Der Diskussion über die Zukunft der deutschen Solarindustrie und deren Wettbewerbsfähigkeit nimmt eine neue Wendung. Bundesfinanzminister Christian Lindner äußerte sich ablehnend zur Stützung der Branche.
Trotz des wachsenden Drucks und der Forderungen nach umfangreichen Subventionen für die heimische Solarbranche, um mit den stark subventionierten chinesischen PV-Modulen konkurrieren zu können, vertritt Lindner eine klare Position. In der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ bekräftigte er seine Ablehnung großer staatlicher Subventionen für die Solarindustrie. Deutschland investiere bereits erhebliche Summen in erneuerbare Energien, nun müsse der Schwerpunkt auf der Integration der stark zunehmenden Photovoltaik-Leistung in die Stromnetze liegen. Lindner betonte, dass Wechselrichter und nicht die Fertigung von Solarmodulen, die weltweit verfügbar sind, die wahre technologische Herausforderung darstellen. Er argumentierte, dass eine gezielte finanzielle Förderung einzelner Sektoren durch Steuergelder weder die Sicherheit des Wirtschaftsstandortes Deutschland stärken noch zur erfolgreichen Umsetzung der Energiewende beitragen würde.
Diese Haltung wird im Kontext der anhaltenden Debatte um das Solarpaket und insbesondere den umstrittenen Resilienzbonus relevant. Während die heimische Produktion durch den Bonus finanziell unterstützt werden sollte, um die Produktionslücke zu China und den USA zu schließen, deutet alles darauf hin, dass der Resilienzbonus nicht realisiert wird. Diese Entwicklung enttäuscht insbesondere lokale Politiker wie den Ministerpräsidenten von Sachsen-Anhalt, Reiner Haseloff, der die Bedeutung des Resilienzbonus für die Solarindustrie in seiner Region und insbesondere für Unternehmen wie Meyer Burger hervorhob. Haseloff betonte die negativen Konsequenzen dieser Entscheidung für die Energiewende in Deutschland und erinnerte an den früheren Niedergang der Solarindustrie in Sachsen-Anhalt, der sogenannten Solar Valley, als Zeichen für das wiederkehrende Szenario des Verlusts technologischer Führungspositionen an internationale Wettbewerber.
Darüber hinaus hatte das Science Media Centre schon in der vergangenen Woche einige Fachleute zum Thema befragt.
Prof. Dr. Martin Weibelzahl
Professor für Digitale Energiemärkte, Universität Luxemburg
„Grundsätzlich gibt es viele gute Gründe, auf globale Lieferketten zu setzen. Dies hat uns in vielen Bereichen vielfältige Vorteile gebracht – denken wir zum Beispiel an deutlich gesunkene Preise bei verschiedensten Gütern unseres Alltags. Auf der anderen Seite bringt eine Abhängigkeit von ausländischen Lieferanten als Kehrseite immer Risiken mit sich. Das hat uns der Krieg in der Ukraine schmerzlich vor Augen geführt. Die Frage ist, wie hoch diese Risiken und der resultierende Schaden sind, wer von dem potenziellen Schaden in welchem Maße betroffen ist, wie gut der Betroffene mit dem Schaden umgehen kann und mit wieviel Vorlauf der Schaden eintritt. All dies hat einen Einfluss darauf, in welchem Umfang durch staatliche Maßnahmen zielgerichtet eingegriffen werden sollte, und unterstreicht letztlich die Komplexität des Themas.“
Klare Zielsetzung ist wichtig
„Aktuelle Debatten zum Thema Solarindustrie erscheinen dabei oftmals wie ein Irrgarten mit vielen möglichen Wegen und Abzweigungen: Förderung der Nachfrageseite, Förderung der Angebotsseite, direkte Subventionen, indirekte Eingriffe und vieles Mehr. Um sich in diesem Irrgarten zurechtzufinden, ist es allerdings unerlässlich, ein klares Ziel vor Augen zu haben: Wollen – und können – wir eine international wettbewerbsfähige Solarindustrie fördern? Oder geht es uns vor allem um Fragen der heimischen Versorgungssicherheit?“
„Was das Thema zusätzlich schwierig macht, ist die Tatsache, dass sich die Wege in diesem Solarlabyrinth dynamisch ändern: Wir sprechen von einer fragmentierten und dynamischen Industrie mit verschiedensten Komponenten und Produktvarianten. So erlauben neue technologische Entwicklungen wie das Drucken von Solarzellen oder bifaziale Solarmodule weitaus differenziertere Anwendungsfälle, wie beispielsweise die Integration von Solarzellen in Fenstern oder auf Autodächern. Traditionelle Technologien sind für diese neuen Anwendungen nicht geeignet. Eine schnelle technologische Entwicklung und mögliche Qualitätsverluste bei einer Lagerung verhindern, dass Reserven im großen Stil und über längere Zeit sinnhaft angelegt werden können – anders als bei den homogenen Gütern Öl und Gas.“
Art der Versorgungssicherheit
„Aus meiner Sicht geht es bei den aktuellen Debatten allerdings nicht um Fragen, die unmittelbar über Leben und Tod entscheiden – wie es beispielsweise bei der Versorgung mit Medikamenten der Fall ist. Es geht insbesondere um die Frage, wie wir sicherstellen, dass wir auch in Zukunft in der Lage sind, die Infrastruktur für unser dekarbonisiertes Energiesystem aufrechtzuerhalten und weiter auszubauen. Und in direkter Konsequenz darum, auf diese Weise Versorgungssicherheit auch mittel- bis langfristig sicherzustellen.“
Fokus auf neue Solartechnologien
„Aus meiner Sicht sollten wir in Europa daher neben einer Diversifizierung von Lieferanten mit Priorität an der Next-Level Solarindustrie arbeiten und nicht versuchen, durch irrsinnige Subventionen vergeblich zum Weltmarktführer bei aktuellen Solartechnologien zu werden. Hierbei spielt sicher die Stärkung und Förderungen von Forschung und Entwicklung eine zentrale Rolle, genau wie attraktive Bedingungen für Startups und weitere Inkubatoren von Innovationen.“
„Ansätze zur Förderung der Nachfrageseite bringen hingegen viele komplexe Fragen der genauen Parametrisierung mit sich, die absehbar ein Trial-and-Error erfordern. Letztlich fördern sie aufgrund der einhergehenden Unsicherheiten eher ein Verirren im Solarlabyrinth, als einen klaren (Aus-)Weg aufzuzeigen. Gleiches gilt für protektionistische Maßnahmen, denn ein freier Handel ist unerlässlich für den gemeinsamen Kampf gegen unseren größten Feind: den globalen Klimawandel.“
Prof. Dr. Andreas Bett
Institutsleiter, Fraunhofer-Institut für Solare Energiesysteme, Freiburg
Technologische Unabhängigkeit
„Es ist unbestritten, dass der Ausbau der Photovoltaik weiterhin schnell erfolgen muss, um die Klimaziele zu erreichen. Gleichzeitig sollten sich Europa und Deutschland mittelfristig von der nahezu vollständigen Abhängigkeit von chinesischen Produkten lösen und einen gewissen Prozentsatz des Eigenbedarfs an PV-Modulen selbst produzieren. Beide Ziele sind richtig und können auch ohne sich gegenseitig zu schädigen umgesetzt werden. Ich halte es im Bereich der Energie für unabdingbar, die technologischen Souveränität zu gewährleisten, um damit eine gewisse Unabhängigkeit zu erreichen. Es sei nur an die Erfahrungen mit dem russischen Gas erinnert. Der Net Zero Industry Act zielt auf eine 40-prozentige Eigenversorgung – im Bereich der Photovoltaik also etwa auf eine Produktionskapazität von 9 GW in Deutschland.“
Wirkung und Kosten des Resilienzbonus
„Die Mehrheit der Solarbranche steht klar hinter dem Ansatz des Resilienzbonus. Auch die Gegner des Resilienzbonus votieren letztlich für den Aufbau einer europäischen PV-Produktion. Es wird nur öffentlich sehr wirkungsvoll um den richtigen Weg gerungen. Der Resilienzbonus hat den Vorteil, dass er vergleichsweise schnell wirksam werden kann und somit den aktuell leidenden Produzenten in Deutschland – alles Mittelständler – helfen würde. Damit ist es ein sinnvolles Instrument. Für den Aufbau einer Produktion entlang der Wertschöpfungskette bedarf es auch der direkten Unterstützung beim Aufbau der Fabriken.“
„Die einmaligen Kosten für die Unterstützung beim Aufbau der Fertigung und die Kosten für den Resilienzbonus über die kommenden 20 Jahren können auf insgesamt 12 bis 15 Milliarden Euro geschätzt werden. Davon sind etwa zwei Drittel der Kosten dem Resilienzbonus zuzuordnen. Das ist der Preis dafür, um eine Unabhängigkeit im Bereich der solaren Energieerzeugung zu erlangen. Andere Länder investieren deutlich höhere Summen, um dieses Ziel zu erreichen. Durch eine industrielle Produktion im Lande verringern sich die Ausgaben für Export und gleichzeitig werden die Einnahmen durch Steuern erhöht – eine volle volkswirtschaftliche Betrachtung sollte durchgeführt werden.“
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