Das Alfred-Wegener-Institut nimmt die Herausforderung an, unter Pandemie-Bedingungen eine Forschungsexpedition im antarktischen Weddellmeer durchzuführen. So können die Teilnehmenden der Polarstern-Expedition auch in diesem Jahr die Langzeitdatenmessungen im Südpolarmeer fortsetzen, die die Grundlage für unser Verständnis der polaren Prozesse und die dringend benötigten Klimavorhersagen bilden.

Akribisch hatten sie sich auf ihre Expedition vorbereitet, jetzt geht es endlich los: Auch unter Pandemie-Bedingungen kann ein internationales Wissenschaftsteam nach gut zweiwöchiger Quarantäne und mehreren negativen Corona-Tests Richtung Antarktis aufbrechen. Am 31. Januar flogen sie – strikt isoliert – vom Flughafen Hamburg mit einer Chartermaschine der Lufthansa nach Port Stanley auf den Falklandinseln. Für die deutsche Fluggesellschaft Lufthansa war dies übrigens der längste  Passagierflug in ihrer Geschichte. Zugleich war es einer der ungewöhnlichsten Flüge, die die Airline jemals durchgeführt hat.

Zielregion ist das Gebiet vor dem Filchner-Ronne-Schelfeis weit im Süden des atlantischen Sektors des Südozeans. Die gut 50 Forscherinnen und Forscher wollen die Wechselwirkungen und Veränderungen des Systems Ozean-Eis-Biologie im Klimawandel entschlüsseln und deren Folgen besser vorhersagen. „Diese Prozesse beeinflussen sowohl den Meeresspiegelanstieg als auch den globalen Kohlenstoffkreislauf und damit die Fähigkeit der Ozeane, Kohlenstoffdioxid (CO2) aus der Atmosphäre aufzunehmen und langfristig zu speichern“, erläutert Dr. Hartmut Hellmer, physikalischer Ozeanograph am Alfred-Wegener-Institut und Leiter der Expedition.

Eiszeitliche Höhle, produziert vom Rønne Schelfeis. Photo: Julia Fruntke/DWD

Am Kontinentalhang nördlich des Filchner-Ronne-Schelfeises steigt die Wassertiefe von wenigen hundert Metern rasch auf über 3.000 Meter an. Große Mengen kalten Eisschelfwassers und salzhaltiges Schelfwasser treffen hier auf relativ warmes Tiefenwasser aus dem Norden und vermischen sich. Diese Tiefenwasserbildung ist ein wesentlicher Bestandteil der globalen Ozeanzirkulation, über die sauer- und nährstoffreiches Wasser aus den hohen Breiten Richtung Äquator strömt und im Gegenzug Wärme in die polaren Regionen gelangt. Durch die Vermischung der Wassermassen strömt seinerseits modifiziertes warmes Tiefenwasser in Richtung Schelfeis und kann dort von unten das Schelfeis – also die Ausläufer der Gletscher, die auf dem Meer schwimmen – schmelzen.

„Unsere eigenen Daten der Jahre 2014 bis 2018 und die Messungen von norwegischen und französischen Kollegen zeigen auf, dass sich im Jahr 2017 warmes Tiefenwasser intensiver und weiter Richtung Schelfeis ausgebreitet hat als in den Vergleichsjahren. Deshalb sind wir jetzt sehr gespannt, was uns die Messungen seit 2018 zeigen“, berichtet Hartmut Hellmer. „Eine dauerhafte Erwärmung würde die Ozeanzirkulation unter dem gesamten Filchner-Ronne Schelfeis beeinflussen. Unsere Modellrechnungen zeigen, dass das Schelfeis etwa in der Mitte unseres Jahrhunderts von unten stärker abschmelzen und sich damit der Eintrag von Inlandeis beschleunigen könnte. Der zusätzliche Süßwassereintrag hätte einen Anstieg des Meeresspiegels und eine Veränderung der Ozeanzirkulation und der Meereisbildung zur Folge mit Konsequenzen für die gesamte Biologie der oberen Wassersäule“, so der AWI-Ozeanograph.

Seit der letzten Polarstern-Expedition in dieses Gebiet im Jahr 2018 zeichnen am Meeresboden verankerte Messgeräte Temperatur, Salzgehalt, Strömungsrichtung und -stärke des Ozeanwassers in verschiedenen Tiefen auf. Um an die Daten dieser Verankerungen zu gelangen, müssen die Geräte jetzt aufgenommen werden. Mit neuen Batterien und Speichermedien bestückt werden sie dann wieder ausgebracht und setzen die Langzeitmessungen der ozeanographischen Parameter fort.

Interessante Daten aus dem Untersuchungsgebiet

Das Untersuchungsgebiet ist nicht nur entscheidend für die globale Tiefenwasserbildung, sondern gleichzeitig eine Region mit starker Algenblüte, besonders in den Sommermonaten. „Auf der Expedition werden wir deshalb untersuchen, wie viel Kohlenstoff das Phytoplankton an der Wasseroberfläche durch Photosynthese aus der Atmosphäre aufnimmt, welcher Anteil davon aus der Oberfläche absinkt und wie viel Kohlenstoff zusätzlich durch die Tiefenwasserbildung vom Kontinentalschelf in die Tiefsee exportiert wird“, erläutert Dr. Moritz Holtappels, Biogeochemiker vom Alfred-Wegener-Institut. Die Umschlagsraten dieser bio-physikalischen Kohlenstoffpumpe sind nicht nur von der Meereisbedeckung abhängig, sondern auch von der Nährstoff- und Spurenmetallverfügbarkeit, die das Wachstum und die Zusammensetzung der Algengemeinschaften und deren Fressfeinde bestimmen. Die Kohlenstoffpumpe bringt Nahrung in die Tiefe und ist daher die Lebensader für die einzigartige Fauna des antarktischen Meeresbodens. Die Forschung zum Kohlenstoffkreislauf soll zudem aufzeigen, wie sie Verteilung und Vielfalt der Fauna beeinflusst und welche Bedeutung diese Meeresregionen und ihre Lebewesen als Senke für atmosphärischen Kohlenstoff haben.

Robben helfen den Wissenschaftlern

AWI-Biologe Horst Bornemann nähert sich einer von ihm besenderten Weddellrobbe. Sie sammelt Daten über Salzgehalt und Wassertemperatur und zwar aus Gebieten unter dem Eis, wo die Wissenschaftler so nicht hinkommen würden. Wertvolle Daten also nicht nur für die Biologen, sondern auch für die Ozeanographen. Weitere Daten, die das kleine Gerät auf dem Kopf der Robbe sammelt, sind Tauchtiefe, Richtung und Geschwindigkeit, die online via Internet verfolgt werden können. Die „Anstellung“ als Meeresforscherin ist, wie bei jeder jungen Einsteigerin, jedem jungen Einsteiger, zeitlich befristet. Spätestens beim nächsten Haarwechsel in einem Jahr wird der Sender abfallen. (Foto: C. Oosthuizen (MRI))

Als Helfer für die Forschung agieren in nächster Zeit auch Robben: Bis zu zwölf Weddellrobben erhalten Sensoren, die Salzgehalt, Temperatur und Tiefe messen. Biologinnen und Biologen kleben sie den Tieren auf den Kopf; beim nächsten der jährlichen Fellwechsel werden die Robben auch den Sender mit ablegen. Die Sender übermitteln die unter Wasser gesammelten Daten per Satellit an die Heimatinstitute immer dann, wenn die Tiere auftauchen. Die Tauchmuster der Robben unter dem Eis zeigen ergänzend auf, wo sich vermutlich größere Mengen an Nahrungsorganismen aufhalten, denn nur dort werden die Robben längere Zeit zum Jagen verweilen.

Wie lange die Polarstern überhaupt im südlichen Weddellmeer bleiben kann, hängt von den Meereisbedingungen vor Ort ab: Wenn am Ende des Südsommers im März die Tage kürzer werden und die Temperaturen fallen, führt der Kurs nach Norden. „Die Meereisbedingungen sehen aber momentan auf den Satellitenkarten vielversprechend aus. Wir sind guter Dinge, im südlichen Weddellmeer alle Vorhaben abarbeiten zu können. Aber natürlich haben wir auch einen Alternativplan für eine Region weiter nördlich, sollten die Eisbedingungen die Arbeiten im Filchner-Trog beenden“, sagt Polarstern-Kapitän Stefan Schwarze.

Spätestens in der zweiten Märzhälfte läuft der Forschungseisbrecher dann die Atka-Bucht an. Hier wird das abgelöste Überwinterungsteam der Neumayer-Station III abgeholt, sowie das Technik-Team und die Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen, die in der Sommersaison an der Station gearbeitet haben. Nach kurzem Transit zurück nach Port Stanley geht es per Flugzeug für die meisten zurück in die Heimat, während die Polarstern mit einer kleinen Gruppe Forschender die Rückreise nach Bremerhaven antritt, wo das Schiff Ende April zurückerwartet wird.