Von wegen Krise – Kaum sinken die Wachstumsraten, herrscht wieder Krisenstimmung. Dabei wachsen wir heute noch genauso stark wie zu Wirtschaftswunderzeiten.
Von Kay Bourcarde und Karsten Herzmann
Sollte sich die Wachstumsprognose des Internationalen Wirtschaftsfonds (IWF) bewahrheiten, wird Deutschland im laufenden Jahr genauso stark wachsen wie noch zu Wirtschaftswunderzeiten. Wie bitte? Was angesichts immer lauteren Warnungen vor einer neuen Krise absurd klingt, hat einen wahren Hintergrund: Der IWF prognostiziert für 2019 ein Wachstum von 1,3%. Damit würde das deutsche Inlandsprodukt real um über 30 Milliarden Euro zulegen. Die gleichen 30 Milliarden Euro aber haben (inflationsbereinigt) im Jahr 1957 noch zu einem Wachstum von über 6% geführt.
Das gleiche absolute Wachstum – einmal Zeichen eines Wunders, einmal Vorbote einer Krise. Dass die Wachstumsrate heute so viel niedriger ausfällt als damals, ist einzig dem Umstand geschuldet, dass das Ausgangsniveau so viel größer geworden ist: Unser heutiges Inlandsprodukt übersteigt das der Wirtschaftswunderjahre real um das Vier- bis Fünffache. Dementsprechend aber sinken mit mathematischer Zwangsläufigkeit die Wachstumsraten.
Der naheliegende Einwand lautet, dass der Maßstab aber nun einmal nicht das absolute Wachstum ist, sondern die Wachstumsrate. Doch warum eigentlich? Wer in ein Ökonomielehrbuch schaut, erfährt weshalb: Der Messung des Wachstums in Prozenten liegt die Annahme zugrunde, dass sich Volkswirtschaften typischerweise exponentiell entwickeln. Das ist jenes sich beschleunigende Wachstum, das man vom Zinseszins kennt und dessen ungeheure Dynamik sich uns so schwer erschließt. Denn für konstante Prozentraten reicht es nicht, wenn wir Jahr für Jahr mehr Kühlschränke, Autos und Häuser bauen als im Vorjahr, sondern dieser Zuwachs selbst muss ständig größer werden. Aus genau diesem Grund warnt die ökologische Wachstumskritik schon seit den 70er Jahren vor einer Fortsetzung des exponentiellen Wachstums.
Das bemerkenswerte am exponentiellen Wirtschaftswachstum aber ist: es existiert nicht. Ein Blick zurück auf die letzten 60 Jahre fördert mit verblüffender Eindeutigkeit zutage, dass sich die Realität der Theorie verweigert. Weder Deutschland noch nahezu alle anderen entwickelten Volkswirtschaften weltweit sind exponentiell gewachsen. Der eigentliche Normalfall ist vielmehr ein linearer, also ein Wachstum um die immer gleichen absoluten Beträge. Die Bundesrepublik beispielsweise hat in jedem Jahrzehnt real um etwa 300 Milliarden Euro zugelegt – heute, aber eben auch zu Wirtschaftswunderzeiten.
Damit bekommt die Frage, warum wir Wachstum eigentlich in Prozenten messen, eine völlig neue Bedeutung: Mit der Wachstumsrate haben wir eine Maßeinheit gewählt, die exponentielles Wachstum impliziert und die deshalb nicht dafür geeignet ist, die lineare Realität abzubilden. Da die sinkenden Raten den Blick auf das dahinter liegende stetige Wachstum verdecken, schrillen immer wieder neu die Alarmglocken. Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten sind wir deshalb davon überzeugt, dass unserer Ökonomie auf lange Sicht die Kraft ausgeht und wir gegensteuern müssen.
Das wiederum hat eine Politik begünstigt, die in die immer gleiche Richtung gegangen ist und für viele Bürger persönliche Stagnation oder gar Einschnitte gebracht hat. Regierungen von Kohl über Schröder bis Merkel haben ihre Reformen zudem meist mit einem Versprechen verbunden: Wir müssen euch heute etwas zumuten, aber wir tun das, damit es morgen allen besser geht – weil wir dann wieder höheres Wachstum haben, mit dem wir die Armut bekämpfen können und das höhere Löhne für die breite Masse bringt. Das höhere Wachstum aber kam nie, konnte in einer linear wachsenden Volkswirtschaft gar nicht kommen. Zurück blieben deshalb nicht nur enttäuschte
Von Kay Bourcarde und Karsten Herzmann
Sollte sich die Wachstumsprognose des Internationalen Wirtschaftsfonds (IWF) bewahrheiten, wird Deutschland im laufenden Jahr genauso stark wachsen wie noch zu Wirtschaftswunderzeiten. Wie bitte? Was angesichts immer lauteren Warnungen vor einer neuen Krise absurd klingt, hat einen wahren Hintergrund: Der IWF prognostiziert für 2019 ein Wachstum von 1,3%. Damit würde das deutsche Inlandsprodukt real um über 30 Milliarden Euro zulegen. Die gleichen 30 Milliarden Euro aber haben (inflationsbereinigt) im Jahr 1957 noch zu einem Wachstum von über 6% geführt.
Das gleiche absolute Wachstum – einmal Zeichen eines Wunders, einmal Vorbote einer Krise. Dass die Wachstumsrate heute so viel niedriger ausfällt als damals, ist einzig dem Umstand geschuldet, dass das Ausgangsniveau so viel größer geworden ist: Unser heutiges Inlandsprodukt übersteigt das der Wirtschaftswunderjahre real um das Vier- bis Fünffache. Dementsprechend aber sinken mit mathematischer Zwangsläufigkeit die Wachstumsraten.
Der naheliegende Einwand lautet, dass der Maßstab aber nun einmal nicht das absolute Wachstum ist, sondern die Wachstumsrate. Doch warum eigentlich? Wer in ein Ökonomielehrbuch schaut, erfährt weshalb: Der Messung des Wachstums in Prozenten liegt die Annahme zugrunde, dass sich Volkswirtschaften typischerweise exponentiell entwickeln. Das ist jenes sich beschleunigende Wachstum, das man vom Zinseszins kennt und dessen ungeheure Dynamik sich uns so schwer erschließt. Denn für konstante Prozentraten reicht es nicht, wenn wir Jahr für Jahr mehr Kühlschränke, Autos und Häuser bauen als im Vorjahr, sondern dieser Zuwachs selbst muss ständig größer werden. Aus genau diesem Grund warnt die ökologische Wachstumskritik schon seit den 70er Jahren vor einer Fortsetzung des exponentiellen Wachstums.
Das bemerkenswerte am exponentiellen Wirtschaftswachstum aber ist: es existiert nicht. Ein Blick zurück auf die letzten 60 Jahre fördert mit verblüffender Eindeutigkeit zutage, dass sich die Realität der Theorie verweigert. Weder Deutschland noch nahezu alle anderen entwickelten Volkswirtschaften weltweit sind exponentiell gewachsen. Der eigentliche Normalfall ist vielmehr ein linearer, also ein Wachstum um die immer gleichen absoluten Beträge. Die Bundesrepublik beispielsweise hat in jedem Jahrzehnt real um etwa 300 Milliarden Euro zugelegt – heute, aber eben auch zu Wirtschaftswunderzeiten.
Damit bekommt die Frage, warum wir Wachstum eigentlich in Prozenten messen, eine völlig neue Bedeutung: Mit der Wachstumsrate haben wir eine Maßeinheit gewählt, die exponentielles Wachstum impliziert und die deshalb nicht dafür geeignet ist, die lineare Realität abzubilden. Da die sinkenden Raten den Blick auf das dahinter liegende stetige Wachstum verdecken, schrillen immer wieder neu die Alarmglocken. Schon seit mehr als zwei Jahrzehnten sind wir deshalb davon überzeugt, dass unserer Ökonomie auf lange Sicht die Kraft ausgeht und wir gegensteuern müssen.
Das wiederum hat eine Politik begünstigt, die in die immer gleiche Richtung gegangen ist und für viele Bürger persönliche Stagnation oder gar Einschnitte gebracht hat. Regierungen von Kohl über Schröder bis Merkel haben ihre Reformen zudem meist mit einem Versprechen verbunden: Wir müssen euch heute etwas zumuten, aber wir tun das, damit es morgen allen besser geht – weil wir dann wieder höheres Wachstum haben, mit dem wir die Armut bekämpfen können und das höhere Löhne für die breite Masse bringt. Das höhere Wachstum aber kam nie, konnte in einer linear wachsenden Volkswirtschaft gar nicht kommen. Zurück blieben deshalb nicht nur enttäuschte
Wähler, sondern auch eine verunsicherte Politik, die angesichts der vermeintlich fragilen Ökonomie lieber nichts riskiert, als das falsche zu tun.
Höchste Zeit also, dass wir den ‚exponentiellen Irrtum‘ hinter uns lassen. Dann nämlich können wir mit unseren Versuchen aufhören, zu einem Normalzustand zurückkehren, der nie existiert hat. Und wir können uns mit neuem ‚ökonomischem Urvertrauen‘ den großen Herausforderungen zuwenden, vor denen wir stehen.
Höchste Zeit also, dass wir den ‚exponentiellen Irrtum‘ hinter uns lassen. Dann nämlich können wir mit unseren Versuchen aufhören, zu einem Normalzustand zurückkehren, der nie existiert hat. Und wir können uns mit neuem ‚ökonomischem Urvertrauen‘ den großen Herausforderungen zuwenden, vor denen wir stehen.
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