Kipppunkte sind zunehmend Teil öffentlicher Diskussionen – obwohl in der Forschung dazu noch große Wissenslücken bestehen. Einige Elemente des Erdsystems könnten durch den Klimawandel schon in den nächsten Jahrzehnten kritische Schwellen überschreiten und irreversible Veränderungen hervorrufen. Zugleich könnten sogenannte soziale Kippelemente plötzlich selbstverstärkende Dynamiken auslösen, die dem Klimawandel entgegenwirken. Diese zwei Typen von Kipppunkten – „negative“ und positive“ – und ihre Auswirkungen sind Thema des „Global Tipping Point Reports“, der am 06.12.2023 veröffentlicht wurde.

Über 200 Forschende aus 26 Ländern haben an dem Bericht mitgearbeitet. Das Projekt wurde von der Universität Exeter geleitet und vom „Bezos Earth Fund“ mitfinanziert. Die Autorinnen und Autoren fordern Entscheidungstragende auf, aus den fossilen Energien auszusteigen und sich auf die Effekte „negativer“ Kipppunkte vorzubereiten. Zugleich sprechen sie Empfehlungen aus, wie „positive“ Kipppunkte gezielt herbeigeführt werden könnten.

Der Bericht beschreibt 25 Kippelemente im Erdsystem – in der Kryosphäre, Biosphäre sowie den Atmosphären- und Ozeanströmungen. Von diesen drohen fünf bereits beim aktuellen Level der Erderwärmung zu kippen: die Eisschilde Grönlands und der Westantarktis, die Riffe der Warmwasserkorallen, Permafrostböden und der Nordatlantikwirbel südlich von Grönland. Als „positive“ soziale Kipppunkte bezeichnen die Autorinnen und Autoren klimafreundliche Technologien und Verhaltensweisen, die sich ab einem bestimmten Punkt immer schneller verbreiten. Die Erneuerbaren Energien haben dem Bericht zufolge diese Schwelle bereits erreicht, indem sie immer kosteneffizienter wurden. Weitere Beispiele für soziale Kippelemente sind die E-Mobilität und pflanzenbasierte Ernährung.

Inwiefern sich Kipppunkte für die Kommunikation von Klimarisiken eignen, ist unter Forschenden umstritten. Beiden Typen von Kipppunkten haften große Unsicherheiten an: Es ist unklar, welche Kipppunkte existieren, wo diese liegen, was passiert, wenn sie überschritten werden – und in welchem Zeitraum. Teilweise könnten die Auswirkungen von Kipppunkten erst mit langer Verzögerung spürbar sein. Die Autorinnen und Autoren empfehlen, die Forschung an Kipppunkten zu vertiefen, um diese Unsicherheiten zu verringern.

Liefert der Bericht neue Erkenntnisse über Kipppunkte – oder ist er eher als politischer Appell zu verstehen? In welchen Zeitskalen bewegen sich die Effekte, die Kipppunkte haben könnten? Lässt sich das Konzept eins zu eins auf soziale Mechanismen übertragen? Wie lassen sich „positive“ Kipppunkte herbeiführen? Was sollten Journalistinnen und Journalisten beim Berichten über Kipppunkte beachten?

Diese und weitere Fragen diskutierten das Science Media Centre mit einer Autorin und einem Autor des Berichts sowie einem nicht an dem Bericht beteiligten Forscher in einem 50-minütigen Press Briefing.

Expertin und Experten im virtuellen Press Briefing des Science Media Center

  • Dr. Jonathan Donges, Leiter der Arbeitsgruppe Erdgesamtsystemanalyse und des Future Lab Earth Resilience, Abteilung Erdsystemanalyse, Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) und leitender Autor  der Sektion 2 „Tipping Point Impacts“ des Global Tipping Points Reports
  • Dr. Caroline Zimm, Wissenschaftliche Mitarbeiterin in den Arbeitsgruppen Transformative Institutional and Social  Solutions sowie Equity and Justice, Internationales Institut für angewandte Systemanalyse (IIASA), Laxenburg, Österreich und leitende Autorin der Sektion 4 „Positive Tipping Points“ des  Global Tipping Points Report
  • Prof. Dr. Gerrit Lohmann, Leiter der Arbeitsgruppe Dynamik des Paläoklimas, Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI), Bremerhaven, und Assoziierter Professor in der Arbeitsgruppe Paläoklimadynamik, Fachbereich Physik des Klimasystems, Zentrum für Marine Umweltwissenschaften (MARUM), Universität Bremen