Als Renate Müller in Rente ging, freute sie sich darauf, endlich mehr Zeit mit ihren Enkeln zu verbringen. Doch stattdessen sitzt sie heute an ihrem Küchentisch und jongliert verzweifelt mit Zahlen: Die Rente reicht kaum noch aus, um die monatliche Miete zu bezahlen. Lebensmittel, Arztbesuche oder kleine Geschenke für die Familie? Dafür bleibt fast nichts mehr übrig. „Früher hieß es, man soll nicht mehr als ein Drittel seines Einkommens für Miete ausgeben. Heute schluckt meine Wohnung über die Hälfte“, erzählt sie mit brüchiger Stimme. Frau Müller ist kein Einzelfall. Sie steht stellvertretend für Millionen Menschen in Deutschland, die nach Abzug der Wohnkosten kaum noch über die Runden kommen – und zeigt, wie dramatisch die Situation wirklich ist. Und das trifft nicht nur Rentner, sondern reicht bis tief in die Mittelschicht hinein.

In Deutschland, einem der reichsten Länder der Welt, verliert das eigene Zuhause für immer mehr Menschen seinen sicheren Hafen und wird zur existenziellen Belastung. Familien, Alleinerziehende, Rentnerinnen und Rentner stehen vor der gleichen bitteren Realität: Steigende Mieten fressen einen Großteil ihres Einkommens auf, während die Politik hinterherzuhinken scheint. Der Gedanke, dass mehr als ein Fünftel der Bevölkerung nicht mehr genug Geld zum Leben hat, nachdem sie ihre Wohnkosten gedeckt haben, ist erschreckend. Es zeigt, wie brüchig das Fundament unseres sozialen Gefüges geworden ist – und wie dringend gehandelt werden muss, bevor Wohnen endgültig zum unbezahlbaren Luxus wird.

Wohnkosten treiben Millionen Menschen in die Armut

Ein aktueller Bericht der Paritätischen Forschungsstelle zeigt, dass in Deutschland 5,4 Millionen Menschen mehr von Armut betroffen sind, als bislang angenommen – eine erschreckende Realität, die durch hohe Wohnkosten sichtbar wird. Laut der neuen „Wohnarmuts-Berechnung“ sind insgesamt 21,2 Prozent der Bevölkerung, das entspricht 17,5 Millionen Menschen, von Armut betroffen, wenn die Wohnkosten berücksichtigt werden.

Warum Wohnen arm macht

Die sogenannte Ein-Drittel-Regel, die besagt, dass maximal ein Drittel des Einkommens für Miete ausgegeben werden sollte, ist für viele Menschen längst unerreichbar. Die Mieten steigen schneller als die Einkommen, und viele Haushalte geben inzwischen über die Hälfte ihres Einkommens fürs Wohnen aus. Die Folge: Weniger Geld bleibt für den Alltag – für Lebensmittel, Bildung oder gesundheitliche Vorsorge. Besonders betroffen sind Menschen, die keine Möglichkeit haben, auf günstigere Wohnalternativen auszuweichen, etwa weil diese am Arbeits- oder Wohnort schlicht nicht verfügbar sind.

Armut neu gedacht

Die Paritätische Forschungsstelle hat die konventionelle Armutsberechnung erweitert. Statt nur das Einkommen zu berücksichtigen, wird bei der neuen Methode das verbleibende Einkommen nach Abzug der Wohnkosten betrachtet. Die Ergebnisse sind alarmierend: Während die herkömmliche Berechnung eine Armutsgefährdungsquote von 14,4 Prozent ausweist, zeigt die neue Berechnung, dass fast ein Viertel der deutschen Bevölkerung in Armut lebt.

Wer ist besonders betroffen?

Wohnarmut trifft bestimmte Gruppen besonders hart. Alleinstehende über 65 Jahre sind mit 41,7 Prozent am stärksten betroffen, gefolgt von Alleinerziehenden, bei denen 36 Prozent unter Wohnarmut leiden. Auch regionale Unterschiede sind deutlich: In Bremen (29,3 Prozent) und Sachsen-Anhalt (28,6 Prozent) ist die Wohnarmut besonders ausgeprägt. In Hamburg fällt der Unterschied zwischen herkömmlicher und wohnkostenbereinigter Armut mit 11,8 Prozentpunkten besonders ins Auge.

Handlungsbedarf für die Politik

Die Ergebnisse der Studie verdeutlichen den dringenden Handlungsbedarf. Der Paritätische Gesamtverband fordert die Bundesregierung auf, wirksame Maßnahmen gegen steigende Mieten zu ergreifen. Neben klaren Problemdiagnosen bietet der Bericht auch konkrete Lösungsvorschläge, darunter ein stärkerer Ausbau des sozialen Wohnungsbaus, Maßnahmen zur Mietpreisbremse und gezielte Entlastungen für besonders betroffene Gruppen.

Die Zahlen sind, so der Paritätische, ein Weckruf: Ohne entschlossenes Handeln droht die Schere zwischen Einkommen und Wohnkosten weiter auseinanderzugehen – und damit eine Vertiefung der sozialen Ungleichheit in Deutschland.

 

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