Quer über den Gipfel des 2592 Meter hohen Hochvogels klafft ein gefährlicher Spalt von 5 Metern Breite und 30 Metern Länge, und er öffnet sich weiter. Wann der Gipfel zerbrechen könnte, war bisher schwer zu beurteilen. Forschende des Deutschen GeoForschungsZentrums GFZ und der TU München entwickeln für solche Ereignisse eine neue Überwachungsmethode.

Seismische Sensoren messen die Eigenschwingung des Gipfels: Ähnlich einer mehr oder weniger gespannten Geigensaite ändert sich auch die Tonlage des Berges je nach Spannung im Gestein. Das lässt einzigartige Rückschlüsse auf die Entwicklung eines Bergsturzes zu. Die Studie ist im Fachmagazin „Earth Surface Processes and Landforms“ erschienen.

Felsabbrüche formen die Landschaft

Große Abbrüche von Felshängen passieren immer wieder. Sie spielen eine zentrale Rolle bei der langfristigen Entwicklung von Landschaften. Und sie sind von fundamentalem Interesse, wenn Landnutzungen geplant und Gefahren eingeschätzt werden. Der große Spalt über den Gipfel des Hochvogels öffnet sich jeden Monat um knapp einen weiteren Zentimeter. Im Laufe der Jahre ist die südliche Seite des Berges schon um mehrere Meter abgesackt. Irgendwann droht sie ganz in das österreichische Hornbachtal abzurutschen und 260.000 Kubikmeter Gestein in die Tiefe zu reißen – das entspräche etwa dem Volumen von 260 Eigenheimen. Wann das passieren könnte, war bisher schwer zu beurteilen. Denn solche Felsstürze treten plötzlich auf und laufen mit hoher Geschwindigkeit ab. Deshalb sind sie schwer zu untersuchen.

Klar ist generell, dass sich im Gestein an steilen Hängen etwa durch das Eigengewicht, mechanische Auflast oder Temperaturschwankungen eine Spannung aufbaut, die sich dann in Zerrüttungsprozessen entlädt: Es entstehen Risse auf unterschiedlicher Größenskala. Irgendwann ist das Material so instabil, dass es auseinanderbricht. Während die Abbruchprozesse selbst bereits gut untersucht sind, gibt es für ihre längerfristigen Vorboten noch erhebliche Wissenslücken. Zum einen, weil die Installation permanenter Messgeräte im Hochgebirge schwierig und aufwändig ist. Zum anderen, weil Langzeitmonitoring bislang oft mit Fernerkundungsbildern oder durch punktuell installierte Sensoren erfolgt. Keiner dieser Ansätze konnte die Prozesse im Gestein bisher zeitlich wie räumlich ausreichend detailliert, kontinuierlich und in größerem räumlichen Zusammenhang aufzeichnen.

Neues Monitoring-Verfahren mit Seismometern

Um herauszufinden, wann und warum sich die instabile Felsmasse auf dem Gipfel des Hochvogels bewegt, haben Forschende um Michael Dietze vom GFZ dort im Jahr 2018 ein Netzwerk von sechs Seismometern aufgebaut, jeweils im Abstand von dreißig bis vierzig Metern. Die Geophone zeichneten über drei Monate hinweg auf, mit welcher Frequenz der Berg hin und her schwingt. Wie eine Stimmgabel wird auch massiver Fels durch äußere Anregungen wie Wind und Erschütterungen der Erdkruste in Schwingung versetzt. Dabei hängt seine Frequenz von Faktoren wie Temperatur, Materialbeanspruchung und dem Grad der Zerrüttung des Gesteins ab.

 

Während des Sommers 2018 konnten die Forschenden einen wiederkehrenden sägezahnartigen Verlauf der Frequenz messen: Immer wieder stieg sie über einen Zeitraum von fünf bis sieben Tagen von 26 auf 29 Hertz an, um dann in weniger als zwei Tagen auf den Ursprungswert abzusacken. Dabei ist der Anstieg der Frequenz mit einem Anstieg der Spannung im Gestein gekoppelt. Mit dem Absacken der Frequenz lassen sich vermehrt seismische Signale versagender Felskontakte messen, wie sie beim Aufbrechen von Gesteinsrissen entstehen. Dieser zyklische Auf- und Abbau von Spannung durch ruckartige Bewegung, auch „stick slip motion“ genannt, ist ein typischer Vorbote drohender Massenabbrüche. Entscheidend dabei: Je näher dieses Ereignis kommt, desto kürzer werden die beobachteten Zyklen, sie sind also ein wichtiger Gefahren-Indikator.

„Mithilfe des seismischen Ansatzes können wir dieses zyklische Phänomen nun erstmals kontinuierlich und fast in Echtzeit erfassen und verarbeiten“, sagt Michael Dietze, am GFZ Post-Doc in der Sektion Geomorphologie. Er arbeitet mit Kolleg*innen von der TU München zusammen, die in dem Projekt AlpSenseBench neben dem Hochvogel auch noch andere Alpengipfel mit diversen Sensoren instrumentiert haben, um Veränderungen in der Felsstabilität zu erfassen.

Dietze schätzt, dass es bis zur robusten Serienanwendung seines Verfahrens noch eine Weile dauert: „Aktuell haben wir sozusagen den ‚Proof-of-Concept‘ erbracht, jetzt müssen die Ergebnisse an anderer Stelle wiederholt werden.“ Technisch dürfe das dann keine allzu große Schwierigkeit mehr bedeuten, glaubt Dietze. Und mit der verstärkten Aktivität an den vielen Dreitausendern in den Alpen gebe es auch reichlich Einsatzgebiete.

Ausblick: Rolle von Wasser und Eis in den Klüften

Im Laufe ihrer Messungen, die sich – mit Unterbrechungen aufgrund von Blitzeinschlag – von Juli bis Oktober erstreckten, machten die Forschenden eine weitere interessante Entdeckung: Während der sägezahnartige Auf- und Abbau von Spannungen in den ersten Monaten nach der Schneeschmelze deutlich sichtbar war, kam er im Spätsommer des Dürrejahres 2018 ganz zum Erliegen. Offenbar ging dem Berg im Verlauf des Sommers das dafür notwendige Schmiermittel aus: Wasser. Dann spielte nur noch ein Auf und Ab der Frequenzen im Tagesgang eine Rolle: In den kalten Nachtstunden zieht sich der Fels zusammen, Klüfte werden größer und die Verbindung zum Festgestein lockerer, so dass die Frequenz fällt. Durch die Sonnenwärme wiederum dehnt sich der Fels aus, schließt kleine Klüfte, und erzeugt so eine höhere Schwingungsfrequenz.

Wie diese täglichen und die längerfristigen Zyklen ineinander spielen und welchen Einfluss darüber hinaus die frostigen Winter auf das Wasser in tiefen Felsklüften für den Hochvogelgipfel haben, untersuchen die Forschenden nun über zwei weitere Jahre hinweg. Ein weiteres Seismik-Netzwerk entlang des Hanges hinab in das österreichische Hornbachtal erfasst zudem, welche Folgen die Felsaktivität am Gipfel in diesen Regionen hat. Die Siedlungen dort sind zwar nicht durch die abgehenden Felsmassen gefährdet, gleichwohl ist der Aufstieg zum Gipfel von dieser Seite aus schon seit längerem wegen akuter Steinschlaggefahr gesperrt.