Unterschiedliche nationale Standards und Verfahren verursachen technische Hindernisse für Eisenbahnunternehmen und Fahrzeughersteller in der EU. Abhilfe soll ein am Donnerstag vom Parlament angenommenes Gesetz schaffen. Die neuen Vorschriften („technische Säule” des vierten Eisenbahnpakets) werden Zeit- und Kostenersparnisse bei der Bescheinigung von technischen und sicherheitsrelevanten Normen für Betreiber, Wagen und Lokomotiven bringen.
Die bereits mit dem Europäischen Rat vereinbarten neuen Regeln sind der erste Teil des vierten Eisenbahn-Reformpakets. Dieses soll den Schienenverkehr in der EU attraktiver, innovativer und wettbewerbsfähiger gestalten. Zudem soll die Dienstleistungsqualität verbessert und das Angebot für Bahnreisende vielseitiger gestaltet werden. Schließlich soll es dazu beitragen, die Emissionsziele für den Verkehrssektor der EU zu erreichen.
Die Europäische Eisenbahnagentur (ERA) soll zur einzigen Stelle werden, die Betreibern Fahrzeuggenehmigungen und Sicherheitsbescheinigungen erteilt. Mit den Änderungen sollen die Verwaltungskosten für Eisenbahnunternehmen gesenkt werden. Neuen Marktteilnehmern soll der Zugang zum Markt erleichtert werden. Gegenwärtig müssen Hersteller und Betreiber bei den Behörden jedes einzelnen Landes Zulassungen beantragen.
Genehmigungs- und Bescheinigungsverfahren

  • Die ERA wird alle Genehmigungen für Fahrzeuge ausstellen, die für den grenzüberschreitenden Betrieb bestimmt sind, sowie sämtliche Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnunternehmen, die grenzüberschreitende Dienste anbieten;
  • Beim Inverkehrbringen von Fahrzeugen oder Anbieten von Dienstleistungen innerhalb eines Mitgliedstaats haben Betreiber und Hersteller die Wahl, ob sie sich an die ERA oder die nationalen Behörden wenden;
  • Die Agentur wird mit Hilfe eines Informations- und Kommunikationssystems als einzige Anlaufstelle fungieren, die EU-weit gültige Genehmigungen für das Inverkehrbringen von Fahrzeugen und EU-weit gültige Sicherheitsbescheinigungen für Eisenbahnunternehmen ausstellt.

Die ERA wird auch eine wichtigere Rolle dabei spielen, die reibungslose Entwicklung der Zugsteuerungs- und Kommandosysteme zu gewährleisten, weil sie vor der Veröffentlichung von Ausschreibungen für die streckenseitige Ausrüstung für das Europäische Eisenbahnverkehrsleitsystem (ERTMS) die vorgesehenen technischen Lösungen bewerten muss. Die Vereinbarung sieht auch eine weitere Harmonisierung technischer Normen vor.
Das Plenum debattierte am Donnerstag über den „technischen Pfeiler“ des vierten Eisenbahnpakets und stimmte darüber ab. Im Zentrum dieses Teils des vierten Eisenbahnpakets stehen die Interoperabilität des Eisenbahnsystems in der EU, die Eisenbahnsicherheit und die Aufgaben der europäischen Eisenbahnagentur. Der „technische Pfeiler“ sieht eine Straffung der Vielzahl nationaler Vorschriften vor und soll der Vereinfachung der Verfahren für Hersteller und Eisenbahnunternehmen dienen. Unternehmen sollen keine mehrfachen Anträge mehr stellen müssen, wenn sie grenzüberschreitende Verkehrsdienste aufnehmen wollen. Die neuen Bestimmungen umfassen auch einheitliche Zulassungsverfahren für Schienenfahrzeuge in Europa.
Was sind die wichtigsten Elemente des Marktpfeilers?
Vertreter des EU-Parlaments, des Ministerrates und der EU-Kommission haben am 19. April 2016 ein Einvernehmen zum „Marktpfeiler“ des vierten Eisenbahnpakets erzielt. Diese Maßnahmen müssen nun vom EU-Parlament und den Mitgliedstaaten formal gebilligt werden. Dies ist für die zweite Jahreshälfte 2016 geplant.
Liberalisierung des Schienenpersonenverkehrs
 Die neuen Bestimmungen dienen der Liberalisierung des Schienenpersonenverkehrs in den EU-Mitgliedstaaten. Ab 2020 sollen alle Eisenbahnunternehmen in der EU das Recht erhalten, kommerzielle Schienenverkehrsdienstleistungen in der gesamten EU anbieten zu können. Die Wettbewerbsfähigkeit des EU-Schienenverkehrs würde somit gestärkt werden. Etablierte Eisenbahnunternehmen müssten wettbewerbsfähiger werden, um mit den neuen Marktteilnehmern konkurrieren zu können und zum anderen würde ein besseres Dienstleistungsangebot dem Eisenbahnsektor dabei helfen, wettbewerbsfähiger gegenüber anderen Verkehrsträgern zu werden.
Es ist davon auszugehen, dass Reisende von sinkenden Preisen profitieren. Darüber hinaus dürften neue Geschäftsmodelle wie Niedrigpreis-Tickets allen Bürgern zugutekommen.
Der italienische EU-Abgeordnete und Berichterstatter für die Marktöffnung, David-Maria Sassoli (S&D) verweist auf die Liberalisierung im Luftfahrtsektor vor rund 20 Jahren und erklärt die Vorteile der Einigung so: „Der Markt wird liberalisiert […] Ich hoffe, dass dieser Deal zu einem Aufschwung des europäischen Eisenbahnsektors führen wird.“
Ausschreibung öffentlicher Dienstleistungsaufträge
Das Paket umfasst auch Regelungen zur Vergabe öffentlicher Dienstleistungsaufträge. Ab 2023 sollen öffentliche Dienstleistungsaufträge von der zuständigen Behörde durch öffentliche Ausschreibungen, die allen Eisenbahnunternehmen in der EU offenstehen, vergeben werden. So sollen die Behörden den größtmöglichen Ertrag aus öffentlichen Mitteln erzielen können. Zugleich wird für die Bürger ein optimaler Umfang an öffentlichen Verkehrsdienstleistungen aufrechterhalten.
Der niederländische EU-Abgeordnete und Berichterstatter für die öffentlichen Dienstleistungsaufträge Wim van de Camp (EVP) präzisiert: „Öffentliche Dienstleistungsaufträge können nach wie vor direkt vergeben werden, jedoch nur, wenn die nationalen Behörden auch versichern können, dass die Servicequalität für Reisende steigt.“
Unparteilichkeit und finanzielle Transparenz
Die neuen Bestimmungen sollen die Unparteilichkeit der Infrastrukturbetreiber absichern. Neue Marktteilnehmer, die Zugang zum Netz beantragen, sollen ohne Diskriminierung behandelt werden. Des Weiteren sind Vorschriften zur finanziellen Transparenz vorgesehen. Es soll verhindert werden, dass zwischen staatlich finanzierten Infrastrukturbetreibern und im freien Markt miteinander konkurrierenden Verkehrsunternehmen wettbewerbsverzerrende Quersubventionen fließen.