Noch heute, über 30 Jahre nach Philippe Courtines „Coup de foudre“, wie die Franzosen die Liebe auf den ersten Blick nennen, ist die inzwischen betagte Dame verzückt, wenn sie ihm auf der Straße begegnet. „Sie waren in meiner langjährigen Maklerzeit der einzige Kunde, der ein Haus gekauft hat, ohne es sich vorher anzusehen“, ruft sie dann. In Philippes Lachen schwingt auch ein wenig Stolz mit, wenn er diese Szene erzählt. Stolz darüber, dass er sich nicht getäuscht hat damals und heute Besitzer der liebevoll restaurierten Ansiedlung von zehn Chalets ist, die regionale Ursprünglichkeit mit Luxus auf hohem Niveau verbindet.
Zufallsbekanntschaft
Der heute 69-Jährige war damals in verantwortlicher Position im Showbusiness tätig und auf dem Rückweg von Montpellier nach Paris. Einer Laune folgend, hatte er einen Umweg über die kurvigen Straßen am Fuße des Montblancgebirges genommen und kam einige Kilometer hinter dem bekannten Skiort Chamonix in die Gegend um das kleine Dorf Le Lavancher. Als die Straße auf einer Anhöhe endete, stieg er aus und war wie verzaubert von dem einmaligen Panoramablick, der sich ihm bot: In alle vier Himmelsrichtungen freier Blick auf die schneebedeckten Gebirgszüge des Montblanc-Massivs und ganz klein unten im Tal der Ort Chamonix, dessen touristischer Trubel hier oben fast unwirklich erschien. Umgeben von dichten Tannen stand an einem abfallenden Hang ein altes Holzhaus und als Philippes Blick auf das Schild „zu verkaufen“ fiel, war er eine Stunde später im Besitz des Kaufvertrags.
chaletsdephillipePhilippe steht im weiträumigen Wohnzimmer des Chalets „Les Trolles“. Auf den unbehandelten Dielen befindet sich in der Ecke ein ländlicher Esstisch. Vor einem imposanten alten Kamin mit Natursteinsockel laden antike Ledermöbel zu gemütlichen Abenden ein. In jedem Winkel des Raumes eröffnet sich dem Besucher ein Blick in die Vergangenheit. Die alte Holzlaterne, der Bottich, in dem Sahne geschlagen wurde, der kleine Melkschemel, den sich die Hirten mit einem Gürtel umschnallten, um so von Ziege zu Ziege zu gehen. „Und hier die Cabuche“, Philippe zeigt auf länglichen Kasten aus Alpinholz und erklärt, dass ihn die Hirten früher als Bett mit auf die Alm genommen haben, um sich vor wilden Tieren zu schützen. „Wie ich es noch von meiner Großmutter kenne, haben die Menschen darin im Sitzen geschlafen. Die Liegeposition war die des Todes, da war man sehr abergläubisch“.
Nachdem Philippe Ende der 80-er Jahre das Grundstück gekauft hatte, begann er sich mit jedem Aufenthalt mehr für die Geschichte der Region zu interessieren. Die alte Welt mit ihren Sitten und Bäuchen faszinierte ihn. Er recherchierte in Bibliotheken, trieb sich auf Antikmärkten herum und wurde zum leidenschaftlichen Sammler von regionalen Antiquitäten und Gemälden alpenländischer Künstler. Irgendwann wollte er nicht mehr zurück in das hektische Paris, in dem ihm alle Jahreszeiten gleich vorkamen. Er beschloss, aus seiner Passion eine Geschäftsidee zu machen. Es sollte eine Art historischer Weiler entstehen, um Gäste aus aller Welt auf eine Zeitreise in das ländliche Leben vergangener Jahrhunderte zu schicken.
Rettung kulturellen Erbes
„Mein Traum war es, das kulturelle Erbe dieser Region vor dem Verschwinden zu retten“, erklärt er seine Motivation, die ihm zur Lebensaufgabe geworden ist. Er baute vom Verfall bedrohte Holzchalets aus der umliegenden Gegend ab und setze die nummerierten Latten Stück für Stück wieder auf seinem Gelände zusammen. Die zwischengelagerten Antiquitäten schienen nur auf dieses neue Zuhause gewartet zu haben und Philippe verstand es mit viel Sensibilität, moderne Technik behutsam in die märchenhafte Welt aus altem Holz zu integrieren. So verschwinden beispielsweise Heizkörper hinter Bildern und Spiegeln und auch die moderne Küchen- und Badausstattung ist optisch integriert. „In den Chalets besteht der Luxus vielleicht gerade in der Einfachheit“, überlegt Philippe. „Diese historischen Bauernmöbel findet man viel seltener als etwa ein Louis-Philippe-Interieur.“ Gleichzeitig wird den Gästen mit beheizten Whirlpools auf den hauseigenen Terrassen, Massagen vor dem Kamin und einem kleinen Privatkino mit High Definition eine paradiesische Entspannung geboten. Auch bei illustren Gästen sind die Chalets so längst ein Geheimtipp.
Keine Gegensätze
Nachhaltigkeit und Luxus sind dabei für Philippe keineswegs Gegensätze, sondern können sich sogar fruchtbar ergänzen. So sollen die fünf Chalets, die er auf dem Gelände noch errichten will, mit Erdwärme beheizt werden. Auch Solarenergie will er einsetzen. „Die Ästhetik geht da natürlich vor, aber wenn man die Anlage nicht sieht, wieso sollte ich da nicht die Sonne nutzen?“, lacht Philippe, der neben seinem Sinn für Romantik auch den gesunden Pragmatismus eines Geschäftsmanns hat. Da schützt der Verzicht auf Chlor bei dem geplanten Natursee im Freien eben gleichzeitig auch die empfindlichen Haut der Damen, ebenso wie Bioprodukte aus der Region den Ansprüchen seiner Gäste entgegenkommen. Ein Biowaschmittel verhindert, dass die handbestickte Bettwäsche durch Chemikalien ruiniert wird.Chalet de Phillipe
Philippe sitzt mit seinem Chefkoch Denis Flota auf der sonnenbeschienenen Terrasse eines seiner Chalets. Seit zwei Jahren verwöhnt der 33-Jährige, der zuvor als Dreisternekoch in der Auberge de l’Ill im Elsaß beschäftigt war, anspruchsvolle Gaumen. Serviert werden die kulinarischen Kreationen entweder in den Chalets oder einem Speisesalon im Stil des 17. Jahrhunderts. Die Bauern, von denen Denis Flota Fleisch bezieht, kennt er persönlich und weiß, dass ihre Tiere gesund ernährt werden. „Das sieht man am Fleisch und man schmeckt es auch“. Auch Obst und Gemüse kauft er von den Bauern der Region und soweit es möglich ist, stammt es aus biologischem Anbau. „Wenn es die Geldgier der großen Konzerne nicht gebe, wäre es möglich, nur noch biologisch anzubauen“, ist er sich sicher und ruft damit Philippes verbalen Widerstand hervor. „Das ist völliger Quatsch, was das Getreide angeht, würde dann die halbe Welt verhungern, weil Biogetreide viel zu teuer wäre“. Denis sei eben ein Idealist, resümiert Philippe mit einem liebevollen Seitenblick auf ihn. Was allerdings die Küche betreffe, da lasse er ihm vollkommen freie Hand, auch wenn die Bioprodukte drei Mal so teuer seien. „Die Gäste wollen das und ich will mich ja auch nicht vergiften, wenn ich sehe, was heute alles gespritzt wird“. Aber ansonsten müsse er als Geschäftmann eben auch darauf achten, dass die Finanzen stimmen. „Hotelier zu sein bedeutet auch, für meine Angestellten jeden Monat Schecks auszustellen und das funktioniert nur, wenn sich die Dinge rechnen“ sagt er ernst. Auch wenn Philippe äußerlich und von seiner Art eher der gemütlichen Variante eines Almöhi ähnelt, erinnert man sich in diesem Moment daran, dass er früher ein erfolgreicher Mann im Showbusiness war.
Skeptisch beäugt
Die einheimischen Bewohner waren ihm gegenüber anfangs sehr skeptisch. „Die dachten erst, da kommt ein Verrückter aus Paris und stellt alles auf den Kopf, aber inzwischen freuen sie sich über das Projekt.“ Bei der Stadtverwaltung hat er beantragt, seine kleine Ansiedlung als Kulturerbe schützen zu lassen. „Nicht, dass das hier nach meinem Tod von irgendeiner Hotelkette aufgekauft wird, die alles dem Erdboden gleichmacht und Riesendinger hinstellt, die es überall auf der Welt gibt.“ Aber vorerst hat Philippe noch große Pläne. Die weiteren Chalets, eine historische Kapelle, ein richtiges Restaurant für seinen Chefkoch, einen Holzofen für eigenes Brot, den Natursee und eine kleine Tränke für die Tiere, die abends manchmal aus dem Tannenwald zu Besuch kommen. Einmal wollte ihm ein berühmter Gast, für den Geld keine Rolle spielt, seinen Weiler abkaufen. „Das war wie ein Blankoscheck, auf den ich jede Summe hätte eintragen können, – ein völlig surrealer Moment“. Philippe schaut noch heute ungläubig, wenn er daran denkt.
Letztendlich habe er aber der kurz währenden Versuchung widerstanden. „ Solange mir nicht die Bank den Geldhahn zudreht, verkaufe ich nicht. Das hier ist die Welt für die ich lebe, was hätten mir die Millionen auf dem Konto gegeben.“
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Les Chalets de Philippe

Martina Wittneben