Ein Wirtschaftskrimi mit Milliardenfakten

Lange war es nur ein Gedankenspiel: Können Konzerne wie Chevron, ExxonMobil oder Saudi Aramco für die Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden? Zwei Jahrzehnte, nachdem Forscher erstmals diese Frage aufwarfen, liefert nun ein Team um Christopher W. Callahan und Justin S. Mankin von der Dartmouth University eine wissenschaftliche Antwort: Ja, sie können. Und mehr noch: Sie sollten es.

Die neue Studie, veröffentlicht in Nature, legt eine fundierte Grundlage für Klimaklagen gegen fossile Großerzeuger vor. Mithilfe eines sogenannten „end-to-end attribution“-Frameworks wird erstmals konkret beziffert, welchen wirtschaftlichen Schaden einzelne Unternehmen mit ihren Emissionen durch extreme Hitzeereignisse verursachten. Das Ergebnis ist ein Paukenschlag: Die 111 größten fossilen Konzerne der Welt haben zwischen 1991 und 2020 gemeinsam rund 28 Billionen US-Dollar an wirtschaftlichen Verlusten durch hitzebedingte Ertragseinbußen, Produktivitätsverluste und Todesfälle mitverursacht.

Von der Emission zur Klage

Was bisher fehlte, war der wissenschaftlich belastbare Nachweis, dass die Emissionen einzelner Unternehmen nicht nur das Klima insgesamt, sondern ganz konkret bestimmte Wetterextreme ausgelöst haben. Und dass diese Wetterextreme wiederum konkrete wirtschaftliche Einbußen verursacht haben. Genau hier setzt die neue Methode an: Sie verknüpft Unternehmensdaten über CO2- und Methanemissionen (sogenannte Scope-1- und Scope-3-Daten) mit Klimamodellen und ökonometrischen Schadensfunktionen.

Beispiel Chevron: Die Emissionen des Konzerns sind laut Analyse sehr wahrscheinlich für einen Temperaturanstieg von 0,025 Grad Celsius mitverantwortlich. Das klingt gering, aber auf die Spitze getrieben, heißt das: Allein Chevron trug zwischen 1991 und 2020 zu wirtschaftlichen Verlusten von bis zu 3,6 Billionen Dollar bei. Auch ExxonMobil und BP liegen im Billionenbereich. Am stärksten betroffen: tropische Regionen mit ohnehin niedriger wirtschaftlicher Resilienz.

Von der Forschung in den Gerichtssaal

Was bedeutet das für das Recht? Im klassischen Zivilrecht muss ein Schaden einem Verursacher konkret zugeordnet werden („but for causation“). Bisher galt das im Klimabereich als kaum möglich. Doch die „leave-one-out“-Simulationen des Teams aus Dartmouth – also das Herausrechnen einzelner Emittenten aus globalen Klimamodellen – liefern nun genau diese Grundlage. Damit könnte der Weg für Klagen gegen die „Carbon Majors“ geebnet sein. In den USA, in Europa und weltweit.

Schon heute sind über 100 neue Klimaklagen pro Jahr anhängig. Gemeinden in Oregon, Puerto Rico und New York haben bereits Verfahren gegen Fossilkonzerne eingeleitet. Und mit dieser Studie im Rücken dürfte es für künftige Kläger einfacher werden, Ansprüche geltend zu machen.

Gerechtigkeit mit Rechenschieber

Die Studie ist dabei weit mehr als ein ökonomisches Rechenkunststück. Sie dokumentiert ein globales Ungleichgewicht: Die wirtschaftlich schwächsten Regionen der Welt tragen die höchsten Kosten – verursacht von Unternehmen mit Sitz in den wohlhabendsten Ländern. Die USA, Heimat vieler „Carbon Majors“, sind vergleichsweise wenig betroffen. Lateinamerika, Afrika und Südostasien hingegen erleiden jährlich bis zu ein Prozent Einkommensverlust pro Kopf durch extreme Hitze.

Hinzu kommt: Die Verursacher wussten frühzeitig, was sie taten. Bereits in den 1970er Jahren prognostizierte ExxonMobil intern die Auswirkungen ihrer Emissionen äußerst präzise. Die Diskrepanz zwischen öffentlicher Kommunikation und internem Wissen ist inzwischen gut dokumentiert und könnte juristisch als „Pflichtverletzung“ gewertet werden.

Und jetzt?

Ob die Gerichte diesen Argumenten folgen, bleibt abzuwarten. Doch der Druck steigt. Erste US-Bundesstaaten wie Vermont verabschieden Gesetze nach dem „Polluter pays“-Prinzip. Und das wissenschaftliche Fundament ist gelegt: Was früher eine juristische Utopie war, ist nun ein realistisches Szenario. Es könnte der Beginn einer neuen Ära sein, in der Klimagerechtigkeit nicht nur moralisch eingefordert, sondern juristisch durchgesetzt wird.

Denn eines zeigt diese Studie unmissverständlich: Die Klimakrise hat nicht nur ein Gesicht. Sie hat eine Bilanz. Und die lässt sich auf einzelne Akteure zurückführen – Dollar für Dollar, Tonne für Tonne.