Neue Studie der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Innsbruck hält Verzehnfachung des Wasservolumens und eine starke Zunahme der Naturgefahren für möglich
Wo Gletscher schmelzen, können Gletscherseen entstehen – oftmals mit sehr instabilen Ufern und großem Gefahrenpotential. Als Folge eines Dammbruchs oder durch Flutwellen nach Lawinenabgängen oder Felsstürzen können sich enorme Wassermassen ins Tal ergießen, die noch viele Kilometer stromabwärts große Zerstörungskraft besitzen. Modellrechnungen mit neuesten Daten zeigen nun, dass sich in den Gebirgen Hochasiens als Folge des Klimawandels derart viele neue Gletscherseen bilden könnten, dass sich das in ihnen enthaltene Wasservolumen gegenüber heute verzehnfachen würde. Dies könnte eine Zunahme von Naturkatastrophen durch Gletscherseeausbrüche nach sich ziehen.
Gletscherseeausbrüche (glacial lake outburst floods – kurz: GLOF) zählen zu den gefährlichsten Naturkatastrophen in Hochgebirgen. Besonders in Hochasien sind die plötzlichen Flutwellen, die erhebliche Schutt- und Wassermassen bis zu 100 km weit transportieren können, eine Bedrohung für die Bevölkerung sowie für kritische Infrastruktur. GLOF fordern im weltweiten Vergleich die meisten Todesopfer in Hochasien. In einer nun von Wissenschaftlern der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Innsbruck veröffentlichten Studie wurden Daten jüngster Klimamodelle und topographische Daten des Felsuntergrundes mit einem eisdynamischen Modell gekoppelt. Die Modellrechnungen zeigen, dass aufgrund des Klimawandels die Anzahl von Gletscherseen in Zentralasien im Verlauf des 21. Jahrhunderts stark zunehmen könnte. Das Wasservolumen der Gletscherseen könnte sich demnach sogar von knapp 4 km3 im Jahr 2018 auf über 40 km3 im Jahr 2100 verzehnfachen.
Schwere Konsequenzen für die Hochgebirge Asiens
„Dass die zunehmende Gletscherschmelze mehr Gletscherseen entstehen lassen wird, ist seit langem bekannt. Das enorme Ausmaß und der genaue Verlauf dieser Zunahme wird jedoch erst jetzt deutlich“, sagt Wilhelm Furian, Stipendiat der Studienstiftung des Deutschen Volkes und Doktorand am Geographischen Institut der Humboldt-Universität sowie Erstautor der Studie. „Auch wenn die Zusammenhänge zwischen der Zunahme von Gletscherseen und GLOF nicht restlos geklärt sind, würde eine solche Steigerung schwerwiegende Konsequenzen für weite Teile der Hochgebirge in Asien haben“, ergänzt Co-Autor Prof. Christoph Schneider, Vizepräsident für Forschung an der Humboldt-Universität, der bereits seit vielen Jahren zu Gletschern und Klimawandel in Hochasien forscht.
Interessant bei der modellierten Entwicklung von Gletscherseen ist die Heterogenität des Gebietes. Da in südöstlichen Teilen des Himalayas die Gletscherschmelze bereits weit fortgeschritten ist, fällt die relative Zunahme an Seefläche und -volumen dort vergleichsweise gering aus. Ganz anders in den noch stark vergletscherten nördlichen und nordwestlichen Gebirgszügen, beispielsweise im Tienshan an der Grenze von China mit den zentralasiatischen Länder Kirgistan und Tadschikistan sowie im pakistanischen Karakorum. Dort wird eine Vervielfachung der Gletscherseen erwartet, die mit einer enormen Zunahme des Wasservolumens einhergehen könnte.
Gletscher reagieren deutlich auf steigende Temperaturen
Auch die verschiedenen Klimaszenarien wirken sich unterschiedlich aus. „Es spielt eine entscheidende Rolle, ob die Welt einen nachhaltigen Weg einschlägt oder weiterhin ungebremst fossile Brennstoffe nutzt. Gletscher reagieren deutlich auf steigende Temperaturen, und die Seen bilden sich in einer wärmeren Welt vermehrt und schneller aus“, erklärt Dr. Fabien Maussion von der Universität Innsbruck, der in dieser Studie für die Modellierung der Gletscherentwicklung zuständig war.
Auf Grundlage dieser Studie ist der nächste Schritt in Wilhelm Furians Doktorarbeit klar: „Wir müssen die Ergebnisse nutzen, um auf regionaler und lokaler Ebene zu untersuchen, welche dieser zukünftigen Seen besonders gefährlich werden könnten.“ Nur so, und das ist sein langfristiges Ziel, wird es möglich sein, in Zusammenarbeit mit den Menschen vor Ort Anpassungsstrategien und Maßnahmen zu entwickeln, die helfen, den Herausforderungen des Klimawandels zu begegnen.
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