Es gibt Erfindungen, die so selbstverständlich Teil unseres Alltags sind, dass wir ihre Auswirkungen auf die Umwelt kaum hinterfragen. Die Einwegwindel ist eine davon. Was als Fortschritt für den Komfort von Eltern und die Hygiene von Babys begann, hat sich zu einem der größten ökologischen Probleme der Gegenwart entwickelt.

Die Zahlen hinter dem Komfort

In Deutschland werden jährlich etwa 3,65 Milliarden Einwegwindeln verwendet – das entspricht rund 154.680 Tonnen Müll. Weltweit beläuft sich die Zahl auf etwa 300 Milliarden Windeln, und ein einzelnes Kind benötigt im Durchschnitt zwischen 4.500 und 6.000 Windeln, bevor es trocken wird. Für jede Windel werden etwa 250 Liter Wasser benötigt, was sich bei einem Kind auf etwa 1,25 Millionen Liter summiert. Zusätzlich besteht jede Einwegwindel zu einem erheblichen Teil aus Kunststoff und sogenannten Superabsorbern – Materialien, die nicht biologisch abbaubar sind. Der Superabsorber, meist ein Natriumsalz der Polyacrylsäure, kann das Vielfache seines Eigengewichts an Flüssigkeit aufnehmen, ist aber gleichzeitig ein erhebliches Entsorgungsproblem. Einwegwindeln benötigen bis zu 500 Jahre, um sich zu zersetzen, und setzen dabei klimaschädliche Gase wie Methan frei.

In Pflegeheimen können Windeln bis zu 70 Prozent des Hausmülls ausmachen – eine gewaltige Herausforderung für die Entsorgungssysteme. Der ökologische Fußabdruck dieser scheinbar kleinen Alltagshelfer ist enorm.

Erste Erfolge im Windel-Recycling

Dass die Recyclingquote für Windeln weltweit unter einem Prozent liegt, ist vor allem auf die komplexe Zusammensetzung dieses Verbundmaterials zurückzuführen. Windeln bestehen in der Regel aus einer Mischung von Zellulose, die für den Tragekomfort wichtig ist, und dem Superabsorber, der die Flüssigkeit aufnimmt. Beide Materialien sind für sich genommen gut recycelbar, müssen aber zunächst voneinander getrennt werden – ein technisch anspruchsvoller Prozess.

Einem Team um Dr. Anne Zeck, Gruppenleiterin am NMI Naturwissenschaftlichen und Medizinischen Institut in Reutlingen, ist im Rahmen des Invest BW-Projekts „Encycling“ ein Durchbruch gelungen. Mithilfe von Enzymen konnten sie die Zellulose in gebrauchten Windeln effizient abbauen. Entscheidend für diesen Erfolg war die Zugabe von Kalziumchlorid, die es ermöglicht, die extrem zähflüssige Windelmasse besser zu durchmischen. Diese Entmischung ist der Schlüssel, um die Zellulose gezielt mit Enzymen abzubauen und in lösliche Zuckermoleküle umzuwandeln.

Ein Schritt in die richtige Richtung

In ersten Tests konnten 0,7 Gramm Enzyme etwa 800 Gramm Zellulose aus 5,8 Kilogramm geschreddertem Windelmaterial abbauen – ein vielversprechendes Verhältnis, das die Tür zu industriellen Recyclinglösungen öffnen könnte. Diese Ergebnisse müssen jedoch noch im Technikumsmaßstab bestätigt werden, um die Praxistauglichkeit für industrielle Prozesse zu prüfen. Hier wird die Firma ARCUS Greencycling die nächste Entwicklungsstufe testen. Dabei geht es nicht nur um die Rückgewinnung der Zellulose, sondern auch um die Verwertung der zuckerhaltigen Flüssigkeit und die Minimierung des Wasserverbrauchs.

Noch viele Fragen offen

Obwohl dieser Durchbruch ein wichtiger Schritt ist, bleiben viele Herausforderungen bestehen. So muss geklärt werden, ob die gewonnenen Materialien tatsächlich wirtschaftlich sinnvoll weiterverarbeitet werden können. Auch die Frage, wie sich die verbleibenden Superabsorber effizient und umweltfreundlich recyceln lassen, ist noch offen. Ein weiteres Ziel ist es, den hohen Wasserverbrauch bei der Zellulosegewinnung deutlich zu senken.

Einwegwindeln werden uns vermutlich auch in den nächsten Jahrzehnten begleiten – zu praktisch ist ihre Handhabung, zu tief verwurzelt ihre Nutzung im Alltag. Doch Innovationen wie das Projekt „Encycling“ zeigen, dass wir zumindest die ökologischen Folgen dieser Alltagshelfer abmildern können, wenn wir bereit sind, technische Hürden zu überwinden und alte Gewohnheiten zu hinterfragen.