Von Dr. Christine Lemaitre, Geschäftsführender Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V.
Baubranche und Politik im Reich der Mitte erkennen, dass sie etwas gegen die Umweltfolgen des Baubooms unternehmen müssen. Qualität der Werkstoffe und Ressourcen sparen stehen zunehmend im Fokus.
Wenn man sich die sehr großen Bautätigkeiten anschaut dann erklärt dies natürlich die steigende Sensibilisierung für die Nachhaltigkeitsthemen: Alle zwei Jahre entstehen in China Neubauten vom Umfang der gesamten Wohnfläche in Deutschland. Die Hälfte des Gebäudebestandes wurde in den vergangenen 14 Jahren errichtet. Zwischen 2005 und 2011 ist die chinesische Baubranche jedes Jahr um 23 Prozent gewachsen. Der ungeheure Bauboom in China hält weiter an – und verursacht dadurch gravierende Umweltprobleme.
Weltweit ist die Bauwirtschaft für einen großen Anteil am Ressourcenverbrauch und Ausstoß von Treibhausgasen verantwortlich. Ein Drittel der CO2-Emissionen und 30 bis 40 Prozent des globalen Energieverbrauchs werden verursacht durch Errichtung und Betrieb von Gebäuden.
Fünf-Jahres-Plan: Energieverbrauch um 65 Prozent senken
Die Politik in China nimmt diese Zusammenhänge mittlerweile sehr ernst. Zunehmend setzt sich in dem Land die Ansicht durch, dass es beim Bauen nicht nur um die Masse an neuem Wohnraum und neuen Gewerbeflächen gehen kann, sondern auch Qualität und Nachhaltigkeit beachtet werden müssen. Im aktuellen Fünf-Jahres-Plan für die Jahre 2011 bis 2015 trägt die Regierung dem Rechnung. Der Energieverbrauch neuer Gebäude soll um mindestens 65 Prozent sinken. Bis 2016 sollen Immobilien mit einer Fläche von rund 800 Millionen Quadratmeter nach dieser Vorgabe gebaut werden. Eine weiteres Ziel: Bis zum Jahr 2020 sollen 30 Prozent aller Neubauten mit dem „China Three Star Standard“ zertifiziert werden.
Allerdings steht Chinas Baubranche beim Aufbau von Spezialwissen für nachhaltiges Bauen noch relativ am Anfang. Vor diesem Hintergrund sind gerade deutsche Unternehmen mit ihrem Know-how und ihrer Exportstärke als Partner sehr gefragt. Dieses Jahr fand im Juli in Peking erstmals der zweitägige BAU Congress China statt – ein Export aus Deutschland. Veranstalter war die Messe München, Partner von deutscher Seite die Deutsche Gesellschaft für Nachhaltiges Bauen – DGNB e.V. und die Fraunhofer Allianz Bau. Unter den 42 Ausstellern auf dem Kongress waren 23 aus Deutschland, unter den Referenten mehrere deutsche Experten.
Auch über den Kongress hinaus unterstützt die DGNB den Know-How-Transfer deutscher Unternehmen nach China: Mittlerweile wurde eine DGNB Community in China gegründet, eine Gruppe von Interessierten und Experten, die sich mit dem Thema Nachhaltiges Bauen und insbesondere mit dem DGNB Zertifizierungssystem beschäftigt. Über 70 DGNB Consultants wurden bisher in China ausgebildet. Sie geben dort das Verständnis der DGNB von Nachhaltigkeit durch das DGNB Zertifizierungssystem weiter, das weit über Ökologie hinausgeht. Nachhaltigkeit bedeutet für uns auch wirtschaftliches Handeln mit Blick auf den gesamten Lebenszyklus eines Gebäudes. Denn 70 bis 80 Prozent der Kosten entstehen erst nach der Fertigstellung – bei der Energieversorgung, laufenden Instandhaltung, bei der Sanierung oder einem eventuellen Rückbau. Ein weiterer Anspruch an nachhaltige Gebäude ist, dass sie ihren Bewohnern oder – bei Gewerbebauten – den Nutzern auf lange Zeit besonders hohe Lebens- und Arbeitsqualität bieten.
Chinesische Neubauten nach deutschen Richtlinien zertifizieren
Das ganzheitliche Verständnis von Nachhaltigkeit wird im DGNB Zertifizierungssystem abgebildet, das mittlerweile auch in China angewendet wird. Dieses Planungstool bewertet neben Wirtschaftlichkeit, Ökologie und Nutzerkomfort auch die technische Qualität und Prozessqualität beim Bauen. Viele Themen des chinesischen Three Star Standards sind dabei im DGNB System ebenfalls adressiert. Das DGNB Zertifikat macht die Leistungen eines Gebäudes transparent, messbar und nachweisbar.
Derzeit laufen in China mehrere Projekte, für die ein DGNB Zertifikat angestrebt wird. Ein Vorzeigeprojekt ist das German Enterprise Center. Es entsteht zurzeit in der Hafenstadt Qingdao. Das Bürogebäude, das 2015 fertiggestellt sein soll, hat in diesem Jahr ein DGNB Vorzertifikat in Gold erhalten. Mit dem Vorzertifikat unterstützt die DGNB Bauherren dabei, ein Gebäude von Anfang an unter Nachhaltigkeitsaspekten zu planen. Dafür werden klare Zielvorgaben definiert, die über den gesamten Prozess messbar sind. Das Vorzertifikat schafft Transparenz, definiert klare Prozesse in Planung und Bau und stärkt das Risikomanagement – und es hilft den Bauherren schon während der Planung und Umsetzung, ihr Objekt besser zu vermarkten.
 
Über die Autorin:
Dr. Christine Lemaitre, geboren in Gießen, studierte Bauingenieurwesen an der Universität Stuttgart. Nach einem beruflichen Aufenthalt in den USA war sie ab 2003 am Institut für Leichtbau Entwerfen  und Konstruieren der Universität Stuttgart beschäftigt und ab 2007 bei der Bilfinger Berger AG. Im Januar 2009 übernahm sie die Leitung der Abteilung System. Seit Februar 2010 ist Dr. Christine Lemaitre Geschäftsführerin der DGNB.
Dr. Christine Lemaitre is CEO of the DGNB, the German Sustainable Building Council. Before she joined DGNB in 2009 as Director System, she was Project Director at Bilfinger Berger Construction. From 2003 to 2007 she worked at the Institute for Lightweight Structures and Conceptual Design (ILEK) at the University of Stuttgart where she obtained her PHD. Dr. Lemaitre studied Civil Engineering at the University of Stuttgart and started her professional career in the United States.