Ein peruanischer Bauer verliert seine Klage – und verändert trotzdem das Recht. Das Urteil gegen RWE weist den Weg für künftige Klimahaftung. Doch der Weg bleibt steinig.

Saúl Luciano Lliuya ist kein gewöhnlicher Kläger. Und es war keine gewöhnliche Klage. Der Mann aus Huaraz, einer Andenstadt in Peru, hat versucht, einen der größten CO₂-Emittenten Europas auf anteilige Kosten für den Schutz seines Hauses vor einer möglichen Gletscherflut zu verklagen – mit dem Argument, dass RWE durch seine Emissionen mitverantwortlich für den Temperaturanstieg und damit das Abschmelzen des Gletschers oberhalb seiner Stadt sei.

Rund 17.000 Euro wollte er von RWE – basierend auf deren Anteil von 0,38 Prozent an den globalen Emissionen. Am 28. Mai 2025 entschied das Oberlandesgericht Hamm: Nein. Aber auch: Vielleicht doch – unter anderen Umständen.

Recht bekommen und trotzdem verlieren

In der Sprache der Juristen heißt es nüchtern: Die Klage wurde abgewiesen. Der konkrete Schaden – also die Gefahr, dass Lliuyas Haus in den nächsten 30 Jahren überflutet wird – sei mit einer Wahrscheinlichkeit von unter einem Prozent zu gering. Die Hütte bleibt trocken, der Konzern bleibt verschont.

Doch dann sagte der Vorsitzende Richter Dr. Rolf Meyer einen bemerkenswerten Satz: Große CO₂-Emittenten können grundsätzlich haftbar gemacht werden – wenn eine konkrete Beeinträchtigung droht. Und das, obwohl das Haus des Klägers über 10.000 Kilometer von den Kraftwerken entfernt steht. Das ist juristisch gesehen eine tektonische Verschiebung. Und vielleicht das eigentliche Erdbeben dieses Verfahrens.

Ein globales Problem im lokalen Gerichtssaal

Die Entscheidung spiegelt ein Dilemma, das weit über diesen Fall hinausreicht: Klimaschäden sind real, global – und bislang juristisch schwer greifbar. In den USA scheitern viele vergleichbare Verfahren an der sogenannten political question doctrine: Gerichte halten sich für unzuständig, weil Klimapolitik Sache der Legislative sei. In Frankreich und den Niederlanden hingegen wurden bereits Regierungen zur Nachbesserung ihrer Klimaziele verpflichtet – das allerdings auf Basis öffentlicher Verantwortung, nicht gegenüber Privatklägern.

Der Fall Lliuya ist anders: Es geht um eine private zivilrechtliche Haftung, gestützt auf Paragraphen des deutschen BGB, die sonst bei Grenzbepflanzungen oder Laub im Nachbargarten Anwendung finden. Es ist eine juristische David-gegen-Goliath-Geschichte, bei der der David wenigstens das moralische Argument für sich hat – und in Teilen nun auch das rechtliche.

Wenn ein Prozent reicht

Interessant ist, wie knapp das Verfahren ausging. Die Richter schlossen eine Haftung nicht grundsätzlich aus. Sie erklärten lediglich: Hier und jetzt reicht die Gefahr nicht aus. Ein Sachverständigengutachten sprach von einem Flutrisiko von einem Prozent – zu wenig, um daraus eine Pflicht zur Kostenbeteiligung abzuleiten. Ein alternatives Gutachten ging von bis zu 20 Prozent aus – aber das überzeugte das Gericht nicht.

Was wäre gewesen, wenn ein Nachbar mit einem tiefer gelegenen Haus geklagt hätte? Wenn ein anderes Gutachten überzeugender gewesen wäre? Oder wenn RWE nicht nur 0,38 Prozent der globalen Emissionen zuzurechnen gewesen wären, sondern fünf?

Juristisch gesprochen war das Urteil ein „Ja, aber nicht in diesem Fall.“ Oder in anderen Worten: Das Verfahren ist ein Türspalt – kein Durchbruch, aber auch kein Rückschritt.

Was das für Unternehmen bedeutet

Die Wirtschaftsseite reagiert entsprechend nervös. In der offiziellen Pressemitteilung von RWE heißt es, eine solche Haftung hätte „unabsehbare Folgen für den Industriestandort Deutschland“. Tatsächlich: Würde man Emittenten weltweit für ihre historischen CO₂-Beiträge haftbar machen, könnten sich milliardenschwere Kettenreaktionen ergeben – von Pakistan bis Bangladesch, von Trockenschäden in Kenia bis zur Gletscherschmelze in Nepal.

Man muss diesen Einwand ernst nehmen. Wenn jedes Unternehmen jederzeit für die Folgen des Klimawandels haftbar gemacht werden kann, droht ein juristischer Dauerkrisenmodus. Andererseits: Warum sollten Menschen in Peru, die kaum zum Klimawandel beigetragen haben, allein die Kosten seiner Folgen tragen?

Was das für Gerichte bedeutet

Das OLG Hamm hat nicht nur juristisches Neuland betreten, es hat auch gezeigt, wie unzureichend die bestehende Rechtsordnung auf globale Krisen reagiert. Paragraph 1004 BGB stammt aus dem Jahr 1900. Damals befürchtete man eher, dass ein Nachbar sein Abwasser auf das eigene Grundstück leitet – nicht, dass ein Konzern in Essen mit seiner Stromproduktion den Permafrost destabilisiert.

Das bedeutet: Auch das Rechtssystem steht vor einer Transformation. Neue Fragen brauchen neue Antworten – auch auf der Richterbank.

Was bleibt?

Ein Verfahren, das fast zehn Jahre dauerte. Über 800.000 Euro an Gutachterkosten. Eine verlorene Klage. Und dennoch: ein kleiner rechtlicher Durchbruch.

Lliuyas Klage war nie nur eine juristische. Sie war eine moralische, politische und kommunikative Intervention. Sein Gesicht ging um die Welt. Seine Geschichte inspirierte andere – in Nepal, in Pakistan, im Pazifik. Und auch in Deutschland wird man sich nun zweimal überlegen, wie belastbar die eigene Emissionsbilanz wirklich ist.

Man kann also sagen: Lliuya hat nicht gewonnen – aber vielleicht gewonnen, was in einem solchen Fall möglich war. Ein Prozent Risiko. Ein Prozent Hoffnung. Und ein Urteil, das bleibt.


Weiterführende Informationen:
– Urteil des OLG Hamm vom 28.05.2025, Az. 5 U 15/17
– IPCC-Berichte zu Gletscherfluten und Klimarisiken
– Interview mit Dr. Roda Verheyen (Klägeranwältin), April 2025
– Analyse von Prof. Jan-Erik Schirmer, Europa-Universität Viadrina
– Pressemitteilung von RWE, Mai 2025