Martin H., 34, ist begeisterter Nutzer von Künstlicher Intelligenz. Er fragt ChatGPT nach den besten Rezepten für vegane Bowls, lässt sich die Top-10-Reisezieltrends für den Sommer 2025 zusammenstellen und bittet den Algorithmus, ihm die besten Tipps für das Vorstellungsgespräch am nächsten Tag zu geben. Der kleine Satz „Bitte“ – ein höflicher Anflug, den er in seine Chat-Eingaben einstreut – ist ihm inzwischen in Fleisch und Blut übergegangen. Eine Geste, die auf den ersten Blick banal erscheint, aber bei genauerem Hinsehen das vielleicht größte Paradoxon des digitalen Zeitalters offenbart: Denn hinter jeder Bitte an die KI steht ein riesiger, energiehungriger Maschinenpark.

Die versteckten Kosten der Künstlichen Intelligenz

Die Faszination für Künstliche Intelligenz (KI) kennt kaum Grenzen. Ob Sprachmodelle, die Menschen imitieren, autonome Fahrzeuge oder Algorithmen, die medizinische Diagnosen schneller und präziser als jeder Facharzt erstellen – KI-Systeme sind längst im Alltag angekommen. Doch während sie die Produktivität in vielen Bereichen revolutionieren, frisst ihr Energiehunger den ökologischen Fortschritt der letzten Jahrzehnte nahezu auf.

Laut einer neuen Studie des Öko-Instituts im Auftrag von Greenpeace Deutschland könnte sich der Energieverbrauch von KI-Rechenzentren weltweit bis 2030 fast verzwölffachen – von derzeit 50 Milliarden Kilowattstunden auf 550 Milliarden Kilowattstunden. Das entspricht dem jährlichen Stromverbrauch von Ländern wie Frankreich oder Kanada. Ein derart massiver Ausbau wird nicht ohne Folgen bleiben: Der Bericht prognostiziert, dass die Treibhausgasemissionen von Rechenzentren im gleichen Zeitraum von 212 Millionen Tonnen auf 355 Millionen Tonnen ansteigen könnten – trotz der geplanten Investitionen in erneuerbare Energien.

Durstige Datenzentren und wachsende Müllberge

Es sind nicht nur die CO2-Emissionen, die den Klimaforschern Sorgen bereiten. Der steigende Energiebedarf geht auch mit einem massiven Wasserverbrauch einher. Bis zu 664 Milliarden Liter Wasser könnten bis 2030 benötigt werden, um die hochkomplexen Rechenprozesse in den Serverfarmen dieser Welt zu kühlen – das Vierfache des heutigen Bedarfs. Hinzu kommen bis zu fünf Millionen Tonnen zusätzlicher Elektronikschrott, verursacht durch den Ausbau der Rechenzentren und KI-Kapazitäten. Für deren Produktion werden unter anderem 920 Kilotonnen Stahl und hundert Kilotonnen kritische Rohstoffe benötigt.

„Auch in den kommenden Jahren werden Rechenzentren weiterhin auf fossile Energieträger wie Erdgas und Kohle angewiesen sein – mit entsprechend hohen ökologischen Kosten“, sagt Jens Gröger, Forschungskoordinator für nachhaltige digitale Infrastrukturen am Öko-Institut, und weist auf die begrenzte Verfügbarkeit erneuerbarer Energien hin. Die großen Technologieunternehmen experimentieren daher auch mit kleinen modularen Reaktoren (SMR) und investieren in Kernkraftwerke.

Systemische Risiken: Wenn KI den Planeten beschleunigt

Doch es sind nicht nur die direkten Umweltauswirkungen der KI, die bedenklich sind. Der Bericht des Öko-Instituts hebt auch die oft übersehenen „indirekten“ Effekte hervor. KI-Systeme werden beispielsweise genutzt, um die Erschließung fossiler Energiequellen effizienter zu gestalten, industrielle Landwirtschaft weiter zu intensivieren oder den globalen Konsum anzukurbeln. Fehlerhafte Trainingsdaten oder unzureichend getestete Systeme können zudem unvorhergesehene ökologische Schäden verursachen.

„Wenn KI-Systeme falsch kalibriert oder schlecht trainiert sind, können sie sogar die Zerstörung beschleunigen, die sie eigentlich verhindern sollen“, warnt Gröger. Diese indirekten Effekte sind oft schwer messbar und bisher kaum reguliert.

Politik am Zug: Zeit für klare Regeln

Um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken, empfiehlt die Studie eine Reihe politischer Maßnahmen:

  • Einführung verbindlicher Transparenzanforderungen und Rechenschaftspflichten für Rechenzentren und KI-Anbieter, einschließlich spezifischer Kennzahlen zum ökologischen Fußabdruck.
  • Sicherstellung der Netzintegration und Anpassung an die Kapazitäten erneuerbarer Energien, etwa durch eigene Batteriespeicher oder Lastverschiebungen.
  • Aktualisierung des Rechtsrahmens, um die Umweltfolgen von KI-Systemen stärker in den Fokus zu rücken, inklusive verpflichtender Umweltverträglichkeitsprüfungen.

Martin H. hat sich längst daran gewöhnt, seiner KI höflich „Bitte“ zu sagen. Doch was er nicht sieht: Jedes seiner Worte, jedes freundliche „Bitte“ trägt dazu bei, dass die Welt ein Stück wärmer wird.