Wir entscheiden uns täglich für ein Verkehrsmittel: das Fahrrad, das Auto, Bus und Bahn – oder wir gehen zu Fuß. Wie schaffen wir es, uns dauerhaft immer wieder für eine gesunde und klimafreundliche Mobilität zu entscheiden? Die Initiative RadKULTUR aus Baden-Württemberg hat beim Sozialpsychologen Dr. Florian Kutzner nachgefragt, wie es uns gelingt, unser Verhalten dauerhaft zu verändern.

Schwungvoll in den Tag starten, einen Moment für sich haben, abends den Kopf frei bekommen, frische Luft atmen, schneller und flexibler sein – wenn Kolleginnen und Kollegen erzählen, warum sie gerne mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren, kommen viele gute Gründe zusammen.

Was dabei auffällt: Menschen, die im Alltag gerne das Fahrrad nutzen, sind überzeugte Gewohnheitstäter – Radfahren gehört für sie selbstverständlich zum Alltag.

Dr. Florian Kutzner, Sozialpsychologe und Lehrbeauftragter an der Universität Heidelberg, erklärt dieses Phänomen so: „Bei der Wahl des Verkehrsmittels ist das Verhalten in der Vergangenheit entscheidend. Wenn ich mir im Sommer angewöhnt habe, mit dem Rad zur Arbeit zu fahren, beispielsweise durch die Teilnahme am STADTRADELN, steigt die Wahrscheinlichkeit, mich auch im Winter entsprechend zu verhalten.“ Auch die Angebote der Initiative RadKULTUR bieten Radlerinnen und Radlern Unterstützung für eine regelmäßige Nutzung des Fahrrads, ob rund um die Uhr freizugängliche RadSERVICE-Punkte, kostenloser RadCHECK, Veranstaltungen rund ums Rad oder der LASTENrad-Verleih zum Ausprobieren neuer Transportideen. Eine Übersicht über die Angebote in den Kommunen gibt es unter karte.radkultur-bw.de.

Phasen des Umbruchs effektiv nutzen

Die gute Nachricht: Unsere Vorliebe für Gewohnheiten ist eine Chance. „Wir sind in der Lage, neue Routinen anzutrainieren. Oder anders gesagt: alte Gewohnheitsmuster abzulegen und gegen neue einzutauschen. Besonders gut gelingt das in Lebensphasen des Umbruchs, also Momenten, in denen ohnehin etwas in Bewegung kommt. Wenn ich gerade in eine neue Stadt ziehe oder einen neuen Job habe, ist das ein guter Moment, um auch bei meinem Mobilitätsverhalten jetzt etwas zu verändern“, so der Sozialpsychologe.

Gemeinsam am Ball bleiben

Am leichtesten fällt dieses Antrainieren neuer Gewohnheiten Dr. Kutzner zufolge, wenn man sich Unterstützung aus dem persönlichen Umfeld holt – von der Familie, einem Freund oder einer Kollegin. Für Menschen mit dem gleichen Arbeitsweg bietet es sich an, die gesamte oder einen Teil der Strecke gemeinsam zurückzulegen und sich so gegenseitig zu motivieren. Ein Vorteil hierbei: Das Schaffen von gemeinsamen Erlebnissen und Erinnerungen verstärkt im Gehirn den positiven Blick auf das neue Mobilitätsverhalten.

Wenn-Dann-Strategie anwenden

Wer seinen inneren Schweinehund austricksen möchte, kann laut Dr. Kutzner beispielsweise die „Wenn-Dann-Strategie“ ausprobieren: „Dabei überlege ich mir Lösungsmuster für eine häufiger vorkommende Situation. Eine Wenn-Dann-Formel für das Verlassen der Haustür wäre zum Beispiel: ‚Wenn ich mir die Schuhe anziehe, um aus dem Haus zu gehen, dann setze ich mir auch meinen Fahrradhelm auf und hole das Fahrrad aus der Garage.‘ Mit der Zeit übernimmt das Gehirn die Routine und übersetzt es in eine Gewohnheit.“

Rad-Selbstvertrauen aufbauen

Ebenso entscheidend wie eine gute Motivation ist die Selbstwirksamkeit, also das Gefühl und die Überzeugung, Dinge erfolgreich umzusetzen. Wer überzeugt davon ist, mit der Wahl des Fahrrads jederzeit gut ans Ziel zu kommen, bleibt eher am Ball. Dieses Bewusstsein kann bereits durch kleine Erfolgserlebnisse positiv verstärkt werden: „Regelmäßiges Ausprobieren, zum Beispiel auf Fahrradausflügen am Wochenende, der Zuspruch von Kolleginnen und Kollegen oder aber die Aneignung von Wissen, sorgen für ein gutes Gefühl beim Radfahren. Das können auch auf den ersten Blick banale Dinge wie das richtige Bedienen einer Luftpumpe sein. Wenn ich weiß, wie ich unterwegs Luft auf meine Reifen bekomme, fühle ich mich gut gerüstet und bin dadurch automatisch motivierter in meinem Handeln“, so Dr. Kutzner.

„Wofür tue ich, was ich tue?“

Zum Anspornen hilft es, sich Ziele zurechtzulegen: Wie viele Kilometer will ich diese Woche fahren? Welche neuen Strecken möchte ich ausprobieren? Wie viele Kilo dieses Jahr abnehmen? Dr. Florian Kutzner sagt dazu: „Nichts ist motivierender als das Gefühl, dass mein Tun etwas bringt oder etwas positiv verändert. Das können kleine persönliche Ziele wie eine stärkere Gesundheit, besserer Fitness oder Leistungsfähigkeit im Alltag, aber auch größere Visionen sein, etwa die Tatsache, dass ich etwas zum Klimaschutz beitrage. Die entscheidende Frage lautet: ‚Warum und wofür tue ich, was ich tue?'“

Eine Frage von Identität und Umfeld

Beim Radfahren geht es letztlich um Identität, erklärt Dr. Kutzner weiter: „Wir handeln symbolisch, und die Dinge, die uns umgeben, ergänzen uns. Wer sich mit seinem Fahrrad und dem Lebensstil, den es symbolisiert, identifiziert, hat es leichter, im Fahrradsattel zu bleiben.“ Nicht zu unterschätzen ist dabei der starke Einfluss der Umwelt auf das eigene Handeln: „In einer Gesellschaft, in der das Radfahren akzeptiert und allgemein wertgeschätzt wird, fällt es Menschen einfacher, sich für das Fahrrad zu entscheiden. Ein fahrradfreundliches Umfeld und die Wertschätzung gegenüber Radfahrerinnen und Radfahrern ist daher ein entscheidender Schlüssel dafür, dass ich in meinem Alltag motiviert und selbstbewusst mit dem Fahrrad mobil bin.“

Zur Person

Dr. Florian Kutzner ist Sozialpsychologe und Privatdozent an der Universität Heidelberg. Sein Forschungsschwerpunkt liegt im Bereich „Behavior Change and Sustainability“. Im laufenden Wintersemester bietet er das Seminar „Models of Decision Making“ an.