Prof. Dr. Andrea Behrends hat die Professur Ethnologie Afrikas inne und ist Mitglied des Exzellenzclusters „Africa Multiple“ an der Universität Bayreuth. Sie beschäftigt sich mit der Bewältigung von sogenannten Krisensituationen in afrikanischen Kontexten, ihre Forschungsschwerpunkte sind Mobilität, Flucht, Konflikt und Intervention. Im Interview berichtet sie – kürzlich erst aus dem Senegal zurückgekehrt – über die dortigen Aspekte der Corona-Krise.

Wird die Corona-Pandemie in Afrika anders aufgenommen als in Europa?

Auch dort, genau wie hier, werden die neuen Hygienevorschriften, die Abstandsregeln und die Aufforderung, zu Hause zu bleiben, medial verbreitet. Die Menschen versuchen ebenso, sich an die Vorgaben der Regierungen und die Empfehlungen zu häufigerem Händewaschen und der Vermeidung von Körperkontakt zu halten. In der nigerianischen Stadt Ibadan wurden z.B. an öffentlichen Bahnhöfen quadratische Kästchen auf den Boden gemalt, die jeweils zwei Meter auseinander liegen. Dort sollen sich Menschen hinstellen, wenn sie auf den Zug warten. Die auf Instagram von „bbcafrica“ geteilten Bilder zeigen, wie sich die Menschen friedlich und unaufgeregt mit diesen Vorgaben abfinden und sie einhalten.

Also gibt es keine Unterschiede?

Doch, die gibt es. Soziale Distanz zu halten, ist natürlich nicht überall gleich, es gibt kulturbedingte Unterschiede. Das bedeutet aber vor allem, dass die jeweiligen Gewohnheiten sich auf unterschiedliche Weise ändern. Wie kann man den Alltag bewältigen, wenn man es gewohnt ist, auf einem Markt einzukaufen, auf dem sich täglich viele tausend Menschen dicht aneinander vorbeidrängeln? Wie kann man von Ort zu Ort gelangen, wenn die günstigste Variante in den vollgestopften Sammeltaxis angeboten wird, in denen häufig bis zu 20 Personen untergebracht werden? Die Bewältigung der neuen Regeln ist unterschiedlich, denn auch die Lösungsansätze sind kulturspezifisch unterschiedlich. Ich stelle aber im Grunde große Ähnlichkeiten fest in den Reaktionen in den unterschiedlichen Regionen der Welt.

Afrika galt noch bis vor kurzem als wenig betroffen. Welche Folgen hat das?

Als man sich in Europa Anfang März 2020 schon einigermaßen flächendeckend auf die Pandemie und ihre möglichen Folgen eingestellt hatte, erschien es dennoch nicht unvernünftig, noch kurze Reisen von Europa auf den afrikanischen Kontinent zu unternehmen. Dort sei das Virus eventuell nicht so wirkungsmächtig, da es sich aufgrund der Wärme schlechter verbreite, war eine verbreitete Vermutung. Ich flog daher in den Senegal, nach Dakar, um einer Einladung folgend einen Vortrag über „Leben in der Krise“ zu halten. In der Diskussion nach dem Vortrag wurde die Pandemie allerdings nicht erwähnt, es ging eher um die bevorstehenden Erdölbohrungen vor der Küste des Landes und die Befürchtung, dass auch der Senegal in die Spirale der als „Ressourcenfluch“ bezeichneten Folgen des plötzlichen Reichtums sinken könne. Auf den Straßen allerdings war die Pandemie bereits ein Thema. In diesem Monat sollten im Landesinneren, in der Stadt Touba die Feierlichkeiten einer der muslimischen Bruderschaften des Landes stattfinden. Es wurde befürchtet, dass zu diesem Anlass Mitglieder aus aller Welt in das Land strömen und den Virus so unweigerlich mitbringen. Deshalb wurden wenige Tage später die Grenzen des Landes und der internationale Flughafen geschlossen. Mein Rückflug war einer der letzten, die regulär durchgeführt wurden.

Welche Folgen erwarten Sie bezüglich Konflikten auf dem Kontinent?

Die Frage ist bislang nicht einfach zu beantworten. Natürlich kann die Einschränkung des öffentlichen Lebens zu einer Stärkung autokratischer Strukturen führen, wie auch das Beispiel Ungarn – mitten in Europa –  es zeigt. Bisher ist allerdings eher ein pragmatisches Anwenden der Sicherheitsgebote zu bemerken. Wie auch hier wird in Afrika befürchtet, dass das – in diesem Fall wesentlich schwächere – Gesundheitssystem von einer großen Anzahl an Kranken überfordert werde. Andererseits leben in den meisten afrikanischen Ländern überwiegend junge Menschen, die – so die Hoffnung – von dem Virus nicht stärker beeinträchtigt würden als z.B. durch die Malaria, die in allen Ländern südlich der Sahara jährlich viele Menschen tötet. Zudem hat Afrika Erfahrung mit Pandemien für die es keine Gegenmittel gibt.

Sie meinen Ebola?

Ja. Erst vor sechs Jahren erlebten Teile West- und Zentralafrikas die verheerenden Folgen einer Ebola-Epidemie. Auch wenn die Ansteckung, anders als bei COVID-19 auf den direkten Kontakt mit Körperflüssigkeiten beschränkt ist, führt die Erkrankung in weitaus größerer Zahl zum Tod. Die Menschen sind stolz, dass sie diesen „unsichtbaren Feind“, wie der sierra-leonische Historiker Sylvanus Spencer es nannte, besiegen konnten. Zu unkontrollierbaren Konflikten hatte die Krankheit nicht geführt. Die Menschen haben sich zwar nur langsam an das strikte Kontaktverbot gewöhnen können, da vor allem die Trauer um Verstorbene und die Beerdigungsrituale nicht so durchgeführt werden konnten, wie die Menschen es für notwendig erachtet haben. Aber sie haben sich schließlich umgestellt und die Krankheit besiegen können.

Glauben Sie, dass solche Erfahrungen ein Vorteil im Kampf gegen COVID-19 sind?

Die Einsicht, dass Ebola nur zu besiegen sei, wenn die Menschen jeden direkten Körperkontakt mit Kranken vermeiden, kam auch deshalb so langsam in der Bevölkerung an, weil die Menschen kein Vertrauen in ihre Regierungen hatten. Auch das zeigt die Arbeit von Sylvanus Spencer aus Sierra Leone. Nach jahrelangen brutalen Konflikten, Korruption und Straffreiheit, die autokratischen Regime denjenigen gewährt, die dem Regime z.B. aufgrund ihrer Herkunft nahestehen, hielten viele Menschen die strengen neuen Regeln für eine weitere Form der Hinterlist der Regierenden. Die internationalen Helfer und Helferinnen, die in ihrer Schutzkleidung eher an Außerirdische als an wohlmeinende Retter und Retterinnnen erinnerten, taten ihr Weiteres. Die mühsam errungene Einsicht, dass die drastischen Maßnahmen der Kontaktsperre und des sofortigen Meldens von Erkrankten wohl die einzige Möglichkeit der Rettung waren, sitzt noch tief im Bewusstsein der Menschen. Es ist zu vermuten, dass diese Erfahrungen in einer erneuten Krise sehr viel schneller wieder hervorgeholt und umgesetzt werden können.

Wird die Corona-Pandemie Auswirkungen auf die Fluchtbewegungen nach Europa haben?

Das Ungewöhnliche an der COVIDd-19 Pandemie ist, dass sie nicht – wie Ebola – vom afrikanischen Kontinent ausgeht, sondern dass sie von den reichen Ländern der Erde ausgehend den Kontinent erreicht. Auf die Migrationsbewegungen in Richtung Norden wird dies, so vermute ich, wenig Auswirkungen haben. Die überwiegend jungen Menschen, die sich auf diese Route begeben, haben keine Angst vor dem Virus, sondern vielmehr vor staatlicher Willkür, Gewalt und Armut. Dass nun die Grenzen vieler Länder geschlossen und eventuell auch in den abgelegenen Landesteilen stärker kontrolliert werden, könnte Migrationsbewegungen hemmen. Dazu gibt es bislang allerdings keine Berichte oder Statistiken, die mir bekannt wären. Es ist auch nicht einfach, die Zukunft zu prognostizieren. Fallzahlen von COVID-19 Infektionen steigen auch in afrikanischen Ländern und die weltweiten Befürchtungen einer unzureichenden Gesundheitsversorgung übertragen sich auch auf die Regierungen der Länder des Südens. Einen Unterschied macht diese Pandemie allerdings.

Welchen?

Europäer und Europäerinnen, die sich bislang häufig als Übermittler von Entwicklung und Fortschritt betrachteten, erscheinen nun selbst als offen sichtbare Gefahr für die Länder des Südens. Allerdings erfreut mich dann beinahe die umgekehrte Anteilnahme, die ich von Freundinnen und Freunden aus dem abgelegenen Krisengebiet im zentralafrikanischen Grenzgebiet zwischen Tschad und Sudan erfahre – bei denen ich mich ansonsten häufig besorgt nach ihrem Befinden erkundige: „Pass auf dich auf!“, erhalte ich als Nachrichten und: „Bleib mit deiner Familie zu Hause“.