Die intelligente Automatisierung und die stärker um sich greifende Teamarbeit zwischen Menschen und Maschinen werden zu tiefgreifenden Veränderungen in den Unternehmen und staatlichen Institutionen führen. Welche Herausforderungen und Entwicklungen sehen Sie, Herr Rollwagen, auf uns zukommen?
Schon heute sind viele Kontexte in der Arbeitswelt durch Automatisierung und Automaten geprägt und dies wird noch zunehmen. Wir alle arbeiten mit Software zur Informations- und Textverarbeitung und genießen, dass viele dieser Informationsverarbeitungsprozesse automatisiert, schnell ablaufen und uns so helfen, viele weniger spannende Verarbeitungstätigkeiten nicht mehr selbst durchführen zu müssen. Sie sparen uns Stunden und viele tausend Mausklick.
Diese Unterstützung durch Software und fortgeschrittene Wissenstechnologien auf Basis von verschiedenen Formen der KI wird noch weiter zunehmen – im Alltäglichen bis hin zu neuen Formen der Kreativität mit generativem Design.
Wir werden mit völlig anderen Interfaces, d.h. Schnittstellen arbeiten, die eher an Nahtstellen erinnern, da wir Technologien verwenden, die eher in unsere Umgebung, die sich an unsere reale Welt und unsere Vorstellungswelt anpassen.
Ein Beispiel dafür sind Formen der augmentierten Realität: Brillenträger wissen schon heute, dass die Brille als eine Stück Technik eigentlich auf Dauer nicht mehr stört und normal ist – nur dass in Zukunft – eher in fernerer wie in zehn Jahren als in naher Zukunft – viele Handwerker bei der Reparatur von Systeme durch ihre „intelligente“ Brille unterstützt werden. So wird in das Sichtfeld des Reparateurs beispielsweise die schematischen Zeichnungen eines komplexen Heizungssystems abgebildet und demjenigen daher ermöglicht, Reparaturen besser durchzuführen.
Ähnliches kann man auf andere Felder übertragen, etwa für Entscheidungsträger im öffentlichen Bereich. Eine Managerin einer Pflegeeinrichtung kann exakt ermitteln, wie viele Pfleger, für wie viele zu pflegenden Personen zur Verfügung stehen, und welche Pflegenden dringender Bedarfe haben. Die Systeme bieten nachhaltige Entscheidungsalternativen an, etwa wenn ein zuständiger Sachbearbeiter in der öffentlichen Beschaffung wieder einmal Angebote vergleichen muss.
Big Data und Steuerung
Hier kommen wir zum Thema Big Data. Daten sind das neue Gold heisst es landläufig. Ich sehe es eher so, dass die Daten, die durch Sensoren und Sensorsystemen verschiedenster Art geschaffen und schon vorverarbeitet werden, durch algorithmische Innovationen zu Informationen und vor allem zu situationsspezifiziertem und damit auch zu handlungsrelevanterem Wissen verarbeitet werden.
Dies wird in Formen der intelligenteren Steuerung von Energiesystemen, ob mit der intelligenteren Heizung zu Hause bis hin zu Smart City-Lösungen, die ganze Städte steuern oder im Bereich der Mobilität und der intelligenten Verkehrssteuerung eingesetzt. Durch diese Fortschritte in der Automatisierung und die Amplifizierung, d.h. der Vervielfachung der Möglichkeiten durch die Auswertung aufgenommener und gesammelter Daten, werden Unternehmen und auch staatliche Institutionen in die Lage versetzt schnellere Entscheidungen zu treffen, wenn Sie permanent und adäquat ihre Wissensbasis klären. Da aber die digitalen und algorithmischen und KI Designkompetenzen sehr unterschiedlich verteilt sind und sich völlig unterschiedlich schnell weiterentwickeln, wird der Graben zwischen Privatwirtschaft und Staat zunehmend größer. Privatunternehmen ist es möglich viel mehr Ressourcen in diese algorithmische Innovation basierte Fortschritte zu investieren, als es die öffentliche Hand. Insofern wird sich der wissensbasierte und entscheidungsgeschwindigkeitsbasierte Wettbewerb zwischen Unternehmen, aber auch zwischen Unternehmen und den Staaten noch beschleunigen.
Diktat der Beschleunigung
Unter dem Diktat der Beschleunigung – dies immer schneller immer mehr- zeichnet sich schon heute ab, dass es auch immer darum geht, schneller Lösungen für Probleme und Herausforderungen zu bieten. In diesem beschleunigten Wissenswettbewerb und einer beschleunigten, wissensbasierten Entwicklung wird es darauf ankommen auf der einen Seite behände – oder neudeutsch agil – mit dem Gespür für Geschwindigkeit einige Entscheidungen und Prozesse zu beschleunigen.
Gleichzeitig sollten anders gelagerte Entscheidungen und Prozesse eben nur insoweit beschleunigt werden, wie dies im jeweiligen Umfeld adäquat ist, um Menschen – auch als Bürger und Mitbestimmer in einer Demokratie mitzunehmen. Es geht darum, trotz einer höheren Geschwindigkeit den Takt als Dirigent zu halten und Sinn zu stiften.
Wie einem Musikstück geht es darum, ein Wechselspiel aus Beschleunigung – einem accelerando und einem rallentando – einer Entschleunigung zu finden. Dies bedeutet auch, dass wir neue Wissenstechnologien, stark wissensbasierte und algorithmische Innovationen noch stärker auf Ihren Wissensgehalt und die Wissensqualität – auf Evidenzen und ihre potenziellen Auswirkungen in deren beginnenden Umsetzung prüfen sollten.
Es geht darum, nicht Fortschritt zu verhindern, sondern neue Formen der Technikfolgenabschätzung, der Technikbewertung und der Innovationsantizipation zu entwickeln.
Wir sollten Technikbewertung verstärken, was auch damit zu tun hat, Transparenz über schon bestehende Algorithmen, algorithmische Systeme und Formen der automatisierten algorithmischen Entscheidungsfindung zu haben: Kurzum- zu wissen, welche Entscheidungen, von wem auf Systeme und Automaten an welcher Stelle mit welchen Auswirkungen übertragen wurden.
- Es geht aber auch um Formen der Innovationsantizipation und Information, indem wir bei der Entwicklung neuer Formen von algorithmischen Innovationen – etwa wenn eine Umprogrammierung des Empfehlungsalgorithmus auf Youtube getestet wird – wir als User darüber informiert sind, dass etwas ausprobiert wird und dass dann im Vorhinein und während der Testphase von allen gemeinschaftlich antizipiert und nachvollzogen werden kann, was genau geschieht.
- Es geht darum, zu fragen, welche Innovationen wir gesamtgesellschaftlich wollen und welche Auswirkungen diese haben werden, wer welche technologischen Segnungen – auch die der Automatisierung – an welcher Stelle schon einsetzt und welche Entscheidungen auf welcher Basis von welchen Systemen „automatisch“ getroffen werden.
Wir stehen also vor der Herausforderung unser politisches und rechtliches System den neuen technologischen und Innovationsbedingungen anzupassen. Wir sind aufgefordert es zeitgemäßer machen, um Neues zu ermöglichen und die Fantasie des Neuen zu leben, ohne allerdings alles Althergebrachte und Bewährte auf der Strecke zu lassen oder im Beschleunigungsrausch einzubüßen. Dabei spielt die Zuschreibung von Verantwortung eine zentrale Rolle. Sonst besteht die Gefahr, dass Systeme der automatisierten Entscheidungsfindung („ADM“) sehr viele weitreichende negative Folgen für unser demokratisches System und unsere Wirtschaft haben, etwa durch Formen des marktverzerrenden Verhaltens und die Ausbildung neuer Monopole, die sich sehr negativ auf unsere Gesellschaft auswirken können.
Ingo Rollwagen hat eine Professur für General Management an der Fresenius Hochschule/AMD inne. Ingo Rollwagen war Experte für Zukunftsfragen, Technologien und Bildung bei der Deutschen Bank Research und für die Alfred-Herrhausen Gesellschaft, das Internationale Forum der Deutschen Bank. Dazu kam eine mehrjährige Tätigkeit in der Zukunftsforschung der DaimlerChrysler AG (Society and Technology Research Group bei Herrn Prof Dr. Minx) in Berlin.
Er absolvierte ein Studium der Publizistik- und Kommunikationswissenschaften, Politikwissenschaften und der Betriebswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin. Promotion (summa cum laude) an der Technischen Universität Berlin in Techniksoziologie zum Thema „Zeit und Innovation: Zur Synchronisation von Wirtschaft, Wissenschaft und Politik bei der Entwicklung von Virtual-Reality-Technologien.“Seit mehreren Jahren ist er Lehrbeauftragter an der Technischen Universität Berlin am Institut für Technologie- und Innovationsmanagement (Prof. Dr. Gemünden) mit angewandten Forschungsseminaren zu den Themen, wie „Smart Home Technologies“ und „Education and Learning Technology Management“. Professor Rollwagen ist als Experte im Bereich Bildung, Wissenschaft und Forschung, Technikfolgenabschätzung, Branchenentwicklungen, Zukunftsforschung und Wissens- und Technologietransfer für Industrieverbände, außeruniversitäre Forschungsorganisationen die deutsche Regierung, verschiedene ausländische Regierungen, die OECD, die Europäische Kommission, sowie für gesellschaftliche Organisationen tätig.
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