In Lagos beginnt der Morgen mit einem Hupkonzert. Dicht an dicht schieben sich Danfos – gelbe Minibusse, oft mit löchrigen Auspuffrohren – durch die stickige Hitze der Millionenstadt. Die Sonne steht noch tief, doch der Smog hängt bereits schwer über den Straßen. Für Olamide, acht Jahre alt, beginnt der Schultag mit einem Hustenanfall. Seine Mutter hat aufgehört, ihn zur Klinik zu bringen. Das Inhalationsgerät, das er dort bekommt, hilft kaum länger als eine Stunde. „Er hat halt schwache Lungen“, sagt sie. Dabei ist es die Luft, die krank macht.
Eine neue globale Studie unter der Leitung des International Council on Clean Transportation (ICCT) zeigt nun, wie tödlich genau dieser Mix aus Feinstaub und Ozon tatsächlich ist – und wie einfach es sein könnte, Millionen Leben zu retten. Die Forscher analysierten die Luftdaten aus 186 Ländern und über 13.000 Städten, modellierten Gesundheitsfolgen und entwarfen alternative Zukunftsszenarien. Das ernüchternde Ergebnis: Wenn alles bleibt, wie es ist, wird der Verkehr in Schwellen- und Entwicklungsländern zur tödlichen Falle. Doch es gäbe einen Ausweg.
Die stille Pandemie
Feinstaub und Ozon: Das sind keine Schlagzeilen-Themen. Sie brennen keine Löcher in die Atmosphäre, versenken keine Küstenstädte. Aber sie töten – leise, systematisch. Laut ICCT könnten bis 2040 rund 1,9 Millionen vorzeitige Todesfälle durch die Einführung globaler Abgasnormen vermieden werden. 1,4 Millionen Kinder müssten kein Asthma entwickeln. Vor allem dann nicht, wenn ärmere Länder nicht länger zum automobilen Altmetallplatz der Welt degradiert werden.
Denn was viele nicht wissen: Der Gebrauchtwagenmarkt ist global. Während in Europa Euro-6-Fahrzeuge die Regel sind, exportieren Industrienationen jährlich Millionen ausgemusterter Dieselmodelle in Länder wie Kenia, Nigeria oder Bangladesch – Fahrzeuge, die dort oft mit minderwertigem Treibstoff betrieben werden. Laut UNEP waren im Jahr 2020 fast 80 Prozent der exportierten Gebrauchtfahrzeuge aus Europa, Japan und den USA „veraltet, umweltgefährdend und oft nicht straßentauglich“.
Addis Abeba: Der doppelte Smog
Ein besonders bedrückendes Beispiel ist Äthiopien – ein Land, das sich im Aufbruch befindet, aber buchstäblich schwer atmet. In Addis Abeba, einer Stadt mit über fünf Millionen Einwohnern, machen alte Dieselbusse, schwere Lkws und veraltete Taxis den Großteil des Verkehrs aus. Oft rollen sie mit Rußfahnen durch Wohngebiete, vorbei an offenen Feuern, auf denen Familien kochen.
Laut einer aktuellen Studie könnten allein in Addis bis 2025 über 6.000 vorzeitige Todesfälle jährlich durch Luftverschmutzung auftreten – fast ein Viertel aller nicht-unfallbedingten Todesfälle in der Stadt. Landesweit sterben jedes Jahr über 50.000 Menschen an den Folgen von Feinstaub – die Mehrheit davon an innenhäuslicher Luftverschmutzung, verursacht durch das Kochen mit Holz, Dung oder Holzkohle. In ländlichen Regionen ist es vor allem das offene Feuer, das tötet. In den Städten sind es die Motoren.
Auch hier trifft es die Schwächsten: Kinder unter fünf Jahren, die sich mit akuten Atemwegsinfektionen plagen, und Menschen über 65, bei denen sich Ozon und Feinstaub in Form von Herzinfarkten, Lungenversagen und Schlaganfällen bemerkbar machen. Die WHO zählt Äthiopien inzwischen zu den zehn Ländern mit der höchsten Luftverschmutzungs-bedingten Krankheitslast weltweit.
Und dennoch: Addis Ababa handelt. Ein Luftqualitätsplan wurde verabschiedet, es gibt erste Pilotprojekte mit emissionsarmen Bussen und E-Taxis. Doch ohne ein klares internationales Regelwerk – wie die weltweite Einführung von Euro-6-Normen oder ein Verbot besonders schmutziger Gebrauchtwagenexporte – bleibt es ein Kampf gegen Windmühlen.
Wer den Preis zahlt
Gesundheitlich gesehen sind die ärmeren Länder doppelt benachteiligt: schwache Regulierungsbehörden, hohe Importquoten gebrauchter Fahrzeuge und kaum Mittel für die Modernisierung der Strom- und Mobilitätsinfrastruktur. Dabei würde selbst eine einzelne Maßnahme – die Einführung einer modernen Abgasnorm à la Euro 6 weltweit – mehr als die Hälfte der gesundheitlichen Gewinne bringen.
Am effektivsten aber wäre eine Kombination: Saubere Energiequellen, eine jüngere Fahrzeugflotte, emissionsarme Antriebe und globale Mindeststandards für Treibstoffe und Abgase. „Clean air for all“ ist ein machbarer Traum – technisch längst realisierbar, politisch jedoch zäh.
Und was tut Europa?
Ironischerweise sind es oft europäische Fördergelder, die klimapolitische Programme in Entwicklungsländern finanzieren – während gleichzeitig ausgemusterte Diesel-SUVs aus Bayern oder der Bretagne Richtung Globaler Süden verschifft werden. Ein Widerspruch mit System: Die wirtschaftlichen Interessen des Autohandels stehen politischen Zielen gegenüber, die in Sonntagsreden versprochen, aber im Alltag selten eingehalten werden.
Dabei gäbe es Vorbilder: Marokko hat bereits 2019 strengere Emissionsregeln eingeführt, Südafrika testet CO₂-basierte Kfz-Steuern. Und Kenia will ab 2026 neue Diesel-Importe verbieten. Doch ohne internationale Rückendeckung bleibt das Flickwerk.
Hoffnung in Zahlen
Die ICCT-Studie zeigt: Wenn wir heute handeln, kann die Welt im Jahr 2040 anders aussehen – weniger tödlich, weniger krankmachend, vor allem in den Städten des Globalen Südens. Der Preis? Politischer Wille. Die Rendite? Gesundheit, Produktivität, Lebenszeit.
Und vielleicht ein Morgen in Addis Ababa, an dem Kinder wie Olamide oder Hana einfach zur Schule gehen – ohne Husten, ohne Inhalator. Nur mit einem Ranzen auf dem Rücken und klarer Luft in den Lungen.
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