Längere zähe Beschleunigung von Windenergie an Land könnte sich auch auf Kohleausstieg auswirken. Alternativen wie Wind-auf-See oder Solarstrom werden Land-Wind-Ausbau nicht ersetzen. Forschende: Alternative Finanzierungswege und mehr Bürgerbeteilung könnten helfen, den Ausbau zu beschleunigen
Ein vorgezogener Kohleausstieg gehört mit einem schnellen Ausbau der Windenergie zusammen. Dieser beschleunigt sich zwar auch, aber nur langsam. So dürfte sich die erste Windausbau-Zielmarke des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) für 2024 – 69 Gigawatt (GW) installierte Windkraftleistung an Land – kaum noch erreichen lassen. Wir haben daher Forschende gefragt, welche Auswirkungen die langsame Beschleunigung des Windenergieausbaus an Land auf den Kohleausstieg haben könnte, und wie dieser beschleunigt werden kann – zur Not auch am EEG vorbei. Quintessenz: Wind an Land ist nicht durch Photovoltaik oder Wind auf See ersetzbar. Aber noch ist Zeit, um Genehmigungsverfahren zu beschleunigen, Wege für alternative, unter Umständen schnellere Finanzierungsverfahren als über das EEG zu öffnen und für mehr Akzeptanz durch Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern zu sorgen.
Diese Punkte bleiben wichtig, auch wenn der Bundeswirtschaftsminister heute Eckpunkte für die kommende Wasserstoff-Kraftwerksstrategie angekündigt hat . Denn die Kohlekraftwerke würden vor allem durch Windkraft an Land abgelöst, da bis 2030 115 GW Windenergieleistung an Land und 30 GW auf See installiert werden sollen Die Wasserstoff-Kraftwerke werden voraussichtlich vor allem dann tätig, wenn die Stromerzeugung durch Windräder nicht ausreicht, um den Verbrauch zu decken. Zu diesen Ausbauzielen haben einige renommierte Wissenschafter Stellung bezogen:
► Prof. Dr. Martin Weibelzahl
Professor für Data Analytics, Technische Hochschule Augsburg, und Mitglied des Institutsteils Wirtschaftsinformatik des Fraunhofer-Instituts für Angewandte Informationstechnik (FIT), BayreuthVersorgungssicherheit gewährleistet „Was mir abseits der unmittelbaren Auswirkungen auf Versorgungssicherheit und Klimaschutz allerdings Sorge bereitet: die Tatsache, dass die Politik bereits ihr allererstes Ziel in 2024 verfehlen wird. So kann die Glaubwürdigkeit der Politik, alles in ihrer Macht Stehende für eine Zielerreichung zu tun, enorm leiden. Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Politik sind heute allerdings entscheidender denn je, um die riesigen Investitionen zu realisieren – nicht nur in erneuerbare Energien, sondern beispielsweise auch in intelligente Netze oder Speicher. Dieser Verantwortung muss sich die Politik bewusst sein und stellen.“ „Der Zubau an erneuerbaren Energien wird meiner Einschätzung nach forciert werden (müssen). Und zwar überall: auf dem Land, auf dem Wasser und auf unseren Dächern. Wenn es uns gelingt, Wirtschaft und Gesellschaft bei diesem großen Kraftakt mitzunehmen, bin ich guter Dinge. Dies erfordert allerdings auch innovative politische Werkzeuge, für die sich die Politik stark machen und mutig sein muss. Ohne eine mutige Politik droht uns, bei jedem neuen Ziel weiter zurückzubleiben. Ich würde sagen, Energiepolitik ist nichts für Feiglinge.“ Anreize für Flexibilität Photovoltaik-Ausbau beschleunigen Stromnetz-Ausbau beschleunigen „Natürlich muss die Politik und müssen wir alle weiter beherzt daran arbeiten, die Ziele für 2024 doch noch zu erreichen. Wichtig ist es, die notwendigen Maßnahmen jetzt zu ergreifen, auch wenn manche dieser Maßnahmen erst zeitversetzt ihre Wirkung entfalten werden. Denn die Zeit wird immer knapper. Jedes Jahr zählt. Für konsistente politische Entscheidungen bedarf es eines klaren Zielbildes, wie und auf welcher Basis wir unsere Energiezukunft gestalten wollen.“ Neues System für Strommarkt „Aus meiner Sicht ist es eine wesentliche Aufgabe der Politik, diese zentralen Preisanreize an den Märkten richtig zu setzen und darauf aufbauend mögliche begleitende Instrumente wie Contracts for Difference oder Power Purchase Agreements komplementär auszugestalten. Contracts for Difference werden genau wie Power Purchase Agreements alleine unsere Probleme nicht lösen.“ (Siehe dazu auch die Anmerkung zu diesen Begriffen am Ende des Statements von Claudia Kemfert; Anm. d. Red.) „Neben Kernfragestellungen des Marktdesigns gehört mit Sicherheit auch ein weitsichtiger Aufbau von Know-How und Personal bei Behörden und anderen zentralen Akteuren zu den notwendigen Maßnahmen, die zur Erhöhung des Anteils erneuerbarer Energien und Erreichung unserer Ziele einen Beitrag leisten. Auch eine konsequente Digitalisierung ist ein wesentlicher Enabler, ohne den beispielsweise Genehmigungsverfahren nur begrenzt beschleunigt werden können. Die Politik kann und muss bei all diesen Themen den Rahmen setzen, damit Wirtschaft und Gesellschaft schlussendlich zum aktiven Gestalter der Energiewende werden.“ ► Prof. Dr. Claudia KemfertAbteilungsleiterin in der Abteilung „Energie, Verkehr und Umwelt“, Deutsches Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), Berlin„Der Kohleausstieg müsste bis 2030 stattfinden, damit die Klimaziele von Paris gehalten werden können. Dies kann nur gelingen durch einen deutlich schnelleren Ausbau der erneuerbaren Energien und insbesondere der Windenergie. Zwar zeigt der Trend des Ausbaus der Windenergie erfreulicherweise in die richtige Richtung – dass mehr Anlagen zugebaut werden – aber der Zubau reicht nicht. Das Tempo muss deutlich erhöht werden, damit die Ziele erreicht werden können. Die anvisierten Zubaumengen der Bundesregierung sind ja schon zu gering, um Klima- und Energiewende-Ziele zu erreichen. Wenn selbst diese nicht erreicht werden, sind wir nicht auf dem richtigen Pfad. Diese Fehlentwicklung muss schnell korrigiert werden.“ Windenergie – Zubau nach 2024 Kompensation durch Wind auf See oder Photovoltaik unwahrscheinlich Kurzfristige Beschleunigung „Zudem wäre eine Beschleunigung der Genehmigungsverfahren essenziell, wir benötigen die ‚Deutschland-Geschwindigkeit‘, die wir seit den Genehmigungen der LNG-Terminals kennen, auch und gerade für die Windenergie. Sollte Personal in den Ämtern fehlen, wäre eine kurzfristige Unterstützung aus Berlin wünschenswert. Da offenbar fehlende Transportrouten durch marode Straßen und Brücken auch ein Hinderungsgrund sind, sollten alternative Transportrouten kurzfristig möglich gemacht werden.“ Anm. d. Red.: CfD – Contract for Difference. Förderung bei der in Zeiten niedriger Erlöse im Strommarkt Mindestpreise vom Staat garantiert werden und umgekehrt in Zeiten hoher Erlöse Zahlungen von den geförderten Anlagen fällig werden sollen. Auch als zweiseitige Marktprämie oder Korridormodelle bezeichnet. Aktuelles Beispiel aus Großbritannien, der auch Grenzen aufzeigt: Windpark Norfolk Boreas ► Prof. Dr. Andreas LöschelProfessor am Lehrstuhl für Umwelt-/Ressourcenökonomik und Nachhaltigkeit, Ruhr-Universität Bochum„Es ist eine schlechte Nachricht, dass der Ausbau der Windenergie an Land nicht rascher vorangeht. Allerdings war auch klar, dass die Beschleunigung beim Windausbau an Land Zeit brauchen wird. Insofern kann aus der Entwicklung im Jahr 2024 noch nicht auf den Ausbau bis Ende des Jahrzehnts geschlossen werden. Es ist aber auch klar, dass die Erreichung dieser mittelfristigen Pfade für den Kohleausstieg notwendig sein werden. Selbst dann wird der Kohleausstieg aber auch nur mit einem massiven Zubau von Gaskraftwerken gelingen, die später auf Wasserstoff umgestellt werden. Die Nichterreichung der Erneuerbaren-Ziele verschärft diese Problematik weiter.“ Windenergie – Zubau nach 2024 Kompensation durch Wind auf See oder Photovoltaik unwahrscheinlich ► Eva Hauser Forschungskoordinatorin, Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme, Saarbrücken und Katja Weiler, wissenschaftliche Mitarbeiterin, Institut für Zukunftsenergie- und Stoffstromsysteme, Saarbrücken„Insbesondere für den Schutz des Klimas und unseres Planeten ist ein stetiger und ambitionierter Ausbau der erneuerbaren Energien und damit auch der Windenergie unerlässlich. Weitere wissentliche Verzögerungen hierbei sind bereits in Anbetracht der gegenwärtigen Wetterextreme und ihrer lebensbedrohlichen Konsequenzen nicht mehr hinnehmbar.“ „Die Europäische Union und die Bundesregierung haben aufgrund dieser Dringlichkeit bereits einige Maßnahmen ergriffen, die für eine Beschleunigung des Ausbaus von Windenergie an Land sorgen sollen. Dazu gehören unter anderem das deutsche Windenergieflächenbedarfsgesetz und die europäischen Go-to-Gebiete, welche zusätzlich ausgewiesene Windenergiegebiete und vereinfachte Genehmigungsverfahren einführen – zum Beispiel eine Privilegierung der erneuerbaren Energien in Relation zu anderen öffentlichen Belangen. Zur Akzeptanzsteigerung in der gesamten Bevölkerung sollen Kommunen an den Erträgen der Photovoltaik (PV)- und Windkraftanlagen nun direkt profitieren. Einige Bundesländer erlassen derzeit verpflichtende Regelungen für Projektierende, um zusätzliche Maßnahmen für den Klimaschutz und der allgemeinen Daseinsvorsorge für alle Bürger*innen (unter anderem auch finanzschwache Haushalte) finanzieren zu können.“ Kompensation durch Wind auf See oder Photovoltaik unwahrscheinlich Kurzfristige Beschleunigung |
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