Am 21. Oktober 2024 hat in der kolumbianischen Stadt Cali die 16. UN-Biodiversitätskonferenz (COP16) begonnen. Bis zum 1. November kommen dort Delegierte aus 196 Staaten zusammen, um gemeinsam an der Umsetzung des internationalen Abkommens zur biologischen Vielfalt zu arbeiten, das auf der COP15 in Montréal verabschiedet wurde.

Die COP16 steht unter einem großen Erwartungsdruck, denn das im Dezember 2022 beschlossene Abkommen gilt als Meilenstein im globalen Naturschutz – und als entscheidender Versuch, den weltweiten Artenverlust und die Zerstörung von Ökosystemen aufzuhalten. Die Verhandlungen in Cali betreffen nicht nur technische Details, sondern die Zukunft des Planeten und der Menschheit selbst.

Im Mittelpunkt der Konferenz stehen die nationalen Biodiversitätsstrategien und Aktionspläne, die sogenannten NBSAPs. Diese Pläne sollen von allen Vertragsstaaten entwickelt und umgesetzt werden, um konkrete Maßnahmen zum Schutz der biologischen Vielfalt auf nationaler Ebene zu garantieren. Bisher hat jedoch nur eine Handvoll Länder ihre Strategien und Aktionspläne rechtzeitig zur COP16 vorgelegt. Der World Wildlife Fund (WWF) äußerte sich besorgt darüber, dass viele Staaten offenbar nicht auf dem notwendigen Stand der Umsetzung sind. „Ohne diese Pläne bleibt das Abkommen ein leeres Versprechen“, warnte ein Sprecher des WWF. „Es braucht klare Zielvorgaben und die Entschlossenheit, sie tatsächlich zu erreichen.“

Ein zentrales Ziel des Montréal-Abkommens ist das sogenannte „30×30-Ziel“: Bis 2030 sollen weltweit 30 Prozent der Land- und Meeresflächen unter Schutz gestellt werden. Wissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass dieser Schwellenwert notwendig ist, um die Stabilität vieler Ökosysteme zu gewährleisten und den dramatischen Artenverlust zu bremsen. Neben dem 30×30-Ziel umfasst das Abkommen 22 weitere ambitionierte Ziele, die unter anderem den Schutz bedrohter Arten, die Reduktion von Umweltverschmutzung und die nachhaltige Nutzung natürlicher Ressourcen umfassen. All diese Vorhaben sollen nun auf der COP16 konkretisiert und in detaillierte Fahrpläne überführt werden.

Warum Biodiversität so wichtig ist

Die Biodiversität – also die Vielfalt des Lebens auf der Erde – ist weit mehr als die Summe einzelner Tier- und Pflanzenarten. Sie ist das Fundament stabiler Ökosysteme, die wiederum essenzielle Dienstleistungen für die Menschheit erbringen. Dazu zählen die Produktion von Sauerstoff, die Reinigung von Wasser, die Bestäubung von Pflanzen und die Regulation des Klimas. Biodiversität ist also entscheidend für die menschliche Ernährungssicherheit, für sauberes Wasser und für die Bewältigung der Klimakrise. Geht die Artenvielfalt verloren, führt dies zu einem Zerfall dieser Systeme, was langfristig auch unsere Lebensgrundlage gefährdet. Laut einer Studie der Vereinten Nationen aus dem Jahr 2023 sind weltweit mehr als eine Million Arten vom Aussterben bedroht – eine Bedrohung, die nicht nur Tiere und Pflanzen, sondern auch die menschliche Zivilisation betrifft.

Finanzierung und globale Verantwortung

Ein weiterer Schwerpunkt der Konferenz in Cali ist die Finanzierung der notwendigen Maßnahmen zum Schutz und zur Wiederherstellung der Biodiversität. Die Industriestaaten haben sich im Rahmen des Abkommens verpflichtet, den Entwicklungsländern bis 2030 jährlich 30 Milliarden US-Dollar an öffentlichen Mitteln zur Verfügung zu stellen. Diese Finanzhilfen sind essenziell, um in den am stärksten betroffenen Regionen des Globalen Südens wirksame Maßnahmen umzusetzen, wo die Artenvielfalt besonders bedroht ist und zugleich ein Großteil der Weltbevölkerung lebt. Viele Expert*innen warnen jedoch, dass diese Summe möglicherweise nicht ausreicht, um die komplexen und oft kostspieligen Naturschutzprojekte umfassend zu finanzieren. Es bleibt fraglich, ob die Geberländer tatsächlich bereit sind, das erforderliche Geld langfristig bereitzustellen – und ob die Mittel effektiv eingesetzt werden.

Die Herausforderungen der COP-Prozesse

Auch wenn das Montréal-Abkommen als bahnbrechend gilt, steht die Umsetzung vor großen Herausforderungen. Zahlreiche Umweltorganisationen und indigene Gruppen kritisieren, dass die COP-Prozesse oft von politischen und wirtschaftlichen Interessen beeinflusst sind und dass Entscheidungen manchmal nicht verbindlich genug sind, um tatsächliche Veränderungen herbeizuführen. Viele indigene Gemeinschaften, die weltweit zu den effektivsten Hütern der Biodiversität zählen, fordern eine stärkere Anerkennung und Einbindung in den Entscheidungsprozess. Traditionelles Wissen über nachhaltige Landnutzung und Naturschutz könnte hier wertvolle Beiträge leisten, wird jedoch häufig übersehen.

Erwartungen und Hoffnungen

Im Vorfeld der COP16 hat das Science Media Center (SMC) Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zu ihren Einschätzungen befragt. Die Erwartungen an die Konferenz sind hoch, aber auch von Besorgnis geprägt. „Wenn wir jetzt keine verbindlichen Fortschritte erzielen, drohen uns katastrophale Verluste“, sagte eine Forscherin des UN-Biodiversitätsrats (IPBES). Viele Expert*innen betonen, dass die Menschheit sich an einem kritischen Punkt befindet: Die nächsten Jahre werden darüber entscheiden, ob die Ziele des Montréal-Abkommens erreicht werden können oder ob die fortschreitende Zerstörung der Natur unumkehrbar wird.

Die COP16 ist ein weiterer entscheidender Moment im Kampf gegen die Biodiversitätskrise. Die Staatengemeinschaft steht vor der Aufgabe, nicht nur ambitionierte Ziele zu formulieren, sondern konkrete Maßnahmen zur Umsetzung zu beschließen. Die Welt hofft darauf, dass die Verhandlungen in Cali echte Fortschritte bringen und die Grundlage für eine nachhaltige Zukunft schaffen – für die Natur und für uns alle.

Statements

Prof. Dr. Matthias Glaubrecht

Professor für Biodiversität der Tiere und Leiter des Evolutioneums, Universität Hamburg , und Wissenschaftlicher Projektleiter, Leibniz-Institut zur Analyse des Biodiversitätswandels, Hamburg

Hintergrund und Herausforderungen 

„Das 30×30-Ziel steht zu Recht im Fokus der COP16: Haupttreiber der Biodiversitätsverluste auf globaler Ebene ist die sogenannte Landnutzung-Änderung, etwa durch Rodungen, Ausbau der Landbewirtschaftung, Infrastrukturprojekte, Zersiedlung und so weiter. Wir rauben der Natur immer mehr Raum, machen die Vielfalt der Arten gleichsam wohnungslos.“

„Wenn daher der Flächenschutz nicht ausgebaut und nicht effektiver gestaltet wird, ist das Montreal-Abkommen gescheitert – und damit auch diese COP16, wenn sie – vor dem Hintergrund der bisher dürftigen Umsetzung der beschlossenen Ziele – dazu keine wirkungsvollen Maßnahmen implementiert. Alles andere ist Augenwischerei. Und dass dies nun ausgerechnet unter kolumbianischer Präsidentschaft geschehen soll, halte ich für kein gutes Vorzeichen.“

„Denn bisher existieren, auch in Deutschland, weitgehend ‚paper parks‘ (Land- und Seegebiete, die auf dem Papier geschützt sind, in denen allerdings keine konkreten Maßnahmen umgesetzt werden; Anm. d. Red.). 30 Prozent der Flächen als ‚protected areas‘ unterschiedslos hinsichtlich des Schutzstatus zu deklarieren, ist noch keine Umsetzung der Montreal-Vereinbarung. Vielfach sind die Schutzgebiete zu klein und zu isoliert und verinselt. Sie müssen erweitert und vernetzt – und vor allem sehr viel stärker von wirtschaftlicher Nutzung ausgenommen werden – auf 30 Prozent der Erdoberfläche. Und: Genutzte Flächen müssen renaturiert werden, und zwar in der gleichen Größenordnung: 30 Prozent!“

Von der COP15 zur COP16  

„Diese Finanzierung ist eine wichtige Begleitmaßnahme – und die Mobilisierung wird zeigen, wie ehrlich es die Staatengemeinschaft wirklich damit meint, gerade auch finanziell die an Biodiversität reicheren, aber wirtschaftlich ärmeren Ländern des globalen Südens bei ihren Schutzbemühungen zu unterstützen. Bisher ist das nicht in hinreichendem Maße geschehen. Darin liegt für die COP16 eine große Herausforderung. Und gerade in diesem Fall  bin ich eher verhaltend und skeptisch, was dann auch einzulösende Zusagen angeht.“

Biodiversität und Klima 

„Weiterhin ist das Thema Klima allgemein überschätzt – es trägt in geringer Größenordnung zur Biodiversitätskrise bei und sollte daher nicht auch noch bei dieser COP16 wieder überproportional betont werden. Die Krise der Vielfalt ist eine menschengemachte Krise und keine Folge des Klimawandels. Es ist an der Zeit, just dies zu betonen und zu sagen, was ist. Durch unsere bisherige Art der Ernährung und die angestrebte Energiewende verstärken wir die Biodiversitätsverluste. An diesem Punkt muss die Transformation unserer globalen Ernährungs- und Energiesysteme ansetzen, denn ohne diese werden wir das Artensterben nicht aufhalten.“

Dr. Yves Zinngrebe

Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Department Naturschutzforschung, Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ), Leipzig

Hintergrund und Herausforderungen 

„Die diesjährige COP16 hat die wichtige Aufgabe, die ersten Schritte für die Umsetzung des auf der COP15 beschlossenen Kunming-Montreal Global Biodiversity Framework (GBF) zu überprüfen und nachzuschärfen. Wichtiges Element hierbei ist die Ausrichtung des Monitoring Frameworks, in dem die fünf Langzeitziele und die 23 Handlungsziele mit Indikatoren und Evaluierungsmatrizen weiter spezifiziert und messbar gemacht werden sollen.“

„Das GBF wird letztendlich nur so gut sein wie seine Zielstellungen in nationalen Strategien und dadurch in konkreten Maßnahmen übersetzt werden. Die COP15 hat dafür einen kontinuierlichen Prozess aus Planung, Monitoring, Evaluation und Revision vorgesehen. Bei der COP16 werden jetzt Faktoren verhandelt, die vorgeben, inwieweit Länder und andere Akteure zur Verantwortung gezogen werden können. Hauptsächlich sind diese Faktoren die Antworten auf die Fragen: Was wird gemessen und was soll somit erreicht werden? Wer wird von wem verantwortlich für die Umsetzung gehalten? Was für Konsequenzen gibt es, beziehungsweise was geschieht, wenn die Ziele nicht erreicht werden?“

Von der COP15 zur COP16  

„Die medial sehr sichtbaren Themen des 30×30-Zieles und der Finanzierung werden meiner Meinung nach in ihrer Bedeutung stark überbewertet. Wir sehen an den ineffektiven Natura 2000-Gebieten in Europa, dass eine einfache Designation von Schutzgebieten nur ein ineffektiver ‚Papiertiger‘ ist. Die Effektivität wird davon abhängen, inwieweit Schutzgebiete von verschiedenen Ressortpolitiken berücksichtigt und die Gefahren für Biodiversität reguliert werden (Ziel 14). Finanzierung ist sinnlos, wenn sie zum einen mit anderen Finanzierungsmechanismen konkurriert und wenn es zum anderen keine effizienten Strukturen für ihre Verteilung gibt. Wenn Landwirte zum Beispiel mehr Finanzierung für Intensivierung bekommen, wird die Förderung von nachhaltiger Nutzung in den Entscheidungen hinten runterfallen. Statt viel neues Geld auszugeben, erscheint eine verstärkte Arbeit an der Abschaffung schädlicher Anreize (Ziel 18) noch wichtiger.“

Biodiversität und Klima 

„Gemeinsamkeiten zwischen Biodiversität und Klima sind allgemein anerkannt. Im Tagesordnungspunkt dazu werden Möglichkeiten zum Austausch von Daten und zur Zusammenarbeit identifiziert, die unstrittig sein sollten. Auch naturbasierte Lösungen und die Wiederherstellung von Ökosystemen sind sehr weit überlappende Elemente, die zunehmend integrierend umgesetzt werden.“