Unternehmen haben soziale Netzwerke für sich entdeckt – und laden den Beschäftigten damit oft eine zusätzliche Belastung auf, zeigt eine von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Studie.
Ein bisschen wie Facebook sein – das wünschen sich manche Chefs für ihre Firma. Sie wollen das Prinzip des sozialen Netzwerks auf die Kommunikation innerhalb des Unternehmens übertragen. Die Idee: Mitarbeiter sollen über eine gemeinsame Plattform einfacher in Kontakt kommen, Ideen austauschen, Wissen teilen, Projekte bearbeiten – nicht nur mit Kollegen in Nachbarbüros, sondern weltweit. Auch über Privates oder das Kantinenessen darf geplaudert werden. Einige deutsche Konzerne haben bereits firmeneigene Netze eingerichtet, beispielsweise die Siemens Blogosphere, das Telekom Social Network, Connect.BASF oder ConNext von Continental.
Social Collobaration wird vernachlässigt
Bei der Einführung solcher Netzwerke stehen betriebswirtschaftliche Überlegungen im Vordergrund. Vernachlässigt wird dagegen häufig die Frage, was die sogenannte „Social Collaboration“ oder „Enterprise 2.0“ für die Beschäftigten bedeuten. Wie wirken sich neue Formen der Kommunikation auf Arbeitsbedingungen und Anforderungen aus? Welche Herausforderungen ergeben sich daraus für die betriebliche Mitbestimmung? Diese Fragen hat Dr. Tanja Carstensen, Soziologin an der Ludwig-Maximilians-Universität München, auf Basis einer Online-Befragung mit mehr als 500 Teilnehmern und ausführlicheren Interviews mit Beschäftigten und Betriebsräten untersucht.
Ein Ergebnis der von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Studie: Für manche erweisen sich Social Media als das passende Werkzeug, um sich mit Kollegen zu vernetzen. Viele empfinden diese Form der Kommunikation allerdings als Belastung, erkennen nicht unbedingt einen Mehrwert oder fühlen sich nicht gut genug vorbereitet. Hier zeige sich die Ambivalenz von Technik: einerseits Arbeit zu erleichtern, den Beschäftigten aber andererseits neue Tätigkeiten abzufordern, so die Forscherin.
Der Studie zufolge können soziale Netzwerke …
– Mehrarbeit bedeuten und den sowieso schon hohen Termin- und Leistungsdruck weiter erhöhen; anstatt andere Kanäle wie E-Mail zu ersetzen, kommen Social Media meist noch hinzu,
– ständige Unterbrechungen während der Arbeitszeit verursachen und die Anforderungen an Multitasking erhöhen,
– zu einer Entgrenzung der Arbeitszeiten führen – zum Beispiel aufgrund permanenter Erreichbarkeit,
– zu Selbstausbeutung und psychischen Belastungen führen, da die Grenzen zwischen Erwerbsarbeit und anderen Lebensbereichen verschwinden,
– eine kleinteilige Zerlegung und Aufteilung von Tätigkeiten auf mehrere Personen ermöglichen; letztlich könnten Aufgaben dadurch leichter an eine anonyme Masse von Crowd Workern („Klickarbeitern“) im Internet ausgelagert werden,
– von Arbeitgebern zur Leistungs- und Verhaltenskontrolle genutzt werden; theoretisch können unbemerkt und überall Daten über das Nutzerverhalten aufgezeichnet werden,
– die Belegschaft in Nutzer und Nichtnutzer von Social Media spalten. Während die Nutzer der Netzwerke enger zusammenrücken, könnten andere abgehängt werden – insbesondere für ältere Beschäftigte kann dieser sogenannte „Digital Divide“ ein Problem darstellen.
Die Untersuchung von Carstensen zeigt, dass es um weit mehr als nur ein Technikthema geht: Soziale Netzwerke seien „ein Baustein der grundlegenden Veränderungen von Erwerbsarbeit“, im Zuge deren von jedem Einzelnen mehr Selbstdisziplin, Flexibilität und Transparenz erwartet werden. Auch wenn sich viele Nutzer von sozialen Netzwerken nicht reglementieren lassen wollen, so die Autorin, müssten Betriebs- und Personalräte zum Schutz der Mitarbeiter eingreifen. Für eine Reihe von Fragen biete das Betriebsverfassungsgesetz eine gute Grundlage, etwa bei der Einführung von technischen Einrichtungen, die dazu geeignet sind, Beschäftigte zu überwachen. Gleichwohl sei die Umsetzung in der Praxis nicht immer ganz einfach: „Auf der einen Seite müssen die Mitbestimmungsgremien diejenigen Mitarbeiter, die Social Media ablehnen – sei es aus Datenschutzgründen, aus Arbeitsüberlastung oder aus Scheu –, bis zu einem gewissen Grad schützen“, so Carstensen. „Andererseits muss den Mitarbeitern, die gern mit neuen Medien arbeiten möchten und für die diese Arbeitserleichterung, Wertschätzung und motivierende Arbeitsumgebung darstellen, diese Arbeitsweise ermöglicht werden“.
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