Seit über 70 Jahren dominiert das private Auto den öffentlichen Raum deutscher Städte. Eine kreativ-wissenschaftliche Allianz veröffentlicht nun ein Manifest, um dieses Dogma zu durchbrechen: Das Manifest der freien Straße beschreibt in sieben Thesen eine chancenreiche Zukunft für die Menschen in den Städten, wenn der öffentliche Raum radikal neu gedacht wird. Die Allianz ruft dazu auf, Pionier zu werden und den dringend benötigten Änderungsprozess mit anzustoßen.

 Quasi jede Straße in jeder deutschen Stadt ist zugeparkt mit Autos, die im Durchschnitt mehr als 23 Stunden täglich herumstehen. Dieser höchst unproduktive Umgang mit dem knappen Stadtraum gab den Anstoß für die gemeinsame Arbeit der Allianz der freien Straße, bestehend aus der Denkfabrik paper planes e.V., den Mobilitätsforschenden am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Beteiligungsexpert*innen der Technischen Universität (TU) Berlin.

Geht es nach den Vorstellungen der Autor*innen, sind in der Zukunft ökologisch-nachhaltige Verkehrsträger wie Fahrräder oder geteilte Mobilitätsangebote (Öffentlicher Nahverkehr und Sharing) das neue Normal. Private Autos werden dann nur noch von Menschen genutzt, die wirklich darauf angewiesen sind. Den Gewinn für die Nachbarschaft, die Gesundheit der Menschen sowie den Kampf gegen den Klimawandelschätzen die Forscher*innen als enorm ein. Auch die Volkswirtschaft würde in vielerlei Hinsicht von der schrittweisen Umsetzung des Manifests profitieren: Der freiwerdende Straßenraum kann mittels Pavillons als Fernarbeitsplatz, für Infrastrukturversorgung oder Werk- und Produktionsstätten genutzt werden. Dadurch können nicht nur viele zeitintensive Pendlerwege eingespart werden, sondern deutsche Städte auch ein Stück weit Unabhängigkeit von den globalen Krisen erlangen.

Das Manifest belässt es nicht bei der bloßen Konzeption einer nachhaltigeren Stadt der Zukunft, sondern gibt mit den Politik- und Beteiligungsthesen am Ende auch konkrete Handlungsempfehlungen, wie politischer Wille und Bürger*innenpartizipation angegangen werden sollten.

Neben einem Besuch der Webseite www.strassen-befreien.de, auf der das Manifest unterzeichnet werden kann, lädt die Allianz Interessierte zu einem Besuch ihres Experience Lab (Forster Straße 52, 10999 Berlin Kreuzberg) ein: Hier hat paper planes e.V. über den Sommer 2022 eine Ausstellung eingerichtet, in der Besucher*innen nach Anmeldung die freie Straße sehen, riechen und hören können. Auf der forsTerrasse, die temporär auf ehemaligen Parkplätzen für die Nachbarschaft gebaut wurde, kann man im Nachhinein die freie Straße im Kleinen erleben.

Hinter dem Projekt Straßen befreien steht die Allianz der freien Straße – eine kreativ-wissenschaftliche Zusammenarbeit dreier Berliner Akteure mit verschiedenen Schwerpunktkompetenzen. Denkfabrik paper planes e.V. ist als Initiator des Projekts für die Gesamtkonzeption, die Zukunftsbilder und die Kampagnenarbeit zuständig. Die Forschungsgruppe Digitale Mobilität und gesellschaftliche Differenzierung des Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung (WZB) liefert die wissenschaftliche Expertise und steuert für das Projekt ihren großen Erfahrungsschatz bei Verkehrswendeprozessen bei. Das Fachgebiet Arbeitslehre/ Technik und Partizipation der TU Berlin sichert im Projekt den Mitwirkungsprozess und sorgt dafür, dass Empfehlungen von Bürger*innen und Bürgern im Manifest Berücksichtigung finden.

Gefördert wird das Projekt von der Stiftung Mercator.

Matthias Heskamp (paper planes e.V.) sagt: “Wir hinterfragen bestehende Dogmen zum Gebrauch unserer städtischen Straßen in Deutschland und denken urbanen Raum in stimulierenden Zukunftsbildern völlig neu. Dabei soll unsere wichtigste Botschaft sein: Im Wandel der Nutzung unserer Straßen steckt eine gigantische Chance für uns alle!”

Dr. habil. Weert Canzler (WZB) sagt: “Unser Ziel ist es, die oftmals verhärteten kommunalen Diskurse zur Verkehrswende aufzubrechen. Denn wir wissen, dass nur dort etwas passiert, wo der politische Wille vorhanden ist.”

Dr. Birgit Böhm (TU Berlin) sagt: “Ohne die Menschen kann nichts passieren, deswegen setzen wir auf Beteiligung und haben auch das Projekt durch ein Bürgergutachten begleitet. Darüber hinaus braucht es Pioniere, um diesen Kulturwandel zu gestalten.”

Dr. Klaus Kordowski (Stiftung Mercator) sagt: “Die Verkehrswende in Städten braucht mehr als nur Elektroautos – es braucht eine neue Vorstellung davon, wie Mobilität und urbanes Leben gedacht und erzählt werden können.”