Die Immobilienbranche befindet sich im Umbruch. Lieferkettenengpässe, explodierende Energiepreise und steigende Kosten beim Bauen bedingt durch den Ukrainekrieg belasten die Branche. Die Fahnenstange scheint erreicht zu sein.

„Doch die Lage ist komplexer und nicht so eindeutig“, sagt Christoph Straube,Vorstand der W&L AG im FAIReconomics Interview. Nach wie vor lohnt es sich in Nachhaltigkeit von Immobilien zu investieren. Die EU hat durch ihre Taxonomieverordnung hierfür den Weg geebnet.

Im Interview mit FAIReconomics Chefredakteur Frank Tetzel erläutert Christoph Straube, wie es sich mit nachhaltigen Investments heute noch lohnen kann, in Wohneigentum, unabhängig ob selbstgenutzt oder als Anlageimmobilien zu investieren. Zudem erläutert er was es im Immobilienbereich mit der Taxonomieverordnung der Europäischen Union auf sich hat.

Frank Tetzel – FAIReconomics: Können Sie uns erläutern, was es mit der EU Taxonomieverordnung auf sich hat?

Christoph Straube

Christoph Straube , Vorstand W&L AG: Viele Jahre war der Nachhaltigkeitsbegriff nicht definiert. Was sind nachhaltige Geldanlagen, wie kann ich als Investor durch den Wirrwarr der Begriffe blicken? Die EU hat nun mit der Taxonomie einen wichtigen Schritt unternommen,  zumindest etwas mehr Transparenz und Klarheit zu schaffen, was genau ökologisch nachhaltig ist.

Frank Tetzel, Faireconomics: Aber die neue Taxonomieverordnung lässt auch Atomkraftwerke grün werden…

Christoph Straube , Vorstand W&L AG: Nun, dass scheint mir an dieser Stelle eher ein politischer Kompromiss gewesen zu sein, den ich an dieser Stelle nicht bewerten will. Aus Immobiliensicht, und nur die kann ich beurteilen, bringt die Taxonomieverordnung für Anleger bei Immobilien-Investments eine wichtige Orientierung und lenkt Kapitalanlagen in nachhaltige Richtungen.

Frank Tetzel, Faireconomics: An welchen Kriterien kann ein Investor oder auch jemand, der eine Wohnung oder ein Haus erwerben will, sich orientieren?

Christoph Straube , Vorstand W&L AG: Noch befindet sich die Taxonomie am Anfang, und die Kriterien werden sich auf alle Fälle weiter entwickeln. Vielleicht gehen wir aber noch einmal einen Schritt zurück. Die EZB hat heute einen Zinsschritt von 0,75 Prozent angekündigt, diese Höhe hat es seit der Einführung des Euro-Bargeldes noch nicht gegeben. Und ob das Ende der Fahnenstange erreicht sein wird, angesichts einer fast zehnprozentigen Inflation, muss offen bleiben.

Von Vorteil  ist immer, wenn die geplante Immobilie bestimmte Anforderungen an die Nachhaltigkeit erfüllt. Banken räumen günstigere Konditionen ein, das betrifft nicht nur die Förderrichtlinien und Kreditrichtlinien der staatlichen KfW.

Schließlich spiegelt der Kreditzins das Risiko wider, das ein Kreditgeber mit der Vergabe des Darlehens auf sich nimmt, und wir wissen nicht erst seit dem Ahrtal, welche Rolle Klima- und Nachhaltigkeitsrisiken inzwischen spielen.

Eine besonders nachhaltig und energieeffizient Immobilie gestaltet, senkt also zugleich das Kreditrisiko und kann dafür einen niedrigeren Zins bekommen.Traditionsgemäß ist die Immobilienbranche eher konservativ und etwas behäbig, die Banken erkennen die Risiken eher schneller.

Ab 2023 sollen die Regeln noch einmal verschärft werden, insbesondere bei den Umweltschutzaspekten…

Frank Tetzel – FAIReconomics:  Was bedeutet das konkret?

Christoph Straube , Vorstand W&L AG: Ja, gern. Die Taxonomie definiert die Kriterien für Klima- und Umweltschutzaktivitäten von Unternehmen, sie gelten seit diesem Januar. Ab Januar 2023 werden dann noch weitere Umweltschutzaspekte gültig. Zudem spielen inzwischen bei institutionellen Investoren und zunehmend auch bei Privatleuten ESG Kriterien eine wichtige Rolle.

Frank Tetzel FAIReconomics: Können Sie uns diese ESG erläutern?

Christoph Straube , Vorstand W&L AG:  ESG steht für Environmental Social Governance – ESG , was man zu deutsch auch übersetzen könnte in  Umwelt, Soziales und Unternehmensführung. ESG gilt als freiwilliger Beitrag der Wirtschaft zu einer nachhaltigen Entwicklung, der über die gesetzlichen Anforderungen hinausgeht. Die ESG ist Teil des Themas Corporate Governance und  damit der Nachhaltigkeit zu sehen.

Dass E steht für Environment, also Umwelt. Konkret sind damit zum Beispiel Umweltschutzmaßnahmen, Abfallmanagement und der Schutz natürlicher Ressourcen im Unternehmen gemeint.
Das S steht für social, also soziale Aspekte. Damit sind beispielsweise Diversität der Belegschaft und der Führungskräfte, faires Personalmanagement gemeint, wie gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit, und der Gesundheits- und Sicherheitsschutz von Mitarbeitern.
Das G steht für Governance, also Unternehmensführung. Damit sind beispielsweise Maßnahmen zur Transparenz im Unternehmen, gegen Bestechung und Korruption und ein passendes Risikomanagement, um den Bestand des Betriebes zu schützen, gemeint.

Sie werden zunehmend bei den Bauträgern angewendet, aber auch bei Projektentwicklern oder Lieferanten und spielen auch in der Finanzierung eine Rolle.

Frank Tetzel – FAIReconomics: Da ist der Beratungsbedarf in den vergangenen Woche wahrscheinlich gestiegen.

Christoph Straube , Vorstand W&L AG: Wir beobachten als Immobilienspezialisten das Marktumfeld ganz genau. Bei den potenziellen Kunden sind Unsicherheiten beobachten, und zwar nicht nur wegen gestiegener Zinsen und der Inflation, sondern auch wegen des Handwerkermangels oder den gestiegenen Nebenkosten. Die Nachfrage nach Wohnimmobilien, so sehen wir das bei uns, ist stabil..Viele Interessenten fragen sich allerdings, ob sie sich eine Immobilie noch leisten können. Der Beratungsbedarf ist sicherlich höher geworden und auch der Wunsch nach mehr Zinssicherheit.

Frank Tetzel – FAIReconomics: Warum ist das Investment in Nachhaltigkeit beim Bau so wichtig?

Christoph Straube , Vorstand W&L AG: Nach Berechnungen von Klimaforschern und des Umweltbundesamtes gehören Immobilien zu den großen Energiefressern und CO2 Emittenten beim Klimawandel. In Deutschland, so der Immobilienverband ZIA tragen Gebäude etwa zu 30 Prozent zu den CO2 Emissionen bei. Wer also mittel- und langfristig Werte schaffen will und schon jetzt auf mögliche Gesetzesvorhaben und Anforderungen vorbereitet sein will, der investiert schon jetzt in nachhaltiges und klimafreundliches Bauen.