Der Bundestag wird morgen, trotz der jüngsten politischen Turbulenzen und der gescheiterten Koalitionsverhandlungen, über einen wichtigen Gesetzentwurf zur Änderung des Energiewirtschaftsrechts abstimmen. Dieser Entwurf zielt darauf ab, die Steuerung und Vergütung von Photovoltaik-Anlagen (PV) zu reformieren und wird von der Unionsfraktion unterstützt, um noch vor der Bundestagswahl legislative Änderungen vorzunehmen.
In den vergangenen Monaten haben die Bundesnetzagentur und Übertragungsnetzbetreiber wiederholt auf die Risiken hingewiesen, die sonnige Wetterlagen bei gleichzeitig niedrigem Stromverbrauch für das Stromnetz bedeuten können. Der Gesetzentwurf soll spezifische Maßnahmen einführen, um die Netzstabilität zu sichern und die Belastung durch Stromüberschüsse zu verringern.
Zentrale Bestandteile des Gesetzentwurfs beinhalten die erweiterte Steuerbarkeit von Solarzellen, um eine flexiblere Reaktion auf Netzbedingungen zu ermöglichen, und eine Anpassung der Vergütungsregeln. Besonders in Zeiten negativer Strompreise, wenn die Stromproduktion den Verbrauch übersteigt, sieht der Entwurf vor, die Vergütung für Solarstrom auszusetzen.
Zur weiteren Absicherung der Netzstabilität und zur besseren Integration erneuerbarer Energien schlagen unabhängige Forschende vor, den Einsatz von Batteriespeichern zu fördern, um die Flexibilität des Netzes zu erhöhen. Diese Speicher könnten überschüssige Energie aufnehmen und bei Bedarf wieder ins Netz einspeisen, wodurch die Schwankungen in der Stromerzeugung ausgeglichen werden.
Die vorgeschlagenen Änderungen und ihre potenziellen Auswirkungen auf die Solarindustrie und Stromverbraucher sind detailliert in einem Fact Sheet aufgeführt, das für die öffentliche Einsichtnahme bereitgestellt wurde. Experten des Science Media Center (SMC) haben zudem eine Reihe von Statements und weiterführende Informationen veröffentlicht, die zur Vertiefung der Berichterstattung dienen können.
Die Abstimmung über den Gesetzentwurf findet in einer Zeit statt, in der Deutschland seine Energiepolitik weiterhin anpasst, um den Herausforderungen des Klimawandels und der Energieeffizienz gerecht zu werden. Die Ergebnisse der morgigen Sitzung werden zeigen, wie weit die politischen und gesellschaftlichen Kräfte bereit sind, diese notwendigen Änderungen zu unterstützen.
► Dr. Philipp Strauß
Stellvertretender Institutsleiter, Bereichsleiter Netzstabilität und Stromrichtertechnik, Fraunhofer Institut für Energiewirtschaft und Energiesystemtechnik IEE, Kassel
Probleme für die Netzstabilität durch Stromüberschüsse
„Die Situation ist regional in den Verteilungsnetzen dort kritisch, wo es viele Solaranlagen gibt und die Netze schwach sind. Dort kann es zu Überlastsituationen kommen – momentan aber nur zu bestimmten Zeiten. Überregional, also auf der Übertragungsnetzebene kann die Frequenz nur gehalten werden, wenn die Summenleistung der Einspeisung auch gleichzeitig verbraucht oder eingespeichert werden kann. Hier stoßen wir ohne Abregelung der Einspeisung gerade in Schwachlastzeiten bei gleichzeitig sonnigem Wetter an unsere Grenzen. Der Muttertag oder Pfingsten sind typische Tage, an dem in den vergangenen Jahren große Solarüberschüsse entstanden sind. Die Situation verschärft sich, wenn die Photovoltaikanlagen weiter zugebaut werden und nicht gleichzeitig eine Leistungsbegrenzung ermöglicht wird. Im Gesamtsystem gibt es schon heute Anlagen die abgeregelt werden können. Es kann aber passieren, dass in Teilen des Netzes so viel Strom produziert wird, dass das Netz die Leistung nicht tragen kann. Bis wir ausreichend Flexibilitäten aufgebaut haben, um die Schwankungen auszugleichen, ist es deshalb absolut wichtig, den eingespeisten Strom insbesondere aus neu zugebauten Solaranlagen begrenzen zu können. Es geht dabei um vergleichsweise kurze Phasen, in denen das Stromnetz an seine Grenzen stößt.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Es gibt verschiedene Maßnahmen, die dabei helfen, Stromüberschüsse durch Solarenergie zu vermeiden. Eine vermehrte Anbringung von Solaranlagen in Ost-West-Ausrichtung könnte beispielsweise den Peak zur Mittagszeit reduzieren. Außerdem muss insgesamt die Flexibilität erhöht werden, um die Netzstabilität zu erhöhen. Dazu können stationäre Speicher oder die Batterien aus der E-Mobilität beitragen. Allerdings muss man beachten, dass Batteriespeicher das Netz nicht zusätzlich belasten, indem sie dann Strom einspeisen, wenn bereits viel Strom von den Solaranlagen kommt. Wir müssen beim weiteren Batteriespeicher-Ausbau außerdem darauf achten, dass sich die Batteriesysteme möglichst auch netzdienlich verhalten.“
Gefahr durch missbräuchliche Abregelung über Wechselrichter
„Grundsätzlich besteht immer die Gefahr, dass ein Akteur bösartig in den Leistungsfluss eingreift. Das kann ein Hersteller aus einem anderen Land sein, aber auch ein Cyberangriff auf einen Hersteller aus dem eigenen Land. Bei der kumulativen Steuerbarkeit gibt es die potenzielle Gefahr, dass diese missbraucht wird. Um das Risiko zu minimieren, gibt es einerseits physikalisch-technische Möglichkeiten. So kann prinzipiell vermieden werden, dass große Mengen gleichzeitig gesteuert werden können. Auch könnte man versuchen die Gleichzeitigkeit in der Fläche beziehungsweise die Abregel-Geschwindigkeit künstlich zu reduzieren – sodass im Falle eines erfolgreichen Angriffs die restlichen Anlagen im Netz beziehungsweise der Netzbetrieb ausreichend Zeit haben, um zu reagieren und stabilisierende Maßnahmen zu ergreifen. Andererseits wäre es hilfreich, die Vielfalt der Wechselrichterhersteller zu erhalten und natürlich den Schutz vor Cyberangriffen stets zu priorisieren.“
► Prof. Dr. Christian Breyer
Professor für Solarökonomie, Lappeenranta University of Technology (LUT), Finnland
Überlastung der Stromnetze durch Solarenergie
„Eine belastende Situation für Stromnetze durch zu viel Solarstrom kann punktuell in lastschwachen Regionen mit viel Photovoltaik auftreten. Stromausfälle sind nicht zu erwarten, da Wechselrichter auf Frequenzabweichungen reagieren – große Anlagen mit aktiver Steuerung und kleine Anlagen mit passiver Steuerung.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Es geht darum, Flexibilität in das System zu lassen. Flexibilität betrifft insbesondere Batteriespeicher – vom Heimspeicher bis zur Großbatterie. Besonders wichtig ist netzdienliches Laden von E-Fahrzeugen. Entsprechenden Aggregatoren sollten Steine aus dem Weg geräumt werden. Darüber hinaus ist die Kopplung von Sektoren sehr wichtig – auch im Wärmesektor. Wärmepumpen können beispielsweise auch Solarstrom aufnehmen und gegebenenfalls mit Wärmespeichern auch zwischenspeichern. Seit Jahren ist es gängige Praxis, Elektrizität in Zeiten von hohem Überfluss und sehr niedrigen Kosten direkt in Wärme umzuwandeln und in Nahwärmenetzen zu nutzen. Meist mit Speichern bis zu einigen Tagen und bislang meist mit Windkraft. Dies funktioniert technisch identisch mit Solarstrom, wobei sich die Zeiten von Stromverfügbarkeit und Bedarf saisonal nur teilweise überlappen. Neben dieser kurzfristigen Speicherung ist auch die saisonale Speicherung von Wärme für Nahwärmenetze eine wichtige Möglichkeit. Denn hiermit lässt sich Solarstrom vom Sommer effizient in den Winter schieben. In Dänemark wird dies schon länger praktiziert, in Finnland wird es gerade eingeführt.“
► Prof. Dr. Albert Moser
Institutsleiter des Instituts für Elektrische Anlagen und Netze, Digitalisierung und Energiewirtschaft, Rheinisch-Westfälische Technische Hochschule Aachen (RWTH)
Probleme für die Netzstabilität durch Stromüberschüsse
„Der Begriff ‚überlastete Netze‘ ist irreführend. Es geht in diesem Fall nicht darum, dass etwa Leitungen überlastet werden. Zwar ist der Netzausbau auch ein aktuelles Thema, aber hier geht es um die mangelnde Marktintegration von PV-Anlagen. Hier gibt es zwei Probleme:“
„Erstens speisen kleine PV-Anlagen nach aktuellem Regelwerk auch dann ein, wenn es keinen Abnehmer für den Strom gibt. Die Netzbetreiber nehmen heute immer den Strom kleiner PV-Anlagen gegen eine Festpreisvergütung ab und verkaufen diesen an der Börse weiter. Mit zunehmendem Überangebot an Strom bei viel Sonne und PV-Boom und gleichzeitig wenig Verbrauch werden die Netzbetreiber aber keinen Käufer für diesen Strom an der Börse finden. Sie müssten eigentlich in diesem Fall eine Einspeisung ins Netz unterbinden, so wie jede andere Erzeugungsanlage, die direkt ihren Strom an der Börse verkauft, das auch machen wird. Das können die Netzbetreiber aber zurzeit nicht verlässlich. Mit dem Gesetz werden die technischen Möglichkeiten für die Netzbetreiber geschaffen, eine Einspeisung in diesem Fall zu unterbinden.“
„Zweitens verzerrt die Marktprämie selbst bei großen PV-Anlagen eine ökonomisch sinnvolle Vermarktung in Zeiten eines Überangebots an Strom. Denn eigentlich würden Solaranlagen, die ihren Strom direkt vermarkten, bei mangelndem Vermarktungserfolg – wenn sie keinen Käufer finden – nicht einspeisen. Statt bei negativen Preisen unter 0 Euro pro Megawattstunde von einer Einspeisung abzusehen – was ökonomisch sinnvoll wäre – verkaufen große PV-Anlagen ihren Strom wegen der Marktprämie auch bei negativen Preisen, solange der Verlust durch negative Preise kleiner als die Förderung durch die Marktprämie ist. Mit dem Gesetz entfällt der Anreiz zu einem derartig ökonomisch unsinnigen Verhalten bei Stromüberangeboten.“
„Was passiert, wenn man das Problem nicht löst: Eine Überschusssituation an Strom, die größer als die für solche Fälle vorgehaltene Regelreserve ist – in Deutschland circa 2.000 Megawatt negative Reserve – kann von Netzbetreibern nur durch weitere Notfallmaßnahmen behoben werden. Dabei kann es gegebenenfalls auch zu Stromabschaltungen von Verbrauchern kommen, wenn man Stromeinspeisungen der PV-Anlagen nicht gezielt, was das Gesetz nun ermöglichen soll, sondern nur durch Abschalten von ganzen Verteilnetzen mit Erzeugungsüberschüssen unterbinden kann.“
„Die Maßnahmen des Gesetzentwurfes halte ich für geeignet, um die Netzstabilität zu erhöhen.“
Begrenzung der EEG-Fördersummen für Solarenergie
„Gewisse Einsparpotenziale werden gehoben, da eine Auszahlung von Marktprämien bei negativen Preisen nicht mehr erfolgt. Den Umfang kann ich ad hoc nicht beziffern.“
Maßnahmen, die über den Entwurf hinausgehen
„Bezüglich weiterer Maßnahmen zur Systemstabilität verweise ich auf die Roadmap Systemstabilität des BMWK. Um Fördersummen in Grenzen zu halten, sollte man nur große PV-Freiflächenanlagen fördern. Hier führen Skaleneffekte gegenüber den kleineren PV-Dachanlagen zu geringeren Fördersummen.“
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