Armut ist lebensgefährlich. Was naheliegend klingt, ist nun auch sozialwissenschaftlich belegt. Ein internationales Forschungsteam, zu dem der Potsdamer Soziologe Prof. Ulrich Kohler gehört, hat dafür Einkommens- und Todesdaten von 2019 aus der amerikanischen Panel Study of Income Dynamics (PSID) analysiert.

Das Ergebnis: Insgesamt wurden in diesem Jahr mindestens 183.000 Todesfälle von Menschen über 15 Jahren mit Armut in Verbindung gebracht. Damit zählt vor allem langanhaltende Armut in den Vereinigten Staaten, die eine weit höhere Armutsrate als vergleichbare Demokratien aufweisen, zu den vier häufigsten Todesursachen. Nur Herzkrankheiten, Krebs und Rauchen fordern noch mehr Opfer.

Das Team hat seine Ergebnisse nun im „Journal of the American Medical Association – Internal Medicine (JAMA-IM)“ veröffentlicht.

„Armut ist damit tödlicher als Demenz, Unfälle, Schlaganfall, Alzheimer und Diabetes – und hat stillschweigend zehnmal so viele Menschen getötet wie alle Tötungsdelikte im Jahr 2019“, sagt Ulrich Kohler, Professor für Methoden der empirischen Sozialforschung an der Universität Potsdam. „Dennoch erhalten Schusswaffenmorde und Suizide weitaus mehr Aufmerksamkeit.“

Trotz wertvoller Beiträge früherer Forschungsarbeiten zu Einkommen und Sterblichkeit war das Ausmaß der mit Armut verbundenen Sterblichkeit in den USA bislang weitgehend unbekannt. Das Team, zu dem neben Ulrich Kohler auch David Brady von der UC Riverside und Hui Zheng von der Ohio State University gehören, hat nun erstmals konkrete Zahlen vorgelegt.

„Armut ist mit potenziell lebensgefährlichem Lebensstil genauso verknüpft wie mit schlechter Ernährung und stärkerer Exposition zu gesundheitsschädlichen Umwelteinflüssen. Auch die Arbeitsplätze ärmerer Menschen sind typischerweise unfallträchtiger und krankheitserzeugend“, erklärt Kohler. „Wir konnten abschätzen, wie viele Lebensjahre durch individuelle Armut tatsächlich verloren gehen und wieviel Menschenleben das die amerikanische Gesellschaft als Ganzes kostet.“

Ihre Ergebnisse besitzen durchaus politische Dimensionen, betonen die Forscher. „Da bestimmte Bevölkerungsgruppen viel häufiger von Armut betroffen sind, können unsere Schätzungen das Verständnis für Ungleichheiten in der Lebenserwartung verbessern“, so Kohler. Nicht zuletzt sind Todesfälle mit hohen wirtschaftlichen Kosten verbunden. „Wenn es weniger Armut gäbe, wären die Menschen gesünder und ihr Wohlbefinden besser, sie könnten mehr arbeiten und wären produktiver“, so der Soziologe. „All dies sind ganz rationale Vorteile von Investitionen in Menschen durch sozialpolitische Maßnahmen.“