Wenn Reisende aus Deutschland die Strände Sansibars betreten, Schweizer Trekkingtouristen durch Nepals Berge stapfen oder amerikanische Rentner in Panama ihren Lebensabend verbringen, profitieren viele: Hotelangestellte, Marktfrauen, Taxifahrer, lokale Reiseguides. Der Tourismus ist einer der größten Hoffnungsträger für viele Entwicklungsländer. Doch wie viel Entwicklung steckt wirklich in einem All-Inclusive-Urlaub?

Der wirtschaftliche Motor

Der Tourismussektor ist für viele Staaten im Globalen Süden ein zentraler Wirtschaftsfaktor. Laut der Weltbank (2022) trug der Tourismus in vorpandemischen Zeiten in manchen Ländern wie Kambodscha oder den Malediven bis zu 30 Prozent zum BIP bei. In der Hälfte der ärmsten Länder macht er mehr als 40 Prozent des Bruttoinlandsprodukts aus. Für ein Drittel der Entwicklungsländer ist er die wichtigste Devisenquelle. Jeder Euro, den Touristen in Hotels, Restaurants oder bei Stadtführungen lassen, kann eine volkswirtschaftliche Wirkung von über 1,40 Euro entfalten (Institut der deutschen Wirtschaft, 2023).

(Foto: grapefox auf Pixabay.de)

Hinzu kommt: Der Tourismus ist ein Jobmotor. Laut der International Labour Organization (ILO) schafft der Sektor global mehr als 300 Millionen Arbeitsplätze, davon viele in ländlichen oder strukturschwachen Regionen. In Marokko leben über 500.000 Menschen direkt vom Tourismus, in Albanien ist jeder sechste Arbeitsplatz mit der Branche verknüpft. Gerade für Jugendliche, Frauen oder gering qualifizierte Arbeitskräfte ist er oft das Eintrittstor in den Arbeitsmarkt.

Ein gelungenes Beispiel liefert Costa Rica: Das Land hat früh auf nachhaltigen Ökotourismus gesetzt und bietet heute eine Vielzahl von kleinen, lokal geführten Lodges und Naturerlebnissen an. Touristen besuchen Nationalparks, nehmen an Bildungsprogrammen teil und unterstützen mit ihrem Geldsysteme zur Wiederaufforstung – ein Modell, das nicht nur ökonomisch erfolgreich ist, sondern auch ökologisch wirkt.

Gewinner und Verlierer

Viele Versprechen des „entwicklungspolitischen Reisens“ bleiben unerfüllt. Eine Studie der Welttourismusorganisation (UN Tourism) zeigt, dass bis zu 70 Prozent der Tourismusgewinne in Entwicklungsländern ins Ausland abfließen, etwa an Fluggesellschaften, Reiseplattformen oder Hotelketten mit Sitz im Globalen Norden. Ein Großteil der Einnahmen fließt so am lokalen Wirtschaftskreislauf vorbei. Gleichzeitig ist der Tourismussektor krisenanfällig: Naturkatastrophen, politische Umbrüche oder Pandemien wie Covid-19 führen schnell zu Einbrüchen, Entlassungen, wirtschaftlicher Not.

Hinzu kommt die Kehrseite des Erfolgs: Umweltzerstörung durch Überbauung, Wasserknappheit, kulturelle Entfremdung. Studien zeigen, dass Massentourismus zur Gentrifizierung von Altstädten (z. B. in Sansibar) und zur Verdrängung traditioneller Erwerbsformen (z. B. Fischerei auf den Malediven) beiträgt. In beliebten Destinationen wie Thailand, Sansibar oder den Malediven wird der Massentourismus zunehmend zum Problem.

Ein besonders anschauliches Beispiel für die Herausforderungen des sogenannten Overtourism ist Stone Town, die Altstadt der Inselhauptstadt von Sansibar. Einst ein lebendiges Zentrum des arabisch-afrikanischen Handels, UNESCO-Welterbe und kulturelles Herz Tansanias, hat sich Stone Town durch die rasch gestiegenen Besucherzahlen stark verändert. Die enge historische Bausubstanz leidet unter der touristischen Übernutzung, Mieten steigen rasant, und viele Einheimische werden aus den historischen Vierteln verdrängt. Kleine Handwerksbetriebe und lokale Wohnkultur müssen zunehmend Hotels, Souvenirshops und internationalen Cafés weichen. Zugleich führt der massive Touristenandrang zu Problemen in der Abfallwirtschaft, im Wasserverbrauch und in der Energieversorgung – mit langfristigen Folgen für die Lebensqualität der Bewohner und die Authentizität des Ortes.

Stonetown leidet an Overtourism

Stone Town steht exemplarisch für die Ambivalenz des Tourismus in vielen Entwicklungsländern: Er bringt Einnahmen und Jobs, aber auch soziale Spannungen, Umweltprobleme und kulturelle Überformung. Ohne politische Steuerung und klare Konzepte für Besucherlenkung, kommunale Teilhabe und ökologische Tragfähigkeit droht ausgerechnet das zerstört zu werden, was Reisende ursprünglich anzieht.

Klimakiller Fernreise?

Ein Flug von Frankfurt nach Nairobi verursacht etwa drei Tonnen CO2 – pro Person. Das ist mehr, als ein durchschnittlicher Bewohner Senegals im ganzen Jahr ausstoßen darf. Laut Umweltbundesamt ist der Luftverkehr weltweit für rund 3,5 Prozent des menschengemachten Klimawandels verantwortlich, Tendenz steigend.

Immer mehr NGOs und Umweltinitiativen kritisieren daher, dass die durch Fernreisen erzeugten Emissionen die Ökobilanz der besuchten Länder konterkarieren. Entwicklung für wen also? Und auf wessen Kosten? Wissenschaftler:innen wie Stefan Gössling (Universität Linnaeus, Schweden) weisen seit Jahren darauf hin, dass nachhaltiger Tourismus nicht nur eine betriebliche Frage ist, sondern Teil globaler Klimagerechtigkeit sein muss.

Was Unternehmen tun können

Wer die Potenziale des Tourismus nutzen möchte, muss ihn anders denken. Tourismusunternehmen können dazu beitragen, dass mehr von den Einnahmen in den Zielländern bleibt – und dass Reisen weniger Schaden anrichten:

  • Kooperation mit lokalen Anbietern: Das südafrikanische Unternehmen „!Khwa ttu San Culture and Education Centre“ arbeitet direkt mit Angehörigen der San-Bevölkerung zusammen. Die Einnahmen fließen in Bildungsarbeit und den Schutz kultureller Traditionen.
  • Faire Bezahlung und Beteiligung: Die nepalesische Agentur „3 Sisters Adventure Trekking“ beschäftigt ausschließlich Frauen als Bergführerinnen – eine revolutionäre Praxis in einem männlich dominierten Beruf. Zudem fördert die angeschlossene NGO gezielt Frauenbildung in abgelegenen Regionen.
  • Nachhaltige Zertifizierung: Anbieter wie die „Lapa Rios Lodge“ in Costa Rica oder „Chumbe Island Coral Park“ in Tansania sind Träger von TourCert- oder Green Globe-Zertifizierungen. Sie setzen auf regenerative Energien, Abfallvermeidung und den Schutz von Biodiversität.
  • CO2-Kompensation und neue Mobilität: Atmosfair, ein deutscher Anbieter für Klimakompensation, kooperiert mit Reiseveranstaltern wie Gebeco, um Emissionen durch Projekte in Ländern des Globalen Südens auszugleichen – etwa durch effiziente Kochherde in Ruanda oder Biogasanlagen in Indien.
  • Transparente Kommunikation: Plattformen wie „Fairaway“ oder „ReNatour“ zeigen offen, wohin das Geld der Reisenden fließt, welche Projekte vor Ort unterstützt werden und wie Reisende ihren Aufenthalt aktiv nachhaltiger gestalten können.

Darüber hinaus können größere Reiseveranstalter durch politische Lobbyarbeit helfen, Rahmenbedingungen zu verbessern – etwa durch Forderungen nach CO2-Preisen im Luftverkehr, gerechteren Steuerregeln für Hotelketten oder die Förderung nachhaltiger Infrastruktur.

Bildung als Schlüssel zur nachhaltigen Tourismusentwicklung

Bildung spielt eine zentrale Rolle für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismussektors. Einerseits benötigen lokale Anbieter und Beschäftigte Zugang zu Weiterbildung, um ökologische Standards umzusetzen, Gäste kultursensibel zu begleiten oder betriebswirtschaftliche Kompetenzen auszubauen. Andererseits ist auch die Bildung der Reisenden entscheidend – denn nur wer informiert ist, trifft bewusste Entscheidungen.

In vielen Entwicklungsländern bestehen jedoch erhebliche Defizite im Bildungsbereich. Laut dem Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) besuchten im Jahr 2020 etwa 260 Millionen Kinder im Grund- und Sekundarschulalter keine Schule. In den Ländern südlich der Sahara schließen nur zwei von drei Kindern die Grundschule erfolgreich ab – ein strukturelles Problem, das sich direkt auf die Qualität und Zukunftsfähigkeit des Tourismussektors auswirkt.

Ein Beispiel ist das „Community Education Program“ von G Adventures in Peru, das in Kooperation mit der NGO Planeterra umgesetzt wird: Es qualifiziert Einheimische im Umgang mit Gästen, vermittelt Hygienestandards und stärkt das Selbstbewusstsein benachteiligter Gruppen, insbesondere von Frauen.

In Südafrika bietet das „National Tourism Careers Expo“ jährlich tausenden Jugendlichen Einblicke in touristische Berufe – ein Beitrag zur Förderung von Beschäftigung und sozialer Mobilität. Auch in Kenia setzen Bildungsinitiativen wie das „Maasai Mara Wildlife Conservancies Association Training“ auf lokale Wissensvermittlung und Schutz des kulturellen Erbes durch Tourismus.

Zudem sind Bildungsreisen selbst ein wachsender Markt. Veranstalter wie Studiosus oder Forum Anders Reisen kombinieren Tourismus mit interkulturellem Lernen, politischer Bildung oder Umweltbildung – und fördern damit Reflexion über globale Zusammenhänge.

Diese Beispiele zeigen: Investitionen in Bildung verbessern nicht nur die Qualität der touristischen Dienstleistungen, sondern tragen auch zur sozialen Gerechtigkeit und zur wirtschaftlichen Resilienz bei.

Langfristig gilt: Ohne Bildung keine nachhaltige Tourismusentwicklung – weder für die Gastgeber noch für die Gäste.

Bildung spielt eine zentrale Rolle für eine nachhaltige Entwicklung des Tourismussektors. Einerseits benötigen lokale Anbieter und Beschäftigte Zugang zu Weiterbildung, um ökologische Standards umzusetzen, Gäste kultursensibel zu begleiten oder betriebswirtschaftliche Kompetenzen auszubauen. Andererseits ist auch die Bildung der Reisenden entscheidend – denn nur wer informiert ist, trifft bewusste Entscheidungen.

Ein Beispiel ist das „Community Education Program“ von G Adventures in Peru, das in Kooperation mit der NGO Planeterra umgesetzt wird: Es qualifiziert Einheimische im Umgang mit Gästen, vermittelt Hygienestandards und stärkt das Selbstbewusstsein benachteiligter Gruppen, insbesondere von Frauen.

In Südafrika bietet das „National Tourism Careers Expo“ jährlich tausenden Jugendlichen Einblicke in touristische Berufe – ein Beitrag zur Förderung von Beschäftigung und sozialer Mobilität. Auch in Kenia setzen Bildungsinitiativen wie das „Maasai Mara Wildlife Conservancies Association Training“ auf lokale Wissensvermittlung und Schutz des kulturellen Erbes durch Tourismus.

Zudem sind Bildungsreisen selbst ein wachsender Markt. Veranstalter wie Studiosus oder Forum Anders Reisen kombinieren Tourismus mit interkulturellem Lernen, politischer Bildung oder Umweltbildung – und fördern damit Reflexion über globale Zusammenhänge.

Langfristig gilt: Ohne Bildung keine nachhaltige Tourismusentwicklung – weder für die Gastgeber noch für die Gäste.

Politische Handlungsempfehlungen: Bildung und nachhaltiger Tourismus

Um die Potenziale des Tourismus für die Entwicklungspolitik voll auszuschöpfen, sind gezielte politische Maßnahmen erforderlich:

  1. Integration von Bildung für nachhaltige Entwicklung (BNE): Bildung für nachhaltige Entwicklung sollte systematisch in die Lehrpläne von Schulen und Berufsausbildungen integriert werden, um das Bewusstsein für nachhaltige Praktiken im Tourismus zu stärken.
  2. Förderung von Ausbildungsprogrammen: Regierungen und internationale Organisationen sollten Programme unterstützen, die lokale Gemeinschaften in touristischen Fähigkeiten schulen – insbesondere in Bereichen wie Gastfreundschaft, Fremdsprachen, Umweltmanagement und Unternehmertum.
  3. Unterstützung von Frauen und benachteiligten Gruppen: Spezielle Bildungsinitiativen sollten darauf abzielen, Frauen und marginalisierten Gruppen den Zugang zu touristischen Berufen zu erleichtern, um soziale Ungleichheiten zu verringern.
  4. Investitionen in Infrastruktur: Der Ausbau von Bildungsinfrastrukturen, wie Schulen und Trainingszentren in touristischen Regionen, ist entscheidend, um langfristige Entwicklung zu gewährleisten.
  5. Internationale Zusammenarbeit: Entwicklungsländer sollten durch Partnerschaften mit internationalen Organisationen und Geberländern unterstützt werden, um Ressourcen und Fachwissen für Bildungsprojekte im Tourismussektor bereitzustellen.

Durch die Umsetzung dieser Maßnahmen kann der Tourismus nicht nur als Wirtschaftsfaktor, sondern auch als Motor für Bildung und nachhaltige Entwicklung dienen.

Der Kompromiss: bewusst reisen

Tourismus ist kein Allheilmittel. Aber richtig gestaltet, kann er Entwicklung anstoßen – wirtschaftlich, sozial und kulturell. Die Forschung spricht in diesem Zusammenhang von „Inclusive Value Chains“ oder „Pro-poor Tourism“ – also Tourismusmodellen, bei denen gezielt die Ärmsten profitieren sollen.

Nötig ist ein Perspektivwechsel: nicht mehr das Konsumerlebnis des Gastes steht im Mittelpunkt, sondern der langfristige Nutzen für die bereisten Gesellschaften. Das bedeutet: weniger Luxus, mehr Kontext. Weniger Pauschale, mehr Verantwortung.

Wer das versteht, wird vielleicht nicht auf die Fernreise verzichten – aber anders reisen: länger, langsamer, bewusster. Und damit mehr hinterlassen als nur einen Fußabdruck im Sand.