Die Internationale Krebsforschungsagentur (IARC) der Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den Süßstoff Aspartam für Menschen als „möglicherweise krebserregend“ eingestuft.

Zudem bestätigt der WHO-Sachverständigenausschuss für Lebensmittelzusatzstoffe (JECFA) erneut die bisher zulässige Tagesdosis von 40 Milligramm Aspartam pro Kilogramm Körpergewicht. Die Ergebnisse der beiden Arbeitsgruppen sind soeben durch die WHO in einer gemeinsamen Zusammenfassung veröffentlicht worden. Die Ergebnisse der IARC erschienen außerdem im Fachjournal „The Lancet Oncology“ . Die vollständige Bewertung veröffentlicht die IARC in den kommenden Monaten.

Aspartam ist ein künstlicher Süßstoff, der in Deutschland am häufigsten in Getränkepulver, aromatisierten Milchgetränken, Kaugummi und Diät-Erfrischungsgetränken enthalten ist [I]. Seit der 80er-Jahre gilt Aspartam innerhalb gewisser Grenzen als sicher und ist in der EU seit vielen Jahren für den menschlichen Verzehr zugelassen. Die IARC stuft den Süßstoff nun als „möglicherweise krebserregend“ für den Menschen ein (IARC-Klassifikation 2B). Die Gruppe beruft sich dabei auf „begrenzte Evidenz“ für die Krebs erregende Wirkung beim Menschen bezüglich des hepatozellulären Karzinoms, einer Form von Leberkrebs. Diese Einschätzung basiert auf drei Studien, die einen nicht eindeutigen positiven Zusammenhang zwischen dem Konsum von künstlich gesüßten Getränken und dem Leberkrebsrisiko festgestellt haben. Die Evidenz aus experimentellen Tierstudien sowie zu möglichen Krankheitsmechanismen sei ebenfalls begrenzt. Die IARC-Klassifizierungen spiegeln die Stärke der wissenschaftlichen Beweise dafür wider, ob ein Stoff beim Menschen Krebs verursachen kann. Sie spiegeln dagegen nicht das Risiko wider, bei einer bestimmten Dosis Krebs zu entwickeln.

Der JECFA hingegen beschäftigt sich mit der Beurteilung menschlicher Gesundheitsrisiken nach dem Verzehr bestimmter Stoffe. Er kommt zu dem Schluss, dass es keine überzeugende Evidenz gibt, dass Aspartam nach der Einnahme schädliche Wirkungen hat. Der Ausschuss bestätigte daher erneut die akzeptable Tagesdosis von 0 bis 40 Milligramm Aspartam pro Kilogramm Körpergewicht. Ein 70 Kilogramm schwerer Erwachsener müsste demnach mehr als 9 bis 14 Dosen Diät-Softdrinks pro Tag konsumieren, um diesen Wert zu überschreiten.

Dr. Stefan Kabisch, Studienarzt in der Klinik für Endokrinologie und Stoffwechselmedizin (Deutsches Zentrum für Diabetesforschung / DZD), Campus Benjamin Franklin (CBF), Charité – Universitätsmedizin Berlin, erläutert:

„Die Einstufung von Aspartam als ‚möglicherweise krebserregend‘ ändert an unserem täglichen Gebrauch sehr wahrscheinlich nichts. Die Einstufung ist sehr zurückhaltend, das heißt ein Krebsrisiko ist keinesfalls sicher und nicht einmal besonders wahrscheinlich. Daher ändert sich auch an der empfohlenen maximalen Tagesdosis (ADI) nichts. Da es aber aus Zell- und Tierstudien sowie Beobachtungsstudien am Menschen gewisse Hinweise auf ein mögliches Krebsrisiko gibt, ist eine gewisse Beschreibung des Risikos nötig. Die WHO hat in einer kürzlich veröffentlichten Leitlinie davon abgeraten, Süßstoffe zur Gewichtsreduktion zu verwenden. Dieses Statement war deutlich vehementer formuliert, obwohl die Evidenzlage ähnlich unsicher ist. Insofern ist die mildere Einstufung zum Krebsrisiko erfreulich.“

„Die Fachgruppen beschreiben sehr klar, dass alle zugrundeliegenden Studienarten (Zellstudien, Tierstudien, Humanstudien) nur sehr begrenzte Belege für ein Krebsrisiko liefern, da all diese Studien methodische Schwächen aufweisen. Zell- und Tierstudien sind oft auf den Menschen nicht übertragbar, da es sich um Studiendesigns mit sehr speziellen Krankheitsmodellen, besonderen Zellen, besonderen Tierzüchtungen handelt. Auch werden typischerweise hohe Dosierungen verwendet, die Menschen nicht erreichen können. Beobachtungsstudien am Menschen unterliegen typischerweise starken Confoundern, also Krankheitsfaktoren (Rauchen, Alkoholkonsum, Adipositas, Bewegungsmangel), die parallel mit dem Süßstoffkonsum korrelieren. Die eindeutige Kausalität zu Süßstoffen ist dadurch fraglich. Gerade bei Süßstoffen findet man zudem ‚reverse causality‘, das heißt, nicht Süßstoffe verursachen Folgeerkrankungen, sondern Patienten mit bereits bestehenden metabolischen Erkrankungen nutzen gezielt (mehr) Süßstoffe, um abzunehmen oder den Blutzucker zu optimieren. In methodisch wirklich guten Studien am Menschen, sogenannten randomisiert-kontrollierten Studien, zeigen Süßstoffe wie Aspartam einen moderaten, aber signifikanten Nutzen zur Gewichtsabnahme. Dieser fällt kleiner aus, als man erwarten möchte, aber ein Schadenspotenzial ist nicht zu erkennen. Die Begünstigung von Adipositas oder Typ-2-Diabetes als typische Vorläufererkrankungen für verschiedene Krebsarten (Darmkrebs, Brustkrebs, Pankreaskrebs) ist hiernach sehr unwahrscheinlich. Keine dieser bislang existierenden randomisiert-kontrollierten Studien ist aber groß und lang genug, um tatsächlich Effekte auf das Neu-Erkrankungsrisiko für Typ-2-Diabetes oder Krebs messen zu können.“

„Da Aspartam im Darm in harmlose beziehungsweise mengenmäßig harmlose Spaltprodukte aufgetrennt wird und nicht intakt in den Körper übergeht, besteht auch rein mechanistisch keine große Wahrscheinlichkeit für einen kausalen Zusammenhang zwischen Aspartam-Zufuhr und Krebsrisiko.“

„Es bleibt zu hoffen, dass die neue Einstufung besonnen aufgenommen wird und Konsumenten nicht dazu bringt, von Süßstoffen auf Zucker umzusteigen. Es gibt keinen soliden Grund, Süßstoffe aktiv zu vermeiden, aber auch keinen Grund, Süßstoffe aktiv zu empfehlen. Der Nutzen ist gering, der Schaden nicht klar nachweisbar.“

„Für Zucker ist hingegen deutlich klarer belegt, dass er neben Karies auch Adipositas und Typ-2-Diabetes fördert und somit zum Krebsrisiko beiträgt. Ein Umstieg von Süßstoffen auf Zucker würde sicherlich Krankheitsrisiken verstärken. Die beste Folge aus dem aktuellen Statement wäre mehr methodisch klare Forschung zum Thema, insbesondere mit großen klinischen Interventionsstudien am Menschen zu verschiedenen Süßstoffen. Das ist auch die Forderung von IARC und JECFA, um zukünftig klarere Empfehlungen aussprechen zu können.“

Originalquelle / Veröffentlichung:

World Health Organization (2023): Summary of findings of the evaluation of aspartame at the International Agency for Research on Cancer (IARC) Monographs Programme’s 134th Meeting, 6–13 June 2023 and The Joint FAO/WHO Expert Committee On Food Additives (JECFA) 96th meeting, 27 June–6 July 2023.

Riboli E et al. (2023): Carcinogenicity of aspartame, methyleugenol, and isoeugenol. The Lancet Oncology. DOI: 10.1016/ S1470-2045(23)00341-8.