Die Europäische Kommission hat gestern den Konsultationsprozess mit einer Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen und der Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen zum Entwurf einer ergänzenden Taxonomie-Rechtsverordnung über bestimmte Erdgas- und Kernenergieaktivitäten eingeleitet. So beginnt die Pressemitteilung der EU-Kommission zu einem großen Aufregen, der politisch breite Wellen schlagen wird.

Denn zukünftig sollen – wenn auch unter strengen Auflagen – Atomkraft und Erdgas als grün, also nachhaltig eingestuft werden. Die Kommission stützt sich dabei auf wissenschaftliche Gutachten und den aktuellen Stand des technologischen Fortschritts. Demnach könnten Erdgas und Atomkraft „die Transition zu kohlenstoffarmen Energiesystemen erleichtern und auf dem Weg in eine überwiegend auf erneuerbaren Energien basierenden Zukunft eine Rolle spielen können“.

Die EU-Taxonomie soll helfen, private Investitionen zu mobilisieren und Anlegern und Investoren Orientierung zu geben, welche Aktivitäten dabei helfen, in den nächsten 30 Jahren klimaneutral zu werden. Der derzeitige Energiemix in Europa variiert stark von einem Mitgliedstaat zum anderen. Einige Regionen Europas setzen beispielsweise immer noch stark auf das Verbrennen von Kohle, was mit hohen Kohlenstoffemissionen verbunden ist. Die Taxonomie listet Arten der Energieerzeugung auf, die es den Mitgliedstaaten ermöglichen, sich von ihren sehr unterschiedlichen Ausgangspositionen aus in Richtung Klimaneutralität zu bewegen.

Gestützt auf wissenschaftliche Gutachten und den aktuellen Stand des technologischen Fortschritts ist die Kommission der Auffassung, dass Erdgas und Kernenergie die Transition zu kohlenstoffarmen Energiesystemen erleichtern und auf dem Weg in eine überwiegend auf erneuerbaren Energien basierenden Zukunft eine Rolle spielen können. Das hat zur Folge, dass diese Energiequellen unter klaren und strengen Bedingungen als mit der Taxonomie-Verordnung vereinbar eingestuft werden – allerdings nur insoweit sie tatsächlich zum Übergang zur Klimaneutralität beitragen. Gas etwa muss bis 2035 aus erneuerbaren Quellen stammen oder niedrige Emissionen haben.

Um hohe Transparenz für die Anlegerinnen und Investoren zu gewährleisten wird die Kommission außerdem in einer gesonderten Rechtsverordnung  Offenlegungspflichten dahingehend verändern, so dass Anleger und Investoren klar erkennen können, ob und in welchem Umfang Erdgas- oder Nuklearaktivitäten im Finanzprodukt enthalten sind, so dass sie jederzeit in der Lage sind, eine fundierte und informierte Entscheidung zu treffen.

Die von der Taxonomie umfassten Aktivitäten sollen den Wechsel von Energiequellen mit höheren Emissionen, wie Kohle, zu solchen mit geringeren Emissionen beschleunigen und uns auf dem Weg zu einem grüneren Energiemix voranbringen.Wie auch bei den anderen Aktivitäten im Rahmen der Taxonomie werden die Kriterien für Erdgas- und Kernenergieaktivitäten regelmäßig und parallel zur technologischen Entwicklung aktualisiert.

Nächste Schritte

Aufgrund der ihnen im Rahmen der Taxonomieverordnung zugewiesenen Expertenrolle müssen die „Plattform für ein nachhaltiges Finanzwesen“ und die „Sachverständigengruppe der Mitgliedstaaten für nachhaltiges Finanzwesen“ zu allen einschlägigen delegierten Rechtsakten angehört werden. Sie haben nun bis zum 12. Januar Zeit, ihre Beiträge vorzulegen. Die Kommission wird ihre Beiträge analysieren und die ergänzende Rechtsverordnung im Januar 2022 förmlich annehmen und den mitgesetzgebenden EU-Institutionen (Rat und Europäisches Parlament) zur Prüfung übermitteln.

Bekanntlich geht kein Gesetz in den sogenannten Triolog, also in das Europäische Parlament und den Europäischen Rat, so aus dem Gesetzgebungsverfahren raus, wie es reingekommen ist. Und die Kritik aus Deutschland, insbesondere von der neuen Bundesregierung, als auch aus Österreich ließ nicht lange auf sich warten.

So sagte Robert Habeck, der neue Minister für Wirtschaft und Klimaschutz, dass die Vorschläge der EU-Kommission  das gute Label für Nachhaltigkeit verwässern würde. Es hätte aus unserer Sicht diese Ergänzung der Taxonomie-Regeln nicht gebraucht. Eine Zustimmung zu den neuen Vorschlägen der EU-Kommission würde man nicht sehen. Ausgerechnet Atomenergie als nachhaltig zu etikettieren, sei bei dieser Hochrisikotechnologie falsch.

Ähnlich wie beim ersten delegierten Rechtsakt zur Klimataxonomie haben das Europäische Parlament und der Rat (die der Kommission die Befugnis zum Erlass dieses delegierten Rechtsakts übertragen haben) vier Monate Zeit, das Dokument eingehend zu analysieren und gegebenenfalls Einwände dagegen zu erheben. Im Einklang mit der Taxonomie-Verordnung können beide Organe eine Verlängerung der Frist um zwei weitere Monate beantragen. Der Rat kann mit umgekehrter verstärkter qualifizierter Mehrheit Einwände erheben (das bedeutet, dass mindestens 72  Prozent der Mitgliedstaaten, also mindestens 20 Mitgliedstaaten, die mindestens 65  Prozent der EU-Bevölkerung vertreten, nötig sind, um Einwände gegen den delegierten Rechtsakt zu erheben). Das Europäische Parlament seinerseits kann mit einfacher Mehrheit (also mindestens 353 MdEP im Plenum) Einwände erheben. Sofern keines der beiden gesetzgebenden Organe innerhalb des Prüfungszeitraums Einwände erhebt, wird der (ergänzende) delegierte Rechtsakt nach Ablauf des Prüfungszeitraums in Kraft treten und anwendbar sein.