Am Ende ist es vielleicht gar nicht die Technik. Nicht die Gier. Nicht der Markt. Sondern ein Irrtum über uns selbst. Der Kulturgeograf Werner Bätzing nennt ihn: die Illusion der Maßlosigkeit. In einem Gespräch mit dem Standard erklärt er, warum der Mensch seit der industriellen Revolution zum Zerstörer der Erde wurde – und weshalb es gerade heute ein neues Verständnis vom Menschen braucht.

Bätzing ist kein Kulturpessimist, aber auch keiner, der sich Illusionen macht. In seinem Buch Homo destructor zeichnet er eine lange Linie menschlicher Umweltgeschichte nach – von der Jagd auf Wild bis zur Zersiedlung der Landschaft, vom Pflug bis zur Globalisierung. Im Zentrum steht eine unbequeme Frage: Ist der Mensch in seiner heutigen Form überhaupt noch lebensfähig?

Die Erfindung des Zuviel

„Der Mensch ist nicht per se zerstörerisch“, sagt Bätzing. Erst mit der industriellen Revolution habe sich etwas Grundsätzliches verändert: Die Erfindung der Dampfmaschine, die massenhafte Verbrennung von Kohle, die radikale Beschleunigung der Produktion. Aus dem Menschen sei ein Homo destructor geworden. Die Natur wurde zur Ressource, der Planet zur Verfügungsmasse.

Wirklich global wurde dieser Zugriff allerdings erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Alte Gesellschaftsstrukturen seien zerstört, internationale Institutionen wie die Weltbank gegründet worden. „Zum ersten Mal wurde der Kapitalismus weltumspannend“, so Bätzing im Standard-Gespräch. Die Folge: ein gewaltiger Schub wirtschaftlichen Wachstums – gespeist aus der Substanz der Erde.

Kein Maß in sich selbst

Was Bätzing dabei umtreibt, geht tiefer als ein ökologisches Problem. Es ist ein anthropologisches: „Der Mensch hat in sich kein biologisches Maß“, sagt er. Er sei kein an eine ökologische Nische angepasstes Wesen, sondern ein kulturabhängiges Lebewesen, das seine Umwelt ständig selbst gestalten muss. Und genau das mache ihn gefährlich – weil ihm nichts sagt, wann genug ist.

In der Geschichte kennt Bätzing dennoch zwei Formen der Selbstbegrenzung: Die Jäger und Sammler, die in einer spirituellen Beziehung zur Natur nur nahmen, was sie wirklich brauchten. Und egalitäre bäuerliche Gesellschaften, die zwar Landschaften umformten, dies aber mit Blick auf deren langfristige Stabilität taten. „Im Unterengadin“, sagt Bätzing, „gibt es Wiesen, die seit der Bronzezeit bewirtschaftet werden – und noch immer voller Artenvielfalt sind.“

Der Mensch als Einzelwesen – eine moderne Konstruktion

Doch warum gelingt es uns heute so schwer, Maß zu halten? Bätzing verweist auf die Aufklärung: Sie habe den Menschen aus der Natur gelöst, ihn zum autonomen, vernunftgeleiteten Individuum erklärt. Doch mit diesem Menschenbild kam auch die Vereinzelung. Der Markt, der Konsum, der Wettbewerb haben den homo sapiens – ein eigentlich hochkooperatives Wesen – in ein atomisiertes Ich verwandelt. „Und als vereinzelt lebende Konsumenten können wir die Klimakrise nicht lösen.“

Selbst kommunistische Systeme, so Bätzing, hätten das aufklärerische Naturverständnis übernommen: Natur als Material. Als das, was zur Verfügung steht.

Freihandel als Brandbeschleuniger

Besonders deutlich werde das beim Freihandel. Bätzing kritisiert unter anderem das geplante EU-Mercosur-Abkommen. Der globale Austausch billiger Waren führe zu riesigem Verkehrsaufkommen, zerstöre regionale Produktionskreisläufe und mache nachhaltiges Wirtschaften unrentabel. „Freihandel belohnt Umweltzerstörung“, sagt er. Nicht aus Bosheit – sondern, weil das System auf kurzfristiger Effizienz basiert.

Ein Ausweg? Bätzing glaubt nicht an einfache Lösungen. Aber er plädiert für eine Rückbesinnung auf das Regionale, auf verantwortliche Kreisläufe, auf wirtschaftliche Systeme mit kulturellem Boden. Nicht als Rückzug, sondern als Vorsorge.

Der Mensch – nicht Herr, sondern Teil der Natur

Für all das aber brauche es ein neues Weltbild. Eines, das den Menschen nicht als Herrscher über die Natur begreift, sondern als Teil von ihr. Bätzing verweist auf den Philosophen Heidegger, der beschrieb, wie mit der Renaissance der Sinn aus der Natur herausgenommen wurde – und nur noch im Menschen selbst gesucht wurde. Seitdem, so Bätzing, handle der Mensch, als gehöre ihm die Welt.

„Aber sie gehört ihm nicht.“
Ein stiller Satz. Einer, der bleibt.


Hinweis:
Das vollständige Interview mit Werner Bätzing erschien am 5. Juni 2025 im österreichischen Standard.
Werner Bätzing: Homo destructor. Eine Mensch-Umwelt-Geschichte. C. H. Beck, 2023.