Es ist der 10. Juli 2024, und die Hitze hängt wie eine bleierne Last über den Straßen von Algier. Das Thermometer zeigt 49 Grad Celsius, doch die gefühlte Temperatur, verstärkt durch die hohe Luftfeuchtigkeit, klettert auf unfassbare 59,1 Grad. Menschen suchen verzweifelt Schutz im Schatten oder in klimatisierten Gebäuden. Straßen wirken leergefegt, das öffentliche Leben steht still. An diesem Tag erlebt die Welt den bislang größten Flächenanteil extremer Hitzebelastung: Rund 44 Prozent der Erdoberfläche waren betroffen.
Diese Szene steht exemplarisch für ein Jahr, das die Welt an ihre Belastungsgrenzen brachte. Der aktuelle Bericht des Copernicus Climate Change Service (C3S), ein führender Klimadienst der Europäischen Union, zeichnet ein düsteres Bild: 2024 war das erste Jahr, in dem die globale Durchschnittstemperatur die kritische Marke von 1,5 Grad über dem vorindustriellen Niveau für das gesamte Jahr überschritt. Damit wurde eine Schwelle erreicht, die laut dem Pariser Klimaabkommen eigentlich niemals dauerhaft überschritten werden sollte.
Das wärmste Jahr aller Zeiten
Mit einer globalen Durchschnittstemperatur von 15,10 Grad Celsius war 2024 das heißeste Jahr seit Beginn der Messungen. Besonders betroffen war Europa, das mit 10,69 Grad Celsius einen Rekordwert verzeichnete – fast drei Grad über dem vorindustriellen Niveau. Die Zahlen aus dem Copernicus-Bericht verdeutlichen, dass der Klimawandel nicht länger Zukunftsprognose ist, sondern Realität.
Die Ursachen sind vielfältig: Neben der anhaltend hohen Konzentration von Treibhausgasen wie CO₂ und Methan trug das Wetterphänomen El Niño zur Erwärmung bei. Doch der Bericht betont, dass der menschliche Einfluss der Haupttreiber ist. Die steigenden Emissionen aus fossilen Brennstoffen, Abholzungen und Industrien lassen die Erdatmosphäre immer weiter aufheizen.
Extreme Wetterereignisse: Hitzewellen, Fluten und Brände
Das Jahr 2024 war geprägt von beispiellosen Wetterextremen. Während Hitzewellen von Europa bis Südostasien Menschenleben forderten, ertranken Küstenregionen in sintflutartigen Regenfällen. In Kalifornien sorgten atmosphärische Flüsse für massive Überschwemmungen, während im Amazonasgebiet und Kanada riesige Waldflächen verbrannten.
Besonders heftig traf es die kanadischen Wälder: Die Brände, die dort tobten, setzten 2024 eine Rekordmenge CO₂ frei und verdeutlichten, wie der Klimawandel sich selbst verstärken kann. Laut Copernicus war der Juli 2024 weltweit einer der trockensten und heißesten Monate seit Beginn der Aufzeichnungen – ideale Bedingungen für unkontrollierbare Waldbrände.
Die Meere als „Hitzespeicher“
Auch die Weltmeere erreichten 2024 neue Rekordtemperaturen. Mit durchschnittlich 20,87 Grad Celsius lag die Meeresoberflächentemperatur weit über dem Durchschnitt. Besonders betroffen war der Nordatlantik, dessen erhitztes Wasser für stärkere Stürme und ein erhöhtes Risiko für Hurrikane sorgte. Das warme Wasser heizt die Atmosphäre weiter an, da es mehr Wasserdampf freisetzt – ein Prozess, den Klimaforscher als „Verstärkungsfaktor“ bezeichnen.
Zusätzlich wurden marine Hitzewellen verzeichnet, die eine großflächige Korallenbleiche zur Folge hatten. Die US-Wetterbehörde NOAA erklärte 2024 offiziell zum Jahr eines globalen Korallensterbens. Das Copernicus-Programm hebt hervor, dass derartige Ereignisse nicht nur die marine Biodiversität bedrohen, sondern auch die Ernährungssicherheit von Millionen Menschen.
Dramatischer Verlust von Eisflächen
Der Rückgang der Eisflächen in der Arktis und Antarktis hielt auch 2024 ungebremst an. Im November 2024 verzeichnete die Antarktis den geringsten Meereisstand seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen. In der Arktis fiel das Eisminimum im September auf den fünftniedrigsten Wert der Geschichte. Besonders dramatisch ist dieser Rückgang, weil Eisflächen wie ein Schutzschild wirken: Sie reflektieren das Sonnenlicht zurück ins All. Ohne diesen „Schutzschild“ absorbieren dunkle Wasserflächen mehr Wärme und verstärken so den Erwärmungseffekt.
Die Treibhausgas-Warnung
2024 erreichten die CO₂-Konzentrationen einen Rekordwert von 422,1 ppm, während der Methanwert mit 1897 ppb ebenfalls einen Höchststand erreichte. Das Copernicus Climate Change Service betont, dass solche Werte seit mindestens zwei Millionen Jahren nicht mehr vorgekommen sind. Der steigende Methangehalt ist besonders alarmierend, da Methan ein noch stärkeres Treibhausgas als CO₂ ist und seine Emissionen aus auftauenden Permafrostböden zunehmen könnten.
Ein Weckruf für die Politik
Der Bericht von Copernicus zeigt klar: Die bisherigen Maßnahmen reichen nicht aus, um die Erderwärmung zu begrenzen. Temporäre Überschreitungen der 1,5-Grad-Marke wurden im Rahmen des Pariser Abkommens als möglich anerkannt – doch das Jahr 2024 zeigt, wie nah die Welt an einem kritischen Punkt steht, an dem diese Marke dauerhaft überschritten wird.
Prognosen für 2025 und die folgenden Jahre sind besorgniserregend: Der Bericht verweist auf eine 47-prozentige Wahrscheinlichkeit, dass der Fünfjahresdurchschnitt bis 2028 ebenfalls die 1,5-Grad-Marke überschreiten könnte. Sollte dieser Punkt erreicht werden, wären die Folgen unumkehrbar.
Das Jahr 2024 war mehr als nur ein weiterer Rekord in einer langen Liste von Hitzewellen und Klimakatastrophen. Es war ein Weckruf an die gesamte Menschheit. Der Bericht von Copernicus legt eindrucksvoll dar, dass ohne drastische Maßnahmen zur Emissionsreduktion und Anpassung an den Klimawandel ein Pfad beschritten wird, der in eine unbewohnbare Welt führen könnte. Die Frage lautet nicht mehr, ob wir handeln müssen, sondern ob wir bereit sind, schnell und entschlossen genug zu handeln, um eine lebenswerte Zukunft zu sichern.
Das Bild des glühenden Julitages in Algier mag heute noch ein extremes Beispiel sein – doch wenn nicht sofort gehandelt wird, könnte es bald zur Normalität werden.
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