Am 1. Oktober 2024 veröffentlichte eine gemeinsame Analyse der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK) und des Verbands kommunaler Unternehmen (VKU) alarmierende Ergebnisse zur Realisierbarkeit der neuen Klimaziele der EU-Kommission. Der Vorschlag der EU sieht eine Reduktion der Netto-Treibhausgasemissionen um 90 Prozent bis 2040 vor – ein Ziel, das laut der Studie ambitioniert, aber höchst unrealistisch erscheint, wenn man die bisherigen Fortschritte betrachtet.

Ein ehrgeiziges Ziel mit großen Hürden

Das von der EU vorgeschlagene Klimaziel basiert auf der Annahme, dass bis 2030 eine Reduktion von 55 Prozent der CO2-Emissionen im Vergleich zu 1990 erreicht wird. Doch die Studie der DIHK und VKU zeigt: Schon dieses Zwischenziel wird voraussichtlich verfehlt. Die aktuell vorliegenden Emissionsprognosen der EU-Mitgliedstaaten deuten darauf hin, dass das für 2030 angestrebte Ziel in vielen Ländern, einschließlich Deutschland, schwer erreichbar ist. Damit gerät auch das 2040-Ziel in weite Ferne. Die wirtschaftliche und technologische Infrastruktur ist nach Ansicht der Experten bei Weitem nicht ausreichend entwickelt, um die geforderten CO2-Reduktionen fristgerecht zu erreichen.

Deutschland als Schlüsselakteur

Für Deutschland als größte Volkswirtschaft und größten Emittenten innerhalb der EU hat das Erreichen der Klimaziele eine entscheidende Bedeutung. Sollte Deutschland seine geplanten Emissionsminderungen nicht einhalten, hätte dies erhebliche Auswirkungen auf die gesamte EU. Ein Scheitern Deutschlands könnte die kollektiven Klimaschutzbemühungen der EU gefährden und zu wirtschaftlichen Belastungen für alle Mitgliedstaaten führen, warnen die Autoren der Studie.

Zweifel an der Machbarkeit

Die Studie zeigt, dass die Erreichung des 2040-Ziels auf optimistischen Annahmen basiert – etwa in Bezug auf den technologischen Fortschritt, die Verfügbarkeit von Fachkräften und Rohstoffen sowie die notwendigen Investitionen. Sollten diese Faktoren nicht wie erwartet eintreten, drohen erhebliche Kostensteigerungen, mehr Regulierung und politische sowie wirtschaftliche Instabilität. Besonders energieintensive Branchen sind besorgt über die langfristige Planbarkeit ihrer Geschäftsmodelle, wie Achim Dercks, stellvertretender Hauptgeschäftsführer der DIHK, betont: „Die Formulierung immer neuer höherer Klimaziele führt zu einer tiefen Verunsicherung in der Breite der Wirtschaft.“

Fokus auf 2030 statt 2040

DIHK und VKU plädieren in ihrer Analyse für einen pragmatischeren Ansatz. Anstatt ambitionierte Fernziele wie 2040 weiter zu verschärfen, sollte der Fokus auf die Erreichung des 2030-Ziels gelegt werden. Dercks warnt: „Es ist kontraproduktiv, langfristige Ziele zu verschärfen, wenn kurzfristigere Ziele nicht erreicht werden.“ Vor allem die steigenden Energiekosten und die drohenden zusätzlichen Regulierungen verunsichern Unternehmen zunehmend. Die Sorge wächst, dass ohne ausreichende Investitionen in die Energiewende und eine Entlastung der Unternehmen das Ziel einer klimaneutralen Wirtschaft nicht erreicht werden kann.

Die Rolle der Technologien und Investitionen

Ein entscheidender Faktor für die Erreichung der Klimaziele wird der technologische Fortschritt sein, insbesondere in den Bereichen Kohlenstoffdioxidabscheidung und -speicherung (CCS) sowie grüner Wasserstoff. Hierfür sind jedoch enorme Investitionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette notwendig. Ohne eine schnelle und koordinierte Entwicklung dieser Technologien ist das 2040-Ziel unerreichbar, heißt es in der Analyse. Ingbert Liebing, Hauptgeschäftsführer des VKU, betont, dass es zwar wichtig sei, die Klimaneutralität schnellstmöglich zu erreichen, der Weg dorthin aber nicht beliebig verkürzt werden könne, insbesondere in „trägen“ Sektoren wie Verkehr und Gebäude.

Risiken für die gesamte EU

Das Risiko, das von einer Verfehlung der Klimaziele durch Deutschland ausgeht, betrifft nicht nur die Bundesrepublik selbst, sondern die gesamte Europäische Union. Als größter Emittent in der EU hätte ein Scheitern Deutschlands direkte Auswirkungen auf die Gesamtemissionen und die kollektiven Klimaschutzanstrengungen der EU. Das vorgeschlagene Klimaziel für 2040 kann daher nur durch rechtzeitiges, koordiniertes und entschlossenes Handeln in allen Sektoren erreicht werden. Die EU steht vor der Herausforderung, politische Maßnahmen und finanzielle Investitionen so zu gestalten, dass die Wirtschaft gleichzeitig entlastet und der Klimaschutz vorangetrieben wird.

Realitätscheck notwendig

Die Analyse von DIHK und VKU zeigt deutlich, dass es eines Realitätschecks bedarf, um die Kluft zwischen den ambitionierten Klimazielen der EU und den tatsächlichen Möglichkeiten zu schließen. Ohne eine klare und realistische Strategie zur Erreichung der 2030-Ziele wird das Ziel für 2040 kaum zu erreichen sein. Ein entschlossener Fokus auf pragmatische, kurzfristige Maßnahmen könnte der Schlüssel sein, um langfristige Klimaziele in Europa tatsächlich zu erreichen.

Die kommenden Jahre werden entscheidend sein, um die Weichen für eine klimaneutrale Zukunft zu stellen – aber nur, wenn diese Weichen realistisch und umsetzbar gesetzt werden.