Auf der UN-Ozeankonferenz in Nizza formiert sich eine ungewöhnliche Koalition gegen den Lärm unter Wasser – und damit gegen eine der unsichtbarsten Umweltgefahren unserer Zeit.
Nizza, Anfang Juni. Während sich die Delegierten der dritten UN-Ozeankonferenz (Unoc) auf Podien, in Gesprächsrunden und Zwischenfluren über die großen Themen der Meerespolitik austauschten – über Überfischung, Plastik, Schutzgebiete –, war es ein kaum hörbares Problem, das am Ende in aller Deutlichkeit auf der Agenda landete: Lärm.
Genauer gesagt: Unterwasserlärm, verursacht durch Schiffe, industrielle Aktivitäten, Sonare, Offshore-Anlagen. Eine diffuse, technisch klingende Bedrohung, die im Alltag kaum präsent ist, deren Wirkung aber tiefgreifend ist. „Eine unsichtbare Gefahr“, wie Panamas Umweltminister Juan Carlos Navarro es nannte. Gemeinsam mit Kanada hat Panama nun – unterstützt von 35 weiteren Staaten sowie der EU – eine internationale Initiative ins Leben gerufen: die „High Ambition Coalition for a Quiet Ocean“.
Eine solche Koalition hat es bislang nicht gegeben. Obwohl die Forschung seit Jahren belegt, dass chronischer Unterwasserlärm für viele Meeresbewohner lebensbedrohlich ist – insbesondere für Wale, Delfine und andere Arten, die auf akustische Orientierung angewiesen sind. Ihre Welt besteht aus Klang, aus Echos, Klicklauten, rhythmischen Gesängen. Die moderne Schifffahrt aber – mit ihren riesigen Dieselmotoren, Propellern und Frachtschiffen – macht diese Welt unlesbar. Orientierung, Kommunikation, Paarung, Nahrungssuche: alles wird gestört. In einigen Regionen der Weltmeere ist der Lärmpegel in den letzten 50 Jahren um 15 Dezibel gestiegen – das entspricht einer Verzehnfachung der wahrgenommenen Lautstärke.
Eine politische Leerstelle
Warum also hat es so lange gedauert, bis sich Staaten auf internationaler Ebene formieren? Die Antwort ist vielschichtig. Unterwasserlärm ist grenzüberschreitend, schwer messbar und bislang nicht klar reguliert. Es gibt keine verbindlichen globalen Grenzwerte, wie sie etwa für CO₂ oder Stickoxide existieren. Dabei zeigen Studien: Schon mit einfachen Maßnahmen ließe sich viel erreichen – leisere Propeller, bessere Wartung, Geschwindigkeitsbegrenzungen in sensiblen Ökozonen.
Die neue Koalition – koordiniert unter anderem von der EU-Kommission und dem kanadischen Außenministerium – versteht sich daher nicht nur als politisches Signal, sondern auch als Impulsgeber für konkrete Regulierungen. Ziel ist ein „Leiser-Ozean-Aktionsplan“ bis spätestens 2026, mit Standards für maritime Technik, freiwilligen Selbstverpflichtungen – und idealerweise rechtsverbindlichen Normen.
Von der Schifffahrt bis zur Ölindustrie
Was auffällt: Auch die Industrie beginnt, sich zu bewegen. Bev Mackenzie vom internationalen Schifffahrtsverband BIMCO verwies auf die doppelte Dividende: Leisere Schiffe seien nicht nur gut für die Tiere, sondern auch energieeffizienter, sprich: wirtschaftlicher. Tatsächlich zeigen Modellrechnungen, dass langsamere, besser gewartete Frachtschiffe bis zu 10 % Kraftstoff einsparen können. Weniger Lärm, weniger CO₂ – eine seltene Win-win-Situation.
Doch es geht nicht nur um Container- und Kreuzfahrtschiffe. Auch der Ausbau von Offshore-Windkraft, Tiefseebergbau und militärische Sonartechnologie trägt massiv zur Lärmverschmutzung bei. Gerade in sensiblen Meeresgebieten – etwa dem Mittelmeer, dem Golf von Mexiko oder den Fjorden Norwegens – sind viele Arten besonders anfällig. Die Strandungen von Pottwalen in der Nordsee oder im Mittelmeer sind oft auf Lärmereignisse zurückzuführen, bei denen die Tiere panisch die Orientierung verlieren.
Ein Anfang – und viele offene Fragen
Noch ist die Allianz kein internationales Abkommen, sondern eine politische Selbstverpflichtung. Aber sie markiert einen Paradigmenwechsel: weg vom reinen Schutz der sichtbaren Bedrohungen – Müll, Öl, Netze – hin zu einer differenzierten Betrachtung der akustischen Dimension des Meeres.
Für die Meeresforschung ist das ein längst überfälliger Schritt. „Wir haben jahrzehntelang unterschätzt, welchen Stress der Mensch den Tieren allein durch Lärm zumutet“, sagt der Meeresbiologe Michel André vom Laboratory of Applied Bioacoustics in Katalonien. André plädiert für eine systematische akustische Kartierung der Weltmeere – ähnlich wie es für Schadstoffe längst gang und gäbe ist.
Auch ökonomisch könnte der Druck wachsen: Reedereien, die sich nicht auf leisere Technologien einstellen, riskieren mittelfristig Marktnachteile – etwa bei grünen Hafenstandards oder Versicherungen.
Die stille Revolution
Parallel zur Anti-Lärm-Initiative bekannten sich auf der Konferenz mehr als 95 Staaten zur Beendigung der Plastikverschmutzung – darunter Deutschland, Fidschi, Australien und Costa Rica. In einer Zeit geopolitischer Spannungen sind solche multilateralen Bündnisse alles andere als selbstverständlich.
Vielleicht ist es gerade das Unspektakuläre, das dem Projekt Kraft verleiht. Kein Klimagipfel, keine Proteste, kein Weltuntergangsszenario – sondern stille Diplomatie für stillere Ozeane.
Ob es am Ende reicht? Das hängt auch davon ab, ob die Koalition den Sprung von der Ankündigung zur Umsetzung schafft. Denn wie bei vielen Umweltproblemen gilt: Nicht das Wissen fehlt – sondern die Konsequenz.
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[…] next UN Ocean Conference will take place in South Korea and Chile in 2028. sueddeutsche.de, fr.de, fair-economics.de , […]