenüber gestellt. Die Hospitality-Branche hat inzwischen darauf mit zahlreichen Initiativen reagiert, von denen viele auf dem Forum in Sevilla erörtert werden, wie zum Beispiel die umfassenden Programme der Radisson Hotel Group, die für Nachhaltigkeit im Gastgewerbe stehen.

„Da die Reisetätigkeit in Zeiten geopolitischer Unsicherheit fast wieder das Niveau von vor der Pandemie erreicht hat, haben wir die Verantwortung, als Branche zusammenzukommen, um sowohl die grüne als auch die digitale Transformation in allen Bereichen voranzutreiben. Als führendes globales Hotelunternehmen haben wir uns verpflichtet, bis 2050 Netto-Null zu erreichen, mit wissenschaftlich fundierten Zielen und durch die Teilnahme an verschiedenen Brancheninitiativen, die einen verantwortungsvollen Tourismus auf der Grundlage von vertrauenswürdigen, verifizierten Nachhaltigkeitssiegeln für Hotels fördern, wie zum Beispiel Hotel Sustainability Basics und der Pathway to Net Positive Hospitality.“

Inge Huijbrechts, Global SVP Sustainability, Security and Corporate Communications der Radisson Hotel Group

Zu den weiteren wichtigen Initiativen, die besprochen wurden, gehören die sektorübergreifende Zusammenarbeit von Amadeus im Bereich Daten, die kreative Produktentwicklung von AXA Partner und die Bemühungen der EU-Kommission um den Green Deal.

 „Amadeus erleichtert die Reiseplanung für mehr als 400 Millionen Menschen pro Jahr. Wir möchten diese Reisenden mit Informationen zur Nachhaltigkeit versorgen, damit sie fundiertere Entscheidungen treffen können, und sie ermutigen, die nachhaltigsten Reiseoptionen zu wählen. Gleichzeitig hilft unsere Technologie den Reiseanbietern, ihre operative und ökologische Leistung zu verbessern.“

Lucas Bobes, Group Environmental Officer & Head of ESG Reporting bei Amadeus

Mangelnde Daten und Bewertungen

Nachhaltigkeit im Tourismus , immer wieder wird beklagt, dass es eine mangelnde Datenlage zur Messung der Nachhaltigkeitskriterien gibt. Eine Möglichkeit ist der Tourismus Sustainability Satellite Account (TSSA), ein Bilanzierungssystem zur Messung der Nachhaltigkeit, der im Deutschlandtourismus eingesetzt wird. Beim TSSA handelt es sich um ein erweitertes Tourismus-Satellitenkonto (TSA) bzw. ein Kennzahlensystem, welches im Wesentlichen auf den statistischen Rahmenwerken der Volkswirtschaftlichen Gesamtrechnungen (VGR) und Umweltökonomischen Gesamtrechnungen (UGR) beruht.

Hinzu kommen soziale Indikatoren, die die Nachhaltigkeit der Arbeitsverhältnisse im Tourismus messen. Das TSSA erlaubt somit eine systematische Zuordnung der ökonomischen, ökologischen und sozialen Auswirkungen des Tourismus zu den tourismusrelevanten Wirtschaftszweigen auf nationaler Ebene. Bei den tourismusinduzierten Emissionen von Treibhausgasen (THG) und besonders bei der Emissionsintensität sind ebenfalls Verbesserungen zu beobachten, doch liegt die Emissionsintensität der Tourismuswirtschaft immer noch deutlich über dem volkswirtschaftlichen Durchschnitt. Innerhalb der deutschen Tourismuswirtschaft trägt weiterhin der Verkehrssektor (insbesondere der Flug- und Schiffsverkehr) am stärksten zum Energieverbrauch und zu den THG-Emissionen bei.

Dagegen ist der tourismusinduzierte Wasserverbrauch deutschlandweit als eher unproblematisch einzuschätzen. Die Wasserintensität des Tourismus liegt deutlich unter dem Durchschnitt der deutschen Volkswirtschaft. Innerhalb des Tourismus ist sie am höchsten in den Sektoren Beherbergung und Gastronomie. Bezüglich der sozialen Nachhaltigkeitsdimension ist der relativ geringe und im Zeitverlauf abnehmende Verdienstabstand zwischen Männern und Frauen (bekannt als Gender Pay Gap; hier unbereinigt) in der Tourismuswirtschaft hervorzuheben. Alle anderen Kennzahlen in Bezug auf die Arbeitsbedingungen im Tourismus fallen dagegen weiterhin eher negativ aus.

Noch gibt es keinen wirklichen Durchbruch bei alternativen Antriebsstoffen und Antrieben in der Airlineindustrie. Diese sind jedoch dringend notwendig um die Klimaziele zu erreichen. (Foto: Pixabay.de)

Fünf Handlungsfelder

Die Veranstaltung unterteilt die Herausforderung der Nachhaltigkeit in fünf Bereiche: Umwelt, Klima, Wirtschaft, Technik und Gesellschaft.  Auf diese Weise sind die Organisatoren in der Lage, tief in die Nuancen der Kategorien einzutauchen. Da sich die Umweltauswirkungen der Reisebranche immer weiter verschlechtern, ist es für alle Teile des Reise-Ökosystems wichtig, schnell auf die Herausforderung der Nachhaltigkeit zu reagieren. Dies bedeutet, dass sinnvolle Initiativen umgesetzt werden müssen, die eine unmittelbare Wirkung entfalten können.

„Die Veranstaltung „A World For Travel“ fordert die Branche auch auf, sich mit dem notwendigen Zusammenspiel von Sicherheit und Nachhaltigkeit zu befassen.  „Seit Jahrzehnten zeigen Studien, dass die größte Sorge der Reisenden die Sicherheit ist, aber wenn die Branche die Nachhaltigkeit getrennt von der Sicherheit betrachtet, übersieht sie, dass es keine Sicherheit ohne Nachhaltigkeit gibt“

Laurie Myers  Global Travel and Tourism Resilience Council.

Auf der Veranstaltung in Sevilla wurden unter anderem folgende Empfehlungen ausgesprochen:

  1. Entwicklung von mehr Produkten für den Landverkehr und von umweltfreundlicheren Verkehrsträgern.
  2. Kommunikation und Verknüpfung von Nachhaltigkeit mit Safety and Security
  3. Die Branche muss sich auf Preiserhöhungen vorbereiten, insbesondere auf die Bepreisung von CO2, und mehr Forschung und Entwicklung zur Entwicklung erneuerbarer Energiequellen und zur Wassereinsparung finanzieren.
  4.  Nachhaltigkeit muss zu einer Priorität in Unternehmensrichtlinien, Ziele und Strategien werden. Die Reiserichtlinien müssen mit den Nachhaltigkeitszielen übereinstimmen und die Schulungen müssen sowohl intern als auch extern erfolgen.
  5. Die sektorübergreifende Zusammenarbeit muss sich ausweiten, damit so schnell wie möglich ein Konsens über Terminologie, Messung und Reaktion erreicht wird.

Durch diese Maßnahmen kann die Reisebranche ihre Umweltauswirkungen weiter verringern und nachhaltiger werden, um die Verzögerung beim Zugang zu nachhaltiger Kraftstofferzeugung auszugleichen.