Am Stadtrand von Köln hat Familie Seifert im vergangenen Jahr eine kleine Photovoltaikanlage aufs Dach setzen lassen. Strom vom eigenen Dach – das klang nach einem guten Beitrag für den Klimaschutz. Und wenn abends die Lichter im Haus mit Sonnenenergie brennen, fühlt sich das richtig an. Gleichzeitig lasen die Seiferts in der Zeitung vom geplanten Kohleausstieg Deutschlands bis spätestens 2038. Auch das schien ein Zeichen: Es geht voran, die Emissionen sinken.

Doch was, wenn diese Fortschritte auf dem Papier stärker wirken als in der Atmosphäre?

Eine neue Studie des Exzellenzclusters CLICCS an der Universität Hamburg zeigt: Nicht jede nationale Klimaschutzmaßnahme führt automatisch zu weniger CO₂ in Europa. Selbst große politische Projekte wie der Kohleausstieg können ihre Wirkung verlieren – wenn sie nicht mit dem europäischen Emissionshandel abgestimmt sind.

Gute Absicht, geringe Wirkung?

Deutschland verabschiedet sich von der Kohle. Stück für Stück werden Kraftwerke abgeschaltet, Emissionen eingespart – zumindest in der nationalen Bilanz. Aber die Realität ist komplizierter: Der europäische Strommarkt ist vernetzt. Wenn Deutschland weniger Strom aus Kohle produziert, liefern Nachbarländer nach – oft aus ihren eigenen Kohlekraftwerken.

Die Hamburger Forscher nennen das ein „internes CO₂-Leck“: Einsparungen in einem Land können durch steigende Emissionen in anderen Ländern teilweise oder sogar vollständig aufgehoben werden.

Im Jahr 2020, so die Studie, gingen in Deutschland zwar viele Tonnen CO₂ durch den Kohleausstieg zurück – aber mehr als die Hälfte dieser Einsparungen wurde durch zusätzliche Emissionen in anderen Ländern wieder ausgeglichen.

Ein Markt, der zurückschlägt

Dazu kommt ein weiteres Problem: der EU-Emissionshandel (ETS). Er begrenzt die Menge an CO₂, die in Europa ausgestoßen werden darf. Unternehmen müssen für jede ausgestoßene Tonne ein Zertifikat kaufen. Wenn Deutschland durch den Kohleausstieg weniger Zertifikate braucht, sinkt deren Preis – und in anderen Ländern oder Branchen wird es günstiger, wieder mehr CO₂ auszustoßen.

Dieser Mechanismus ist bekannt als der „Wasserbett-Effekt“: Drückt man eine Stelle herunter, wölbt sich eine andere nach oben.

Um das zu verhindern, wurde die sogenannte Marktstabilitätsreserve (MSR) eingeführt – eine Art Überdruckventil, das überschüssige Emissionszertifikate vom Markt nimmt. Doch auch sie ist nicht dauerhaft. In wenigen Jahren läuft ihre Wirkung aus – und der Wasserbett-Effekt kehrt zurück.

Der Kohleausstieg: Symbol mit Substanz?

Trotz dieser Schwächen: Die Studie kommt zu dem Schluss, dass der deutsche Kohleausstieg seit 2021 tatsächlich zur Minderung der Gesamtemissionen in der EU beiträgt. Grund dafür ist, dass die Bundesregierung bislang – teils durch die MSR, teils durch eigenes Handeln – dafür sorgt, dass nicht genutzte Emissionsrechte auch wirklich vom Markt verschwinden.

Doch diese Wirkung ist nicht garantiert. Ob sie anhält, hängt von politischen Entscheidungen ab. Bleibt Deutschland dabei, ungenutzte Zertifikate zu löschen und nicht zu versteigern? Verzichten wir auf die Einnahmen – für das Klima?

Was bedeutet das für Bürgerinnen und Bürger?

Auch für Menschen wie die Seiferts in Köln bedeutet die Studie: Nicht jede CO₂-Einsparung wirkt so eindeutig wie gedacht. Der Solarstrom vom eigenen Dach hilft – denn private Emissionen unterliegen bislang nicht dem Emissionshandel. Aber wer weniger Auto fährt oder auf Fernreisen verzichtet, kann langfristig ebenfalls ins Leere laufen, wenn der Emissionshandel nicht konsequent weiterentwickelt wird.

Und trotzdem bleibt das Handeln wichtig. Denn nicht alles ist Teil des ETS – etwa Ernährung, Konsum, Landwirtschaft. Und: Wer heute investiert – in Wärmepumpen, Ökostrom, Dämmung – schafft Fakten. Diese können auch andere mitziehen und Märkte verändern.

Vier Wege zu wirksamem Klimaschutz

Die Forscher um Prof. Grischa Perino ziehen aus ihrer Analyse vier einfache Regeln für wirksamen Klimaschutz – sowohl politisch als auch privat:

  1. Timing zählt: Maßnahmen wirken besonders dann, wenn die Marktstabilitätsreserve noch aktiv ist – also jetzt.

  2. Verlagerung vermeiden: Wer Emissionen reduziert, muss sicherstellen, dass sie nicht an anderer Stelle steigen.

  3. Alternativen schaffen: Es ist besser, saubere Energie zu fördern, als nur Verschmutzer abzuschalten.

  4. Emissionsrechte löschen: Privatpersonen und Unternehmen können über Organisationen aktiv CO₂-Zertifikate stilllegen – und so für echte Reduktion sorgen.

Zwischen Wirkung und Wirkungslosigkeit

Der Kohleausstieg ist ein wichtiges Zeichen – aber kein Selbstläufer. Erst im Zusammenspiel mit europäischer Politik, mit durchdachtem Zertifikatehandel und mutigen Entscheidungen auf nationaler Ebene wird aus Symbolik echte Wirksamkeit.

Für die Seiferts aus Köln bedeutet das vielleicht, dass der Strom vom Dach allein nicht reicht – aber ein guter Anfang ist. Der Rest liegt bei der Politik. Und bei der Fähigkeit, nationale Ziele in ein europäisches Ganzes zu übersetzen. Denn am Ende zählt nicht, wie viel CO₂ auf dem Papier eingespart wurde. Sondern wie viel in der Atmosphäre landet.