von Sophie Giering-Jänsch

So viele Krisen, Konflikte  und Kriege gab es schon lange nicht mehr. Eine neue Generation ist traumatisiert, hilflos und hoffnungslos. Wir sprechen hier nicht nur von Pandemien, Inflationen, die Armutsgrenze, die weiter steigt  oder den Ukrainekrieg. 

Nicht weit von Europa liegt Middle East, der berechnet man lediglich die Flugzeit, schnell erreichbar ist. Es ist eine Regionen, in die Europäer sich nicht wirklich trauen einzutauchen, und wenn Sie es tun, dann meistens nur mit einer schwarz-weiß Perspektive und einem überheblichen Auftreten. Ich bin selbst eine Europäerin, das verschweige ich nicht. Das Leben in Israel erinnert mich aber immer wieder an die Müdigkeit, die Selbstfokussierung und die Bequemlichkeit vieler Europäer.  

 „Zeitenwende“ war das Wort des Jahres 2022, das vom deutschen Kanzler im Bundestag das erste Mal benannt wurde. Diese Zeitenwende einzuläuten ist ein wenig zu spät, aber immerhin, das Problem ist erkannt und erschöpft sich nicht in der Betrachtung des Konfliktes zwischen der Europäischen Union und des russischen, chinesischen, indischen, afrikanischen Handelns im Ukrainekrieg. Im internationalen Raum sind Risse und Fragmentierungen zu erkennen, Zeitenwende ist durchaus die richtige Beschreibung. Und gerade deshalb hat die eurozentrische oder gar auf Deutschland zentrierte Perspektive keine Zukunft. Derzeit verändert sich der Mittlere Osten, der Kaukasus und  Nordafrika drastisch, die Spannungen sind gereizter als noch nie. 

Mit dem Blick auf die Junge Generation ist zu konstatieren – Wer hier noch Hoffnung hat, der hat noch nicht aufgegeben. Doch junge Menschen zu finden, die noch Hoffnung haben, ist schwer. Diejenigen, die den Mut und nicht von der Angst und der Frustration aufgefressen worden sind, arbeiten und führen ihren Aktivismus fort, aber nun im Verborgenen. In Israel lässt die  25. Knesset Wahl viele Menschen den Atem anhalten. Die Gewalt findet nicht nur mehr auf den Straßen statt, sondern auch in den Worten und den Gedanken, die von den Wahlsiegern umso breitbeiniger vertreten werden.  Die palästinensische und die israelische Gesellschaft sind gespalten wie noch nie und Kommentare aus den jeweiligen Medien befeuern diese Anspannung noch. einmal mehr. Zunächst dachten alle, dass die neue Regierung sich nicht lange im Amt halten wird. Bald steht der Ramadan vor der Tür und das Pingpong- Spiel der Schuldzuweisung geht weiter.

Hier vor Ort spricht kaum noch jemand von den Oslo Verträgen und insbesondere über die “Zwei- Staaten Lösung”. Derzeit löst sich diese Hoffnung, dass diese irgendwann eine Umsetzung erfahren wird, in Luft auf. Für Jahre hing in der illegalen Siedlung Kiryat Arba am Stadtrand con Nablus ein Bild des Terroristen Baruch Goldstein, aus dessen Siedlung  Itamar Ben Gvir, der derzeitige Minister für nationale Sicherheit, stammt. Bei den Knesset-Wahlen im November 2022 erzielte das religiös-zionistische Bündnis, dem sich Ben-Gvirs Partei angeschlossen hatte, mit 14 Mandaten seinen bislang größten Erfolg und wurde drittstärkste Partei in der Knesset. Damit ist der rechts-religiöse Block ein integraler Bestandteil der nächsten Koalitionsregierung von Benjamin Netanjahu.

Trostloser Alltag

Für sehr viele Israelis und Palästinenser wird jeder Tag  unangenehmer und trostloser. Die Hilfe, die viele suchen, und sei es nur ein offenes Ohr, eine reichende Hand wird zur Illusion . Tränen machen keinen Sinn, geboren wird man hier, um keine Schwäche zu zeigen, um zu überleben. Die Realität besteht in der Hilflosigkeit und der Leere in den Köpfen und  den Körpern, derjenigen, die im Mittleren Osten leben und dies schon seit mehreren Generationen. Die einzige Lebendigkeit kann der Kontakt zueinander sein, da dieser uns nicht noch trostloser macht. Wenn ich die verzweifelten Stimmen auf der anderen Seite des Telefon höre von Freunden, deren Familie und Bekannten, die sich nichts sehnlicher als das Sterben wünschen, damit Sie nicht so leben müssen, wie es die jetzigen Umstände hergeben, dann ist dieser kleine Ausschnitt aus meiner wahrgenommenen Realität,  ein eindeutiges Zeichen des Versagens.  Dass Frauen und Kinder am meisten unter diesen Umständen leisten, ist faktisch belegt.

Wie wichtig ist es also die  internationale Politik mit feministischen Perspektiven, die diese Situationen verhindern lassen können? Leicht lässt es sich von” doppelter Solidarität” sprechen, aber wo ist diese gelebte, arbeitende Solidarität? Wir dürfen nicht von Zeitenwende sprechen, wenn wir als Gemeinschaft weder in Europa noch in Deutschland wissen was “ doppelte Solidarität” ist, was Verantwortung bedeutet und insbesondere Zusammenhalt.  Sinn ergeben kann dieses Versteckspiel nicht,  totalitäre Systeme, Diktaturen oder defekte Demokratien können und wollen nur bedingt auf soziale Probleme reagieren. Schlussendlich ist es die transparente und plurale Demokratie, die den Fortschritt voranbringt. Es ist zu befürchten, dass unsere Bequemlichkeit und die Komfortzone, in der wir uns bewegen, als Siegerin über die europäische Außenpolitik hervorgeht  und nicht die Stärke, die wir jetzt brauchen.