Typisch männlich, typisch weiblich? Zumindest das Frauenbild hat sich verändert. Vor allem sind sie nicht mehr das Dummchen am Herd. Repräsentative Umfragedaten deuten darauf hin, dass sich die Geschlechtsstereotype in den USA seit den 1940er Jahren erheblich geändert haben. In einer Studie zeigen Forschende der Universität Bern und der Northwestern University (USA), dass die wahrgenommene Kompetenz von Frauen im Vergleich zu Männern zugenommen hat. Dies steht im Einklang mit der zunehmenden Bildung und Beteiligung von Frauen im Arbeitsmarkt.

Geschlechtsstereotype sind nicht starr und unveränderbar wie bisher angenommen: Eine Studie von Christa Nater und Sabine Sczesny vom Institut für Psychologie der Universität Bern sowie Forschenden der Northwestern University (USA) zeigt, dass diese sich entsprechend der sozialen Rollen von Frauen und Männern in einer Gesellschaft verändern. «Seit Mitte des 20. Jahrhunderts haben sich die Rollen von Frauen und Männern in den USA wie in vielen westlichen Nationen gravierend gewandelt», sagt Christa Nater. «Entsprechend haben sich auch die Vorstellungen über die Eigenschaften von Frauen und Männern geändert», so die Psychologin weiter.
Meta-Analyse untersucht Daten von über sieben Jahrzehnten
Die Forschenden um Christa Nater und Sabine Sczesny analysierten sechzehn national repräsentative Meinungsumfragen, die zwischen 1946 und 2018 in den USA mit insgesamt mehr als 30‘000 erwachsenen Befragten durchgeführt wurden. Dabei untersuchten sie innerhalb dieser Meinungsumfragen drei Stereotype: Communion (charakterisiert durch Eigenschaften wie mitfühlend, sensibel, liebevoll), Agency (wie ehrgeizig, aggressiv, entscheidungsfreudig) und Kompetenz (wie intelligent, organisiert, kreativ) – und ob die Befragten der Meinung waren, dass diese Eigenschaften eher Frauen, eher Männern oder gleichermassen beiden zugeschrieben werden. Nater erklärt: «Zwar gibt es viele Studien zu Geschlechtsstereotypen, aber keine andere Studie hat deren Veränderung über viele Jahrzehnte anhand repräsentativer Stichproben untersucht.» Die Studie wurde im American Psychologist publiziert.
Kompetenz-Stereotyp veränderte sich über die Zeit hinweg
Die Forschenden kommen zum Schluss, dass sich das Kompetenz-Stereotyp im Laufe der Jahrzehnte dramatisch verändert hat. So gaben etwa in der Meinungsumfrage von 1946 nur 35 Prozent der befragten Personen an, dass Männer und Frauen gleichermassen intelligent sind. Von denjenigen, die glaubten, dass es einen Unterschied zwischen Mann und Frau gibt, erachteten die meisten der Befragten Männer als kompetenter. Im Gegensatz dazu glaubten im Jahr 2018 ganze 86 Prozent der Befragten, dass Männer und Frauen gleichermassen intelligent sind. Von den Befragten, die einen Unterschied sahen, glaubten neun Prozent dass Frauen intelligenter sind, und nur 5% dass Männer intelligenter sind. Die Forschenden stellen zudem fest, dass sich unterschiedliche Gruppen von Befragten im Allgemeinen über diese Stereotype einig sind: Beispielsweise schrieben die Befragten der aktuellsten Meinungsumfrage von 2018 Kompetenz häufiger Frauen als Männern zu, unabhängig von ihrem eigenen Geschlecht, ethnischer Zugehörigkeit, Hochschulausbildung, Familienstand, Beschäftigungsstatus oder Geburtskohorte.
Gewisse Stereotype halten sich
Die Studienergebnisse über die kommunalen und agentischen Stereotype überraschen: Die Wahrnehmung von Frauen als kommunaler und von Männern als agentischer hat sich seit den 1940er Jahren nicht wesentlich verändert – im Gegensatz zur verbreiteten Annahme, dass sich die Geschlechterrollen angleichen würden. «Kommunale Stereotype haben sich sogar noch verstärkt, so dass Frauen über die Zeit hinweg als noch mitfühlender, liebevoller und sensibler wahrgenommen werden als Männer», so Nater. Männer gelten nach wie vor als ehrgeiziger, aggressiver und entschlossener als Frauen und dieser Glaube hat sich seit den 1940er Jahren nicht wesentlich verändert.
Ursachen für sich verändernde Stereotype
Menschen beobachten Frauen und Männer in unterschiedlichen sozialen Rollen und leiten daraus Eigenschaften ab, die die Geschlechtsstereotype ausmachen. «Geschlechtsstereotype spiegeln somit die soziale Position von Frauen und Männern in der Gesellschaft wider und ändern sich daher nur, wenn sich diese Positionen verändern», erklärt Sabine Sczesny. Die Forschenden interpretieren die Studienergebnisse folgendermassen: Die zunehmende Erwerbsbeteiligung und Bildung von Frauen geht wahrscheinlich mit der Zunahme ihrer wahrgenommenen Kompetenzen einher. Die berufliche Segregation und die Aufteilung der häuslichen Rollen liegen jedoch den Erkenntnissen des kommunalen und agentischen Stereotyps zugrunde. «Als Frauen in grosser Zahl eine bezahlte Beschäftigung angetreten haben, konzentrierten sich ihre Jobs weiterhin auf Berufe, die soziale Kompetenzen belohnen oder einen Beitrag zur Gesellschaft leisten. Und Frauen verbringen im Durchschnitt ungefähr doppelt so viel Zeit mit Hausarbeit und Kinderbetreuung wie Männer», sagt Sczesny. «Im Gegensatz dazu konzentrieren sich Männer auf Führungsrollen und Berufe, die körperliche Stärke, Wettbewerb, sowie analytische, mathematische und technische Fähigkeiten erfordern», so Sczesny weiter.
Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt
«Wie die Ergebnisse der aktuellen Studie zeigen, sollten die gegenwärtigen Stereotype die Beschäftigung von Frauen fördern, da Kompetenz für praktisch alle Jobs eine Anforderung ist», merkt Sczesny an. Ausserdem würden zunehmend soziale Kompetenzen belohnt, was die grössere wahrgenommene Kommunalität von Frauen zu einem zusätzlichen Vorteil mache. Die Ergebnisse seien jedoch nicht nur positiv für Frauen, fügt Sczesny hinzu: «Die meisten Führungspositionen erfordern mehr agentische als kommunale Eigenschaften, und das geringere Ausmass an Ehrgeiz, Aggressivität und Entscheidungsfreudigkeit, das Frauen im Vergleich zu Männern zugeschrieben wird, ist ein Nachteil in Bezug auf Führung.»
Originalpublikation:
Eagly, A. H., Nater, C., Miller, D., Kaufmann, M. & Sczesny, S. (2019), «Gender stereotypes have changed: A cross-temporal meta-analysis of U.S. public opinion polls from 1946-2018.», in: American Psychologist. https://doi.org/10.1037/amp0000494