Die 16. UN-Biodiversitätskonferenz (COP16) in Cali, Kolumbien, wurde unterbrochen, bevor alle Tagesordnungspunkte verabschiedet werden konnten. Die Convention on Biological Diversity (CBD) kündigte an, dass die Verhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt und an einem anderen Ort fortgeführt werden sollen, um die offenen Punkte abzuschließen.
In den vergangenen zwei Wochen nahmen über 20.000 Delegierte aus Politik, Wissenschaft und Wirtschaft an den Verhandlungen teil, bei denen mehr als 20 Themen behandelt wurden. Im Mittelpunkt standen die Finanzierung von Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der biologischen Vielfalt sowie die Einführung passender Kontrollmechanismen. Ein weiterer wichtiger Punkt waren die Verhandlungen über genetische Datenbanken, die genetische Informationen von Pflanzen, Tieren und Mikroben speichern. Diese digitalen Sequenzinformationen (DSI) sind für den Artenschutz und die Pharmaindustrie von großer Bedeutung. Eine aktuelle Studie zeigt jedoch, dass der artenreiche Globale Süden in diesen Datenbanken bisher unterrepräsentiert ist. Von den weltweit geschätzten acht Millionen Arten sind etwa eine Million in den kommenden Jahrzehnten vom Aussterben bedroht, wobei Palmfarne, Amphibien sowie Haie und Rochen besonders gefährdet sind. Bisher wurden erst zwei Millionen dieser Arten wissenschaftlich beschrieben.
Die Erwartungen an die COP16 waren hoch, da es darum ging, konkrete Maßnahmen zur Umsetzung des historischen Montreal-Abkommens von 2022 festzulegen. Forschende, von denen einige selbst an den Verhandlungen in Cali teilnahmen, bewerten die bisherigen Ergebnisse der Konferenz unterschiedlich und ziehen ein gemischtes Fazit.
Gegenüber dem Science Media Centre äußerten sich zwei Experten:
► Prof. Dr. Matthias Glaubrecht
Professor für Biodiversität der Tiere und Leiter des Evolutioneums, Universität Hamburg, und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg
Generelle Einschätzungen
„Angesichts des geradezu euphorischen Montreal-Moments der letzten COP-Konferenz vor zwei Jahren sind die bisherigen Ergebnisse der COP16 in Cali sicher eine Enttäuschung. Was bis heute vor allem fehlt, sind belastbare Festlegungen und Maßnahmen der meisten Unterzeichnerstaaten, wie sie das zentrale Ziel der Montreal-Konferenz – 30×30 – erreichen und umsetzen wollen.“
„Allerdings ist es durchaus nicht als Misserfolg zu sehen, dass es bedeutende Zusagen gibt – etwa der EU in der Größenordnung von, so die Kommission, insgesamt etwa 160 Millionen Euro und von Deutschland, einem der Hauptgeldgeber, von 50 Millionen Euro zur Unterstützung der an Biodiversität so reichen Länder des Globalen Südens.“
Deutschlands Rolle auf der COP16
„Dass Deutschland zwar Finanzmittel zur Umsetzung von Biodiversitätsstrategien etwa in den Ländern Lateinamerikas, Afrikas und Asiens zugesagt hat, ist wichtig und richtig. Aber selbst keine abgestimmte und zielführende Maßnahmenstrategie mit Kontrollmechanismen vorgelegt zu haben, ist ein Politik-Versagen und weiteres Armutszeugnis der derzeitigen deutschen Regierung. Auch wir haben hierzulande vielfach nur Schutzgebiete auf dem Papier, die nicht wirkungsvoll genug und schon gar nicht wirklich auf 30 Prozent der Fläche die Artenvielfalt erhalten.“
„Auch hier muss der Montreal-Beschluss buchstäblich erst noch ‚mit Leben gefüllt werden‘. Ebenso wie der Finanzierungs-Fonds zur Unterstützung der Länder des globalen Südens beim Schutz der Biodiversität erst noch mit den vor zwei Jahren zugesagten 200 Milliarden US-Dollar gefüllt werden muss. Hier engagiert sich Deutschland vorbildlich mit Geld, macht aber die Hausaufgaben im eigenen Land nicht. Sämtliche Ziele sind daher noch in weiter Ferne – bis wir wirklich ‚Frieden mit der Natur‘ gemacht haben werden.“
Mechanismen der Finanzierung
„Ganz zweifellos aber ist der Verlust an Biodiversität nicht nur ein ökologisches, sondern auch ein enormes ökonomisches Problem; immerhin hängt die Hälfte der globalen Wirtschaftsleistung am Erhalt der Artenvielfalt. Also müssen wir auch mit ökonomischen Instrumenten in diesen Markt. Dazu aber braucht es wissenschaftsbasierte Mechanismen und vor allem starke staatliche Regulierungs-Vorgaben und -Kontrollen, auf nationaler und regionaler Ebene. Denn Biodiversität lässt sich nicht durch eine einzelne globale Maßnahme, sondern nur jeweils lokal erhalten.“
„Wir haben zuletzt viel vom Missbrauch von ,Carbon Credits‘ (CO₂ Zertifikaten; Anm. d. Red.) gelernt, die teilweise einem eher zerstörerischen Ablass-Handel gleichkamen. Für besser entwickelte und gemachte ‚Biodiversity Credits‘ gibt es erste Erfolg versprechende Ansätze. Hier gilt grundsätzlich, dass Biodiversität komplizierter ist als Geophysik und sich die vielen Facetten von funktionaler Artenvielfalt – und darum geht es – weitaus schwerer als etwa bloß Kohlenstoff-Emissionen berechnen lassen. Hier fehlt einfach noch viel Forschung.“
Beteiligung indigener Völker
„Der bei der COP16 gefasste Beschluss, indigenen Völkern eine permanente Stimme zu verschaffen, ist sicherlich ein Schritt in die richtige Richtung, darf aber nicht davon ablenken, was die eigentliche Zielsetzung dieser Konferenz war: Erstens das 30×30-Ziel durch geeignete Maßnahmen umzusetzen, und zweitens dafür ausreichend Finanzmittel bereitzustellen. Beide Ziele wurden in Cali nicht erreicht; davon dürfen die anderen thematischen Beschlüsse nicht ablenken.“
► Dr. Jens Freitag
Leiter der Geschäftsstelle, Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK), Gatersleben, hat vor Ort an der COP16 teilgenommen
Generelle Einschätzungen
„Internationale Verhandlungen verlaufen oft in Wellen, mit Höhen und Tiefen in der Entscheidungsfindung. Nach der COP15 in Montreal war ein Höhepunkt erreicht. Jetzt ging es um die konkrete Ausformulierung und Umsetzung, somit ist es logisch, dass die Prozesse anders verlaufen. Es ist wichtig, den Prozess kreativ und innovativ zu gestalten und auch Rückschläge als Teil des Fortschritts zu akzeptieren.“
„Mit der nun absehbaren Einigung auf der COP16 wurde ein insgesamt erfolgreicher Abschluss erzielt. Die COP hat ihre grundlegende Aufgabe erfüllt, die Beschlüsse des Montreal-Abkommens in konkretes Handeln zu überführen. Auch wenn es bei der Umsetzung Herausforderungen geben wird, sind grundlegende Prinzipien eines multilateralen Systems festgelegt worden. Der freie Zugang zu wissenschaftlichen Daten und Ergebnissen weltweit sowie die Vernetzung öffentlicher Datenbanken als Grundlage einer innovativen Forschung mit fairem und freiem Zugang unter Beachtung der sogenannten FAIR-und CARE-Prinzipien (Leitlinien für die Beschreibung, Speicherung und Veröffentlichung wissenschaftlicher oder Verwaltungsdaten; Anm. d. Red.) sind sichergestellt.“
„Zudem wurden Richtlinien entwickelt, die Unternehmen und marktwirtschaftlich orientierte Institutionen, die von natürlichen Ressourcen profitieren, zu nachvollziehbaren Zahlungen für die Nutzung von Natur beziehungsweise mit ihr verbundenen Informationen für Produktentwicklungen und Markterfolge verpflichten. Diese Mittel sollen Biodiversität und Umweltschutz, aber auch Forschung und Aufbau von benötigten Kapazitäten weltweit fördern. Klimaschutz und Biodiversitätsschutz gehören zusammen und bedingen sich. Eine weitere Verschränkung dieser beiden Leitplanken wird Aufgabe zukünftiger Bemühungen und Verhandlungen sein. Verbunden mit dem Ziel, auch zukünftigen Generationen lebenswerte Bedingungen und nachhaltige beziehungsweise nachhaltigere Entwicklungen, als heute möglich sind, zu ermöglichen.“
Ausblick in die Zukunft
„Besonders die kolumbianische Präsidentschaft hat dazu beigetragen, die schwierigen Verhandlungen zu einem positiven Abschluss zu bringen. Für alle Beteiligten ergeben sich aus den Beschlüssen neue Aufgaben: Die politische Umsetzung der Beschlüsse der COP16 in nationale Normen und Vorgänge, die Implementierung eines transparenten und den globalen Wettbewerb fördernden Systems zur Erhebung der vereinbarten Zahlungen, ohne dass Unternehmen gegenüber anderen übervorteilt werden, die nachvollziehbare Verwaltung und zielorientierte Verwendung der Gelder des Cali-Fonds zum Schutz und zur nachhaltigen Nutzung biologischer beziehungsweise biologisch assoziierter Ressourcen sowie die Weiterentwicklung nicht-monetärer Vorteilsausgleiche durch Wissenschaft und Forschung weltweit.“
„Dabei liegt ein besonderer Fokus auf dem Kapazitätsaufbau im Globalen Süden und der Vertiefung von Kooperationen in Wissenschaft, Forschung, Training und Ausbildung zwischen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aller Regionen auf Augenhöhe sowie auf der Verbesserung des Wissenstransfers in die Gesellschaft.“
Digitale Sequenzinformationen als zentrales Thema der COP
„Ein prägendes Thema bei dieser COP war die allgegenwärtige Bedeutung der sogenannten ‚digitalen Sequenzinformationen‘ (DSI), welches alle Diskussionsgruppen und Themenschwerpunkte betroffen und eine zentrale Rolle gespielt hat. Dies liegt daran, dass nicht nur die biologischen Ressourcen von Bedeutung sind, sondern auch deren digitalisierte Codierung in zellulären Strukturen. Diese Informationen können Innovationen und Fortschritte ermöglichen. Es sind Informationen, die essenziell sind, um neue Erkenntnisse und Zusammenhänge zu ergründen, aber auch um Produkte und Märkte zu erschließen und damit wirtschaftliche Entwicklungen voranzutreiben.“
„Anders als die biologischen Ressourcen soll die Nutzung dieser Informationen im wirtschaftlichen Kontext nicht bilateral, sondern in einem multilateralen System geregelt werden. Hintergrund ist, dass ein bilaterales System bei weltweit frei zugängigen und miteinander verknüpften Datenbanken nicht funktionieren kann. Es muss ein multilaterales System sein.“
„Des Weiteren wird angestrebt, dass Unternehmen, die von diesen digitalen Sequenzen profitieren und Gewinne erzielen, sich an einem Fonds beteiligen. Dieser Fonds könnte dann zur Förderung von Projekten genutzt werden, die der globalen Gemeinschaft zugutekommen. Das Thema der digitalen Sequenzinformationen wurde auf dieser COP in allen Diskussionsrunden und Schwerpunktgruppen behandelt und zeigte deutlich die Notwendigkeit, Regelungen für die Nutzung und Gewinnbeteiligung durch die Unternehmen, nicht jedoch für die akademische Forschung zu schaffen.“
Beteiligung indigener Völker
„Die Einbindung indigener Gruppen in die Diskussionen wurde gestärkt. Dadurch lässt sich Vertrauen aufbauen und neokoloniale Strukturen werden hinterfragt. Diese sind in den Ländern des Globalen Südens allgemein präsent, sodass heutige Generationen keine Schuld, jedoch eine Verantwortung besitzen. Das traditionelle Wissen indigener Völker gilt es mit Forschung, Wissenschaft und Bildungskonzepten zu verknüpfen, um nachhaltige Lösungen zu entwickeln.“
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